Der erste Phantasieautor…

Das Haus in Bamberg, in dem einmal E. T. A. Hoffmann gewohnt hat, ist denkbar unscheinbar. Ich hätte es fast nicht gefunden. Aber schließlich prangt an einer Glasscheibe des E. T. A. Hoffmann Theaters eines seiner Zitate. ‚Ich denke mir mein Ich durch ein Vervielfältigungsglas – Alle Gestalten, die sich um mich bewegen sind Ichs und Ich ärgere mich über ihr Tun und Lassen.‘ Der 32-jährige Hoffmann hatte Jura studiert und war mit dem Zusammenbruch des preußischen Reiches arbeitslos geworden. Er hatte daraufhin eine Stelle als Musikdirektor am Bamberger Theater angenommen. Am 1. Mai 1809 zog er daher mit seiner Frau Marianna, genannt Mischa, nach Bamberg. Die gemeinsame Tochter Cäcilia war kurz zuvor im Alter von 2 Jahren verstorben. Das Ehepaar wohnte anfangs in einer Wohnung direkt am Regnitzkanal. Allerdings gab es immer wieder Ärger mit der Vermieterin, die dem Musiker das Klavierspielen verbieten wollte. Die Hoffmanns zogen ein paar Häuser weiter. Jetzt bewohnten sie zwei Etagen über dem Besitzer des Hauses, dem Trompeter Kaspar Warmuth. In seinem Tagebuch notierte E. T. A. ‚Neue angenehme Wohnung bezogen mit herrlicher Aussicht in Berg und Thal. Auch ein Poetenstübchen dabei.‘ Darüber freute er sich wahrscheinlich besonders, denn Hoffmann schrieb dort als einer der ersten Phantasie- und Horrorautoren Deutschlands seine phantastischen Geschichten. Leider machte der Kater seines Hauswirts dicht neben seinem Schlafzimmerfenster der Nachbarskatze, in die er seit März verliebt war, jammervolle und dennoch in Gefühlen tief entbrannte, zärtliche Geständnisse. Hoffmann dürfte das erheblich beim Schreiben gestört haben.

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Über die Ausstattung der Wohnung ist weiter nichts überliefert. Lediglich, dass es in der Stube ein Loch gab, das in das obere Schlafzimmer führte. Es diente Hoffmann nicht nur zur Konversation mit seiner Frau, sondern auch zu allerlei komischen Überraschungen, die er ihr, durch das Herabhängen eines langen Handtuchs oder durch Herabwerfen eines Stiefelpaars und dergleichen bereitete. In schlechten Zeiten konnte sie die geworfenen Schuhe dann für einen Mahlzeit verkaufen. Der eigentliche Zweck der Öffnung war aber, die warme Luft des Ofens nach oben aufsteigen zu lassen. Nach einigen Aufführungen und Leitungen unter dem neuen Kapellmeister kommt es zum Eklat. Hopffmann stößt auf Widersacher. Ebenso ist seine Unerfahrenheit beim Dirigieren nicht unbemerkt geblieben. Man wirft ihm vor dies falsch zu tun. In der Folge darf er sein Amt nicht mehr ausüben. Lediglich sein Titel als Kapellmeister bleibt ihm und ein reduziertes Gehalt. Er betätigt sich nun als Theaterkomponist und schlägt sich mit dem Erteilen von Gesangsstunden an ‚höhere Töchter‘ durchs Leben. Oft fluchte Hoffmann über die unbegabten Schülerinnen und deren ehrgeizige Mütter. Nur bei Julia Mark war dies anders. Hoffmann hatte sie während einer Gesellschaft singen hören und stürzte sogleich auf die Mutter zu, um den schönen Sophran unterrichten zu dürfen. Hierzu kam er regelmäßig in das Haus ‚Zum goldenen Löwen‘. Eine unscheinbare Tafel an der Fassade des Hauses erinnert heute noch an diese literarisch ungemein folgenreichen Unterrichtsstunden. Hoffmann begann für die damals 13-jährige Julia zu schwärmen. Sie ahnte davon lange Zeit nichts.

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Im Frühjahr 1812 aber trat ein gewisser Kaufmann aus Hamburg, Gerhard Graepel, auf den Plan, offenbar ein rechte Pfeife. Julia wurde mit ihm verlobt. Auf der Verlobungsfeier kam es zum Desaster: Der Bräutigam betrank sich und riss seine Braut torkelnd zu Boden. Hoffmann beschimpfte ihn laut als Schweinehund. Am nächsten Tag entschuldigte er sich zwar bei Julias Mutter, musste sich aber von der jungen Braut bis zu ihrer Abreise nach Hamburg fernhalten. Er verfällt in eine tiefe Depression. Manche Hoffmannforscher vermuten, dass die reale Julia hinter einigen seiner Figuren steckt. Es sind zumeist Sängerinnen, die in seinen Erzählungen unerreichbar scheinen. In einer Geschichte muss ein Hund gegenüber der jungen Cäcilia, deren Ehemann sich ihr in der Hochzeitsnacht sehr grob genähert hatte, zum Beschützer ihrer Unschuld werden. Es spricht vieles dafür, dass sich hier eine Rachephantasie des Autors gegen den Kaufmann aus Hamburg wiederfindet. Das Tier zerfleischt den groben Kerl. Später verbreitete Fanny Mark, der Verehrer ihrer Tochter sei ihr schon immer suspekt gewesen. Tatsächlich sind aus Hoffmanns Bamberger Zeit einige wilde, exzentrische Geschichten überliefert. Dass er täglich trank und gegen die häufigen Magenkrämpfe Cognac, Rum oder Arrak einsetzte und die leern Flaschen liebevoll mit Röckchen und Hütchen ausstaffierte, gehört noch zu den harmloseren Legenden. Nach seiner gänzlichen Entfernung vom Theater beginnt für Hoffmann eine äußerst produktive Zeit. Er betätigt sich nun wieder als Musikschöfper, Karikaturist und Schriftsteller. Die Musik bleibt auch für den gescheiterten Kapellmeister die wichtigste Kunstform. Er hat das Gefühl, dass er ein guter Komponist ist.

Eher nebenbei entstehen in Bamberg seine ersten Werke, mit denen er als Autor sehr schnell die literarische Bühne betritt. Er schreibt sie in seinem ‚Poetenstübchen‘ meist zu später Stunden nach geselligem Zusammensein und in angeregtem Zustand. Hoffmanns Erfolge als Schriftsteller beginnen mit Musikkritiken und musikalischen Erzählungen, die in einer Musikzeitung in Leipzig abgedruckt werden. Dadurch schöpft Hoffmann Hoffnung als Schriftsteller Karriere zu machen. Aus dieser Zeit stammt neben ‚Ritter Gluck‘ auch die Erzählung ‚Don Juan‘. Ihr Schauplatz ist das Bamberger Theater, in dem die Laufbahn des Dirigenten ihr vorzeitiges Ende gefunden hatte. Hoffmanns Bücher leben durch die schroffe Gegenüberstellung von alltäglicher und märchenhafter Welt. Manchmal werden in seinen kunstvoll verschlungenen Romanen Abgründe menschlichen Denkens und Handelns vorgeführt. Schilderungen des Wahnsinns durchwandern seine Bücher und Persönlichkeitsspaltungen tragen zum Schauereffekt bei. Damit ist er seiner Zeit voraus, solche Geschichten möchte damals leider niemand lesen. Hoffmann besuchte mehrmals das Allgemeine Krankenhaus in Bamberg unter der Leitung von Adalbert Friedrich Marcus, dem früheren Leibarzt des Fürstbischofs. Hier wird Hoffmann zum Zeugen neuer Methoden zur Behandlung von Geisteskranken. An die Stelle von Aderlass und diversen Schocktherapien tritt der Brownianismus. Danach bedarf der Körper eines Gleichgewichts von innerer Erregbarkeit und äußerer Reize. Bamberg wird zum Zentrum dieser ‚romantischen Medizin‘. Fortschrittlich ist besonders der Gedanke, dass Körper und Seele als Ganzheit zu betrachten seien und das verlorene Gleichgewicht nur so wiederhergestellt werden könne.

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Hoffmann ist tief betroffen vom Anblick der psychisch Kranken. Er verfügt über ein enormes psychologisches Gespür für die dunklen Seiten des Seelenlebens. Nicht zufällig hat Sigmund Freud einen großen Aufsatz über Hoffmanns ‚Der Sandmann‘ geschrieben. Der Dichter vertieft sein intuitives Wissen durch die Lektüre medizinischer und naturkundlicher Schriften. Das literarische Resultat sind Fallbeschreibungen von Hypochondern, Melancholikern, Wahnsinnigen, aber auch Darstellungen neuartiger Therapien. Die Patienten sollen nicht in einer geschlossenen Anstalt verwahrt werden, sondern sich frei bewegen dürfen. Hoffmann nimmt in seinen Erzählungen die Forderungen der sogenannten ‚offenen Psychatrie‘ des 20. Jhd. vorweg. Ebenso übt er Kritik an der gefährlichen Machtposition des Therapeuten. Womöglich ist Hoffmanns Schaffenskraft und seine stete Berührung mit dem Unheimlichen selbst einer psychischen Erkrankung geschuldet. Wir werden es bedauerlicherweise nie erfahren. Nach dem Scheitern seiner Laufbahn kehrte Hoffmann in den Staatsdienst zurück. Lust hatte er keine, aber wohl eine Frau zu versorgen. Die Ermordung des Dichters August von Kotzebue durch den Studenten Sand ist der Anlass für die Karlsbader Beschlüsse 1819. Sie richten sich gegen jede staatsfeindliche Gesinnung liberaler oder nationalstaatlicher Art. Es entsteht ein Klima der politischen Intoleranz und der Verfolgung von Andersdenkenden. Dazu wird eine ‚Königliche-Untersuchungs-Kommission‘ eingesetzt, in dem Hoffmann per Kabinettsorder des Königs Mitglied wird. Der Dichter-Jurist hat jetzt demagogische Umtriebe zu untersuchen.

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Aus seinem Gerechtigkeitsgefühl heraus macht er sich zum Anwalt von Turnvater Jahn, den man wegen Demagogie in Untersuchungshaft festgesetzt hat. Er lässt dessen Klage gegen den Direktor der Polizeiabteilung zu. Dieser Polizist namens Carl von Kamptz wird in der Folge zu seinem erbitterten Gegner. Im 4. Abenteuer der Erzählung ‚Meister Floh‘ führt Hoffmann einen geheimen Hofrat Knarrpanti ein. Dieser trägt unweigerlich die Züge des preußischen Polizeidirektors Kamptz – Hoffmanns direktem Gegner. Der Dichter legt diesem Äußerungen in den Mund, durch die der Polizist in seiner intoleranten und rechtswidrigen Gesinnung demaskiert wird. Kamptz fühlt sich getroffen und veranlasst die Beschlagnahmung des Manuskripts beim Verleger in Frankfurt. An einer Stelle im Meister Floh will der Demagogenverfolger sogar ein Bekenntnis zu Gewalt und Mord erkennen. ‚Ich bin heute mordfaul.‘ (gemeint ist sehr faul oder mordsfaul). Carl von Kamptz schließt aus alledem, dass Hoffmann ihm nach dem Leben trachtet und selbst ein Staatsfeind sein muss. Der Polizeibeamte setzt ein Disziplinarverfahren gegen Hoffmann in Gang. Die kritischen Passagen seines Buches fallen der Zensur zum Opfer und werden erst rund 100 Jahre später wieder eingesetzt. Der verfolgte Dichter liegt zu dieser Zeit bereits auf dem Sterbebett. Da er gelähmt ist, muss er seine überaus geistreiche Verteidigungsschrift einem Schreiber diktieren. ‚Dem humoristischen Dichter muss es freistehen, sich in dem Gebiet seiner phatastischen Welt frei und frisch zu bewegen. Soll er sich in tausend Rücksichten einengen?‘ Ehe die disziplinarischen Maßnahmen in die Tat umgesetzt werden können, stirbt E. T. A. Hoffmann am 25. Juni 1822.

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Die Schriftsteller und Poeten seiner Zeit hatten von Hoffmann ein recht kritisches Bild und hielten tw. seine geschriebene Literatur für Schund oder die Eingebungen eines verwirrten Geistes. Goethe kritisierte z. B. dessen Werke immens. Laut ihm waren diese ‚Gesichte eines poetischen Geistes. Sie haben kaum so viel Gehalt, als den Verrücktheiten eines Mondsüchtigen allenfalls zugestanden würde, es sind fieberhafte Träume eines leicht beweglichen kranken Gehirns.‘ Heinrich Heine meinte hingegen, ‚Hoffmann sehe überall nur Gespenster. Sie nicken ihm entgegen aus jeder chinesichen Teekanne und Berliner Perücke. Er war ein Zauberer, der die Menschen in Bestien verwandelte und diese sogar in königlich-preußische Hofräte. Er konnte die Toten aus den Gräbern hervorrufen, aber das Leben stieß ihn von sich als einen trüben Spuk. Seine Werke sind nichts anderes als ein Angstschrei in zwanzig Bänden.‘ Bedeutsam ist der deutsche Erzähler
E. T. A. Hoffmann hingegen für Edgar Allen Poe, Dostojewskij und Gogol geworden. Eine breite Leserschicht findet er dennoch leider erst Anfang des 20. Jhd. Wie so oft im Leben eines Künstlers folgen Ruhm und Erfolg erst nach dem Ableben. Heute sind Hoffmanns Werke in viele Sprachen übersetzt. Jetzt ist die Welt zum Glück für seine Geschichten bereit.

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