Die Stadtführerin bleibt vor einem Brunnen in der Innenstadt Braunschweigs stehen. Dann wendet sie sich an unsere Touristengruppe. Ihr ausgestrecktem Zeigefinger deutet auf die beiden kämpfenden Figuren. Sie beginnt zu sprechen, „Die meisten Touristen betrachten unseren Ringerbrunnen, ohne zu ahnen, dass er in der Öffentlichkeit für einen Kunstskandal gesorgt hatte. Im ersten Entwurf des Bildhauers Jürgen Weber waren die zwei Kämpfer nämlich nackt, das gefiel den Braunschweigern aber nicht so sehr. Das Argument gegen die geplante Ausführung lautete, dass man doch im öffentlichen Raum kein Denkmal aufstellen könne, bei dem zwei entblöste Männer ihre Geschlechtsteile dem Betrachter präsentierten. Ein wahrer Skandal!“ Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Da hätte ich gedacht, dass die Leute in den 70ern etwas offener gewesen wären. Aber wohl nicht die Braunschweiger. Belustigt höre ich unserem Tourguide weiter zu. „Weber musste sich der Empörung fügen und zog die Statuen an. Zwischen 1972 und 73 wurden die Skulpturen hergestellt. Das Werk des Künstlers beschäftigt sich mit einer antiken Sage, Herkules besiegt den Riesen Antäus. Der Kampf selbst war sehr ungleich, denn der Gigant bezog immer neue Kraft, wenn er mit den Füßen wieder die Erde berührte. Als Herkules das schließlich mitbekam, stemmte er den Hünen in die Höhe und erwürgte ihn in der Luft“, erklärt sie uns und deutet auf den schwebenden Giganten.
„1975 wurde die Figurengruppe eingeweiht und hier am Sack aufgestellt.“, führt die Gästeführerin weiter aus. „Zur feierlichen Enthüllung kamen damals viele Kunstkritiker. Als das Tuch fiel, sahen diese auf den ersten Blick zwei züchtig bekleidete Ringer. Der Halbgott trug einen Ringeranzug, der Riese eine knappe Hose. Erst auf den zweiten Blick waren auf dem in der Luft hängenden Hinterteil von Antäus die Besonderheiten zu erkennen: Auf den Beinen des Riesen standen gut leserlich die Worte „Kunst“ und „Kritiker“. Direkt auf dem Po waren auf alle Zeiten die Namen der lautesten Kritiker des Nackt-Entwurfs eingraviert. Herkules trägt dabei wie sein Erbauer Weber die Initialen „J.W.“. Der Gegner symbolisiert die Kritik, der durch den Bildhauer der Boden weggezogen wird.“ Sie geht etwas weiter um den Brunnen herum. Ich folge ihr und wir versammeln uns alle zu Füßen von Zeus Sohn. „Schauen Sie!“ Ich folge dem Blick der Dame zum Boden. „Jürgen Weber alias Herkules steht auf einer unebenen Scheibe, die einen Löwenkopf darstellt. Braunschweig wird ja, da Heinrich der Löwe 1158 die Stadt gegründet hat, auch Löwenstadt genannt. Die Füße hat er ein wenig angehoben, der Künstler tritt sich auf dem Kopf des Raubtieres die Zehen ab und scheint zu meinen: Danke, Löwenstadt, für die Kritik!“ Ich lächle erneut. Diese lustige Art sich zu wehren macht zumindest die Stadtführung interessant. Und durch die Führung von Touristen hat Braunschweig auch heute noch etwas davon.
Spannend!
LikeLike