Der größte See Niedersachsens

Bevor am Steinhuder Meer der Tourismus ankam, lebten viele Familien vom Fischfang und der Aalräucherei. Bis heute sind einige Räucherstuben erhalten geblieben und selbst im Sommer wirkt das kleine Örtchen Steinhude in Niedersachsen etwas verschlafen und gemächlich. Gemütlich schlendere ich an der Uferpromenade entlang. In zierlichen Fachwerkhäusern finden sich allerlei verschiedene Geschäfte, die Waren eng beieinander in die Auslagen gequetscht, um möglichst viele Dinge gleichzeitig zu präsentieren. Daneben befinden sich Cafés und maritim anmutende Restaurants. An nahezu jeder Ecke kann man frischen Fisch und Aal kaufen, Fischbrötchen gibt es direkt auf die Hand. Bootsfahrten werden ebenfalls angeboten, genauso können Tret- oder Ruderboote gemietet werden. Ich kaufe mir einen Fahrschein für eines der Ausflugsschiffe und setze mich auf die harte Holzbank hinter der Reiling. Dann sticht die „Steinhude“ in die seichte See. Langsam und fast zart schwappen die Wellen an den Schiffsbug. Eine leichte Prise weht sanft in mein Gesicht, ein Hauch streicht über meine Wangen und zaust angenehm in den offenen Haaren. Ein paar Schwäne ziehen auf dem ruhigen Wasser vorbei und recken die langen Hälse hin zu den auf den See starrenden Touristen.

Am kontinuierlich kleiner werdenden Ufer schrumpft eine Gruppe von Besuchern auf Segwayrollern bis nur noch dunkle Schemen zu erkennen sind. Im Gegenzug kommt die zierliche Insel Wilhelmsstein unserem Schiff stets näher. Die kleine Festung auf dem Eiland wurde von Graf Wilhelm zur Schaumburg-Lippe 1765-1767 gebaut, nachdem er dort 5 Jahre lang vorab eine Insel aufgeschüttet hatte. Ziel des Verteidigungsbaus war es, die kleine Grafschaft vor Feinden zu schützen. Was dank der modernen Technik in der heutigen Zeit leicht erscheint, war damals eine Knochenarbeit, für die etliche Arbeiter schuften mussten. Das Bauwerk diente zeitweise als Militärschule und Forschungszentrum. Um eine gründliche Ausbildung des Führungsnachwuchses in Theorie und Praxis zu gewährleisten, ließ Graf Wilhelm eine Ausbildungsstätte für Offiziersanwärter der Artillerie einrichten. Nach dem Tod Wilhelms und der Verlegung der Soldatenschule nach Bückeburg wurde die ständige Besatzung auf der Bastion derart verringert, dass der frei gewordene Platz sich für die ausbruchssichere Unterbringung von Strafgefangenen anbot. Daher wurde der steinerne Bau zu einer düsteren Gefängnisinsel umfunktioniert, in der hauptsächlich Schwerverbrecher inhaftiert wurden.

In der sternförmig angelegten Anlage befinden sich unterirdische Kasematten, dort wurden früher Munition und Verpflegung gelagert. 1787 wurde der Kleinstaat von hessischen Soldaten besetzt: Und tatsächlich, nur die Insel Wilhelmstein mit ihrer Festung, modernsten Kanonen und vorgelagerten Außenwerken widerstand! Erst Mitte des 19. Jahrhunderts wird das Eiland als Besucherattraktion vermarktet. In einigen der ehemaligen Soldatenunterkünfte können Touristen heute übernachten, die Räume sind natürlich wesentlich moderner ausgestattet. Das kleine Museum innerhalb der Bastion und die Gewölbekeller und -gänge unter der Erde sind zu ebenfalls besichtigen. Wie die Soldaten früher gewohnt haben und die unterirdischen Räume interessieren mich bei dem strahlend blauen Himmel allerdings nicht. Ich stelle mich an die Schlange vor dem Kiosk und kaufe mir einen heißen Kaffee. Mit dem dampfenden Getränk in der Hand falle ich in einen der vielen Liegestühle am Inselufer und blicke auf die stille, wohltuend entschleunigende Wasseroberfläche. Gemächlich zieht ein Segelboot am Horizont dahin. Verschwommen spiegeln sich die Bäume in bewegten Schatten auf den kaum wahrnehmbaren Wellenbewegungen. An diesem Platz bleibe ich bis zur Rückfahrt sitzen und genieße die Sonne auf meinem Gesicht. Mit fortschreitendem Tag wird es merklich kühler.

Zurück am Ufer blicke ich auf den ruhig daliegenden See und die in Zeitlupe dahin dümpelnden Schiffe. Eigentlich fehlt jetzt nur noch Möwengeschrei, allerdings gibt es das hier nicht. Dafür zieht ein Fischadler über dem Wasser anmutig seine Runden. Warum heißt das Steinhuder Meer nicht See, frage ich mich? Es handelt sich ja offensichtlich um größeren Teich. Im Schnitt ist dieser nur 1,35 tief und 29m2 groß, weshalb man eigentlich eher von einem Tümpel sprechen müsste. Dennoch ist dies das größte Gewässer Niedersachsens, ungefähr 25 Km von der Landeshauptstadt Hannover entfernt. Die Bezeichnung kommt dadurch, dass im Norddeutschen das offene Meer früher als See bezeichnet wurde. Binnengewässer hingegen nannte man Meer. Wobei ich mich hier eigentlich fühle wie an einer Strandpromenade und so flaniere ja auch bereits den gesamten Tag am Ufer entlang. Beim nächsten Besuch werde ich mit dem Rad den Weiher umrunden, das sind knapp über 30 Km. In Steinhude führen ein paar Stege aufs Wasser hinaus. Normalerweise legen hier die Boote an, doch einige Besucher nutzten die Holzbohlen gerade, um zu entspannen und das schöne Wetter zu genießen. Der kleine Ort ist gut besucht, an der Strandpromenade ist viel los.

Bald lasse ich das Seeufer erneut hinter mir und das historische Scheunenviertel tut sich vor mir auf, noch versteckt hinter ein paar Bäumen. Die Fachwerkgebäude wurden im 18. Jahrhundert am Ortsrand errichtet, da das gelagerte Heu und Stroh eine Brandgefahr darstellte. Später verfielen sie und wurden erst ab 1997 als Projekt der Expo 2000 in Hannover restauriert. Heute befinden sich in den denkmalgeschützten Häusern Restaurants, Geschäfte, Ausstellungen sowie das Naturpark-Informationszentrum. Seit 2005 finden dort im monatlichen Wechsel Kunst- und Kunsthandwerker-Ausstellungen statt. Leider ist mein Besuch zu spät, um den Künstlern über die Schulter zu schauen, die Ausstellung ist bereits geschlossen. Neben Glasschmuck werden hier Holzarbeiten und Malereien hergestellt, ebenso arbeiten hier Töpfer oder Bildhauer. Ich setze mich auf den Stuhl des ersten Kaffees und bestelle ein Glas Wein. Die Sonne versteckt sich mittlerweile hinter Schleierwolken, aber es ist immer noch wunderbar warm. So neigt sich ein angenehmer Tag dem Ende. Endlich richtiges Sommerwetter!


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