Auf Umwegen…

Ich hatte mir die rechte Hand gebrochen. Bei meinem Bericht über das Unglück erwartete so ziemlich jeder eine dramatische Geschichte. Eigentlich war mir aber nur beim Krafttraining ein Gewicht drauf gefallen. So wie es eben im Grunde auch nur mir passieren kann. Ich wusste schon immer, Sport ist Mord. Nun hatte ich es am eigenen Körper erfahren. Ich bin 6 Wochen krankgeschrieben. Dann begann eine endlose Odyssee der Langsamkeit. Für alle Tätigkeiten hatte ich mit der linken Hand eine riesige Zeitspanne gebraucht. Solange bis sich diese an ihre neuen Aufgaben gewöhnt hatte. Nach drei Wochen fiel mir vollends die Decke auf den Kopf. Zu diesem Zeitpunkt ging auch noch die Waschmaschine kaputt. Immerhin war die linke Hand jetzt so fit diese wenigstens halbwegs provisorisch mit der Beißzange auf ein einziges Programm umzustellen. Ich konnte also nur noch 40 Grad waschen. Der Drang aus meinem trostlosen Alltag auszubrechen ist seit diesen vielen glücklosen, kleinen Eskapaden nicht mehr zu bändigen.

Ich muss die Umgebung wechseln. Am besten fühlt sich ein Ort mit Wasser an. Ich entscheide mich für die Gertelbach-Wasserfälle in der Nähe von Bühlertal, die gut mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen sind. Auto fahren geht schließlich noch etliche Wochen nicht. Nun sitze ich im Bus und die nächste Haltestelle ist sogar schon die meine. Schwerfällig stemme ich mich mit der linken Hand aus dem Wagen. Der zierliche Weg, der zum oberen Teil der Wasserfälle führt, ist mit moosbewachsenen Felsbrocken überlagert. Dicke Wurzeln ragen aus dem Sandboden. Die gesamte Umgebung sieht aus als hatten sich hier junge Riesen im Steinewerfen geübt. Vermutlich ist dieser Pfad nichts für meine Hand. Lediglich an einigen Stellen des steilen Abstiegs findet sich überhaupt ein Metallgitter, um sich daran entlangzuziehen. Ich überlege und zucke hilflos die Schultern. Wenn ich nun schon mal da bin. Hier ist sonst in Laufweite nichts Besonderes. Und der nächste Bus kommt erst in zwei Stunden.

Vorsichtig suche ich mit den Füßen einen Weg zwischen hölzernen Wurzelschlingen und aufragenden Steinspitzen. Gar nicht so leicht und ich komme ordentlich ins Schwitzen. Kleine Schritte tragen mich hinab. Irgendwie schaffe ich es nach unten. Planlos stehe ich vor der Wandtafel an der kleinen Hütte zu Füßen der Kaskaden. ‚Kennen sie sich hier aus?‘ frage ich den Vater einer jungen Familie. ‚Gibt es noch einen anderen Weg zur Bushaltestelle da oben?‘ mein Zeigefinger deutet gleichzeitig zu meiner Frage in die Richtung, die mir vorschwebt. Irgendwo weit oben. Der Mann reibt sich nachdenklich das Kinn. ‚Hmm, ich kann ihnen leider nicht sagen, ob es eine Alternative gibt.‘ Ich zeige auf die gebrochene Hand in der Schiene. ‚Ich meine nur wegen meiner Verletzung.‘ erläutere ich in einem neuen Anlauf. Er nickt. ‚ Ja, das sehe ich schon.‘ dann blickt er kurz den steilen Aufgang zur Seite der Wasserfälle hinauf. Der Anflug eines Schmunzelns breitet sich auf seinem Gesicht aus. Dann meint er. ‚Das ist doch aber gut zu schaffen, oder? Das geht doch.‘ Wortlos blicke ich nach Oben. Immerhin in der Natur. Und Umgebung ist absolut schön.


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