Die langweiligste Bootsfahrt jemals…

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Es ist Wochenende in der zierlichen Barockstadt Bad Karlshafen in Nordhessen. In dem verschlafenen hübschen Ort sind die meisten Läden und Restaurants geschlossen. Es ist kaum eines der Caféhäuser geöffnet. Obwohl wir das Städtchen an einem Samstag besuchen, fühle ich mich wie beim guten, alten Sonntagsspaziergang. Hier ist einfach nichts los. Der schöne, ruhige Hafen ist von staatlichen weißen Gebäuden eingerahmt. Die symmetrischen Häuserkarrees mit Straßencafés und Grünanlagen laden trotz des wenigen Trubels zum Erkunden ein. Landgraf Carl gründete 1699 die Barockperle mit Hafen an der Mündung von der Diemel in die Weser. Die Stadt liegt auch direkt am Fluss und erhält durch die facettenreichen Grüntöne der Anhöhen des Weserberglands einen schönen, abwechslungsreichen Landsschaftsrahmen. Ich blicke auf das umliegende Panorama, allein die Umgebung wäre die Stadtgründung schon wert gewesen. Allerdings wollte der Adlige durch die Errichtung des kleinen Ortes das Marktrecht in Hannover Münden umgehen und sein Herrschaftsgebiet auf dem Wasserweg mit der Hauptstadt Kassel verbinden. Die im schlichten bürgerlichen Barock erbauten Häuser wurden also nach Plan errichtet. Zu Ehren des Gründers erhielt das Dorf 1717 den Namen Carlshafen. Die ersten Bewohner waren Hugenotten. Menschen, die wegen ihres protestantischen Glaubens in Frankreich verfolgt wurden und hier eine neue Heimat fanden.

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Die Flüchtlinge brachten Handwerksberufe aus ihrer alten Heimat mit, die in Deutschland nahezu unbekannt waren, z.B. Strumpfwirker, Handschuhmacher und Hutmacher. 1730 entdeckte dann der hugenottische Apotheker Jacques Galland die Solequellen der Stadt. Er erkannte die Bedeutung seiner Entdeckung und berichtete der landgräflichen Regierung von seinem Fund. Die Quelle wurde gefasst und 1763 wurde eine Saline bestehend aus einem Pumpwerk und drei Gradierwerken aufgebaut. Es begann der Handel mit Salz. 1838 wurde ein erstes Badehaus errichtet und die gefundenen Sprudel zu Heil- und Kurzwecken genutzt. Die heilkräftige Sole wurde vor allem bei Asthma, Rheuma, Ischias und Bronchitis zur Behandlung der Kurgäste eingesetzt. Einen weiteren Aufschwung des Heil- und Kurwesens brachte dann in 1955 die Anerkennung als Sole-Heilbad. Den Titel „Bad“ erhielt die Stadt im Jahr 1977 als absoluten Höhepunkt in der weiteren Entwicklung des Kurortes. Auch heute noch ist Bad Karlshafen Kurstadt und hat eine große Rehaklinikanlage. Aus 1.150 m Tiefe sprudelt hier eine Quelle mit einem Salzgehalt von fast 30% und einer Vielzahl von gelösten Mineralstoffen.

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Kein Wunder, dass von hier die Sage einer Salzfee kommt, die im umliegenden Reinhardtswald gewohnt haben soll. Sie war die Hüterin eines unterirdischen Salzsees. Dessen Kraft war so stark, dass man damit kranke und gebrechliche Menschen heilen konnte. Die Solefee war von gutem Wesen und begab sich jeden Tag an die Erdoberfläche, um sich ein Bild von den Menschen und den Kranken im Besonderen zu machen. Mithilfe ihres Haarreifs, der große Zauberkraft besaß, war sie für die Menschen unsichtbar, aber sie bekam trotzdem alles mit. Traf sie auf Menschen, denen es sehr schlecht ging, benetzte sie ihnen die Stirn mit einem Tropfen des Seewassers. Daraufhin schliefen sie ein und die Elfe nahm sie mit zu ihrem Teich. Nach einem ausgiebigen Bad wachte derjenige in seinem Bett wieder auf und war völlig gesund. Dies ging ungezählte Jahre so. Eines Tages verlor die liebe Zauberfee ihren magischen Reif. Alles Suchen war vergebens. Jetzt konnte sie sich nicht mehr unsichtbar machen und mied die Erde und die Menschen. Darüber war sie überaus traurig und weinte bittere Tränen. So verging Tag um Tag. Sie konnte den Menschen nicht helfen und das heilende Salzwasser geriet in Vergessenheit.

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Eines Tages, nach dem schon viel Wasser die Weser heruntergeflossen war, ging ein junger Mann, namens Jacques, am Weserufer spazieren. Er passte nicht auf, stolperte und fiel in ein tiefes Loch. So tief, dass ihm die Sinne schwanden. Als er wieder zu sich kam, befand er sich in einer dunklen Höhle. Er hörte ein leises Schluchzen und ging diesem Geräusch nach. Nach nur kurzer Zeit sah er in der Ferne ein geheimnisvolles Glitzern, das ihn magisch anzog und er kam zum glänzenden, heilenden Wasser des Salzsees. Auf einem Stein sitzend fand er die weinende Salzfee. Diese fasste nach ihrem ersten Schreck Zutrauen und klagte Jacques ihr ganzes Leid. Sie erzählte ihm von dem unermesslich großen Salzteich mit seinen gesund machenden Kräften und dem Missgeschick mit dem Zauberreif. Der junge Mann hatte Mitleid mit der unglücklichen Elfe und versprach ihr bei der Suche zu helfen. Sie schauten unter jeden Stein, in jeden Winkel und versuchten den vermissten Reif zu finden.

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Als sie schon aufgeben wollten und längst jede Hoffnung verloren hatten, entdeckte Jacques in einer tiefen Felsspalte ein Glitzern. Er versuchte nach dem funkelnden Ding zu greifen und siehe da, es war der magische Haarreif der Salzfee. Diese konnte sich vor Freude kaum fassen und setzte den wieder gewonnenen Kopfschmuck gleich auf. Sie schenkte dem jungen Mann als Dank einen Brunnen mit heilendem Wasser und brachte ihn sicher auf die Erde zurück. Jacques, der jetzt um das Geheimnis des Wassers wusste, zeigte den Menschen auf der Erde, wie man seine heilende Kraft verwenden konnte. Er lebte Jahr für Jahr in vollster Zufriedenheit und fand Erfüllung darin Gesundheit zu schenken. Die Salzfee war überglücklich, sodass sie sich jetzt wieder ab und zu auf der Erde aufhielt um zu schauen, wie ihr Retter den Menschen Gesundheit brachte. Sie war sehr zufrieden und freut sich noch heute über jede Heilung mit ihrem Salzseewasser. Vom Gedanken an die hübsche Zauberin schlendern mein Freund und ich zum Anleger des Weserschiffs ‚Hessen‘. Eine andere Aktivität sehen wir für heute nicht. Ich lasse mich auf die Holzbank an der Steuerbordseite des Bootes fallen und blicke auf die dunkelgrünen, gemächlich treibenden Fluten.

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Ratternd wirft unser Kapitän den volltönenden Motor an und unser schwimmendes Gefährt schippert los. Volltönend erklingt die brummige, tiefe Stimme unseres Steuermanns. ‚Wie Sie vielleicht schon gelesene haben, nennt sich das hier eine Dreiländerfahrt. Es handelt sich dabei selbstverständlich um 3 Bundesländer. Wir starten jetzt hier in Hessen. Geradeaus der langgezogene Berg befindet sich aber schon in Niedersachsen.‘ Gemächlich tuckert der langsame Kahn dahin. Wir ziehen mit gefühlten 10 Km/h gemütlich über das Wasser. Die Umgebung bietet leider kaum Abwechslung und die Momente erscheinen mir endlos. Ich fange an zu gähnen. Wir passieren die Salinenanlage, in der man die gute Soleluft der örtlichen Quellen einatmen kann. Die Familie, die direkt neben uns sitzt, hat für unsere Bootsfahrt ihren Campingplatz vor den Toren von Bad Karlshafen verlassen. Sie hatten dem Onkel auf der gegenüberliegenden Seite vor dem Ablegen zugewinkt. Eine Rehaklinik zieht als brauner Gebäudeklotz unscheinbar an uns vorbei. Auf dem Rasen davor ruhen sich die Patienten aus, die aus der Sauna kommen. Die schrille Stimme der Familienmutter zerreißt schrill meine Schläfrigkeit. ‚Oh Gott, die zieht ja grade total bloß. Kinder guckt da nur nicht hin!‘ Sie hält ihrem kleinen Sohn mit beiden Händen die Augen zu.

Am Ufer schält sich gerade eine ältere Dame nach dem Saunagang aus ihrem Handtuch. Ihre Proportionen sind durchaus vergleichbar mit der Campingplatzbewohnerin. Beide stehen gut im Futter. Beide sind dick. ‚Also jetzt macht die sich ja komplett offen.‘ Die Mutter vom Zeltplatz ist fassungslos. Bestimmt würde sie das natürlich nie tun. Vermutlich würde sie deshalb auch niemals in die Sauna gehen. Weil Sie nicht völlig nackig ziehen will. Ich sehe meinen Partner an. ‚Hast Du das gehört?‘ flüstere ich ungläubig. ‚Die Frau neben uns beschwert sich über die Oma in der Rehaklinik und hat genau dieselbe Figur.‘ Ich schüttle den Kopf. Wir lachen beide hinter vorgehaltener Hand. Jetzt fahren wir an einem kleinen Saunaboot vorbei, das ruhig auf dem grünen Wasser der Weser treibt. Der Mann im Inneren, der sich breitbeinig in der Hitze des Heißluftbades auf der Holzbank tummelt, sieht uns ganz entsetzt an. In Zeitlupe passieren wir das kleine Häuschen und haben gute Einsichten. Definitiv ist das zierliche Saunaboot noch das interessanteste Objekt dieser Schifffahrt. So ein Badeschiff sieht man nicht überall, das ist definitiv einen Blick wert. Auf die zweimal am Tag vorbei fahrende ‚Hessen‘ sind die Klinikgäste wohl nicht gefasst. Da hat der Herr in der Sauna Pech gehabt. Er musste ja auch bloß ziehen!


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