
„Der Garten ist mein Leben!“, sprach Kurfürstin Sophie, die von 1679 bis 1714 die Herrenhäuser Parkanlagen in Hannover anlegen ließ. Um 1710 waren prächtigen Grünflächen schließlich vollendet und umfassten eine Größe von rund fünfzig Hektar, genauso groß wie die Altstadt von Hannover damals, in der nur etwa zehntausend Menschen lebten. Kurz nach meiner Ankunft weiß ich bereits: Hier kann problemlos ein gesamter Tag verbracht werden. Ich schlendere nicht nur im großen Park herum, auch der Georgen- und der Berggarten wird von mir erkundet. Gleich hinter dem Eingang durch ein zierliches Schloss sehe ich mich zahlreichen Springbrunnen oder blühenden, duftenden Beeten aus bunten, farbenprächtigen Blumen gegenüber. Das Aroma von Orangen und Feigen durchzieht die warme Luft. Geordnet und akkurat muten die vielen Grünflächen an, die sich bis zu den kleinen Wasserbecken und einem Schwanenteich erstrecken. Hinter dem unscheinbaren Palastbau erhebt sich eine Grotte, die Niki de Saint Phalle gestaltet hat. Wie zersplittert und aus einzelnen, unzähligen Scherben zusammengesetzt wirken die hohen, länglichen Fenster. Lediglich in 1,5 Stunden kritzelt die Künstlerin Entwürfe von sechs Fenstern in der örtlichen Kneipe, bei der Idee ihres Entwurfs waren diese noch vollständig blank. Die Mosaikoptik aus einzelnen Teilchen setzt sich im Inneren fort. Die Grotte besteht aus drei Räumen: Spiritualität, Tag/Leben und Nacht/Kosmos. Gelbe und rote Wellen winden sich schlangenförmig über die unebenen Wände bis hinauf zur Decke.


Geblendet von den vielen gleißenden, glänzenden, übervollen Goldtönen senke ich den Blick. Die Decke, die im Raum Spiritualität wie eine Galaxie aussieht, ist aus winzigen Kieseln zusammengesetzt. Diese kommen nicht aus Hannover, sondern aus New Mexiko. Dort waren die Steinchen günstiger, der Transport nach Hannover hingegen sehr teuer: ein paar Millionen Euro. Ich laufe vorsichtig über die hellen, steingrauen Bodenfliesen und betrete einen Raum, in dem die typischen „Nana“-Figuren von Niki de Saint Phalle an der Wand kleben. Farbenfroh und in knalligen, bunten Tönen stechen diese aus der dunkelblauen Wand hervor. Ein kleiner Springbrunnen plätschert leise und still in einem Becken aus Mosaikkieseln vor sich hin. Die Wände der nächsten Halle strahlen in Silbertönen. Sterne in verschiedenen Größen verdecken die Aussicht nach draußen. Die Künstlerin dieses Phantasieobjekts stirbt bedauerlicherweise 2002, ein Jahr vor der Fertigstellung ihrer Grotte. So wird diese ihr letztes Kunstprojekt und 2000 wird Niki de Saint Phall zu Hannovers einziger Ehrenbürgerin ernannt. Mir wird mal wieder bewusst, dass ich keinen grünen Daumen habe. Unglücklicherweise bekomme ich jede Pflanze klein. Vermutlich entgeht mir deshalb, dass die Herrenhäuser Gärten zu den Top-3-Gartenanlagen in Deutschland gehören. Etwa 130.000 Blumen blühen hier auf und können ab dem Frühjahr in der Parkanlage entdeckt werden. Für mich ist das einfach nur ein besonders schöner Park.


In den Sommermonaten sind die Fontänen fast den gesamten Tag an. Dann spritzt der Wasserstrahl bis zu 70 Meter als einer der höchsten Fontänen Europas in die Höhe. Pro Stunde verbraucht diese etwa 500 Kubikmeter Wasser. Ein überschaubarer Pfad und eine hübsche Brücke führen mich in den Georgengarten. Der Schwanenteich erstreckt sich dort um eine kleine Halbinsel, auf der ein schlichter, schmaler Tempel steht. Nicht weit davon erhebt sich ein aufragender Obelisk. Die vielen weitläufigen Wege erstrecken sich über die gesamten Parkbereiche. Jeder Winkel ist so für mich begehbar. Mein Spaziergang geleitet mich durch den Berggarten der Anlage. Ursprünglich wurde dieser 1666 als Küchengarten für Gemüse angelegt. Hier befinden sich heute alle Gewächshäuser. Pflanzen aus den Subtropen betrachte ich, ebenso wie riesige, ausufernde Kakteen. Unzählige heimische und exotische Pflanzen gedeihen hier. Ein Orchideenschauhaus offenbart wunderschöne, zarte Blüten in allen denkbaren Farbschattierungen. Der Blick ins Schauhaus der Wüstenpflanzen fällt um einiges spärlicher und nüchterner aus. An kleinen, kunstvoll angelegten Steingärten flaniere ich vorbei zu einer nachgebildeten Moor- und Heidelandschaft. Bald endet der Rundgang in einer blühenden Blumenwiese, die himmlisch duftet. Tief ziehe ich das wohltuende Aroma ein. Ein einziges Leuchten in kräftigem Blau, Rot, Gelb, Orange und Grün. Im Garten ist wirklich ein Leben. Herrlich verspielt und unbeschreiblich schön.
