Langsam lasse ich meinen Blick über die hellgrüne Grasfläche schweifen. Mir ist ganz erhaben zu Mute. Das hier einst eine derart entscheidende Schlacht stattfand, kann man heute lediglich erahnen. Ich stehe auf extrem geschichtsträchtigem Boden. Heute laufe ich auf denselben Pfaden, wie vor tausenden von Jahren römische Legionen. In den Boden eingelassene Metallplatten kennzeichnen deren Wegbeschreitung. Gegen 9 n. Chr. wurden in Germanien drei Römerlegionen in den Hinterhalt gelockt. In einem mehrtägigen Kampf wurden die 17., 18. und 19. Legion vernichtend geschlagen. Und hier bewege ich mich nun, für mich Geschichtsenthusiasten wirklich kaum zu fassen. Vermutlich auf genau der gleichen Stelle, an der vor über 1.000 Jahren die römischen Soldaten fielen und starben. Ihr Feldherr Publius Quintilius Varus nahm sich nach der Niederlage das Leben und Arminius der Cherusker ging als Sieger der Schlacht in die Geschichte ein. Wie konnte das geschenen, dass ein Haufen Germanen die Römer derart deutlich vernichteten? Und was wollten die römischen Soldaten eigentlich hier?
Die erste Begegnung mit den Germanen verlief für die Römer denkbar schlecht. 113 v. Chr. wanderten Kimern und Teutonen nach Süden und der Versuch diese zu stoppen kostete tausende Soldaten. Zwar gelang es schließlich die germanischen Soldaten zu besiegen, aber die Gegenseite bekam ordentlich was auf die Mütze. Von nun an war sie da, die Angst vor der teutonischen Raserei. Das kann man sich vermutlich so ähnlich vorstellen wie die Geschichten in den Asterixcomics. Nicht nur die germanische Kampfeswut war gefürchtet, sondern auch Lebensweise und Aussehen der wanderenden Völker aus dem Norden erschreckte. Die Germanen galten fortan als Bedrohung der römischen Zivilisation. Rund 50 Jahre später waren beide Völker Nachbarn und zwei Welten stießen aufeinander, die unterschiedlicher kaum sein konnten. Nur der Rhein trennte die zwei voneinander. Ärger war daher vorprogrammiert. Das römische Reich erstreckte sich damals vom Atlantik bis zum roten Meer. Die Germanen waren kein Volk, obwohl die Römer diese zusammenfassend so nannten. Sie hatten keinen König oder Kaiser. In manchen Stämmen gab es eine adlige Oberschicht, in einigen einen Anführer, in anderen wieder nicht oder man weiß es einfach nicht.
Sie kannten weder die Verwaltung noch Richter oder Beamte. Gab es wichtiges zu bereden, trafen sich die Männer beim Neumond zum Thing. Unter Vorsitz eines Priesters wurde dort dann debattiert. Anfänger und Adlige hatten vorrangiges Rederecht, aber bei der Abstimmung sollen angeblich alle beteiligt gewesen sein. Genau weiß man dies nicht, denn alle Quellen über die Germanen stammen von den Römern. Ob diese sich an die Wahrheit hielten ist fraglich. Es gab Gründe dieses Volk wilder darzustellen, als es eigentlich war, schließlich war dieses zeitweise der Feind. Wie es sich wirklich verhielt, ist daher aus den verzerrten römischen Texten kaum zu schließen und authentische Bilder gibt es leider auch nicht. Eine gewisse Bildung fehlte allerdings sicherlich, da diese einfach nicht gebraucht wurde. Im Alltag der Germanen wurde nicht geschrieben und der Handel erforderte keine Rechenkünste. Es wurde getauscht. Kinder wuchsen zuhause auf und arbeiteten mit, sobald ihr Alter es erlaubte. Dies war absolut kein Zuckerschlecken, Hunger und Kälte zerrten an der Gesundheit. Nur jedes dritte Kind erreichte das 5. Lebensjahr. Die Germanen lebten in verstreut liegenden Gehöften und Dörfern mit meist nicht mehr als 100 Einwohnern. Den Römern galten hingegen die Städte als Herrschaftssicherung und sie gründeten deshalb ständig neue Metropolen.
Rom hatte zur Zeit von Kaiser Ausgustus bereits bis zu 1 Million Einwohner. Um Christi Geburt verfügte das römische Imperium bereits über eine Berufsarmee von 28 Legionen zuzüglich Hilfstruppen. Das war auch für damalige Verhältnisse ein gewaltiges Heer. Doch die rund 170.000 Legionäre und etwa 130.000 Mann der Hilfstruppen hatten immerhin von der Nordsee bis Nordafrika für Sicherheit zu sorgen. Das klingt dann auf jeden Fall schon nicht mehr so viel. Allein die Bundeswehr hat heute ja schon 187.000 Berufs- und Zeitsoldaten. In Germanien gab es im Gegensatz dazu keine Armeen. Anführer und Krieger verband kein Vertrag, sondern ein Prinzip, das auf Freiwilligkeit beruhte. Das Oberhaupt versprach Ruhm und Versorgung, der Kämpfer bot hingegen seine Kraft in der Schlacht und der gemeinsame Erfolg schweißte zusammen. Konnte einer von beiden sein Versprechen nicht halten, trennte man sich. Je zahlreicher die Gefolgschaft umso größer war die Macht des Gefolgsherren und umso mehr Beute wurde gebraucht, um die Männer beisammen zu halten. So wurde zuweilen wohl auch manch unnötiger Konflikt heraufbeschworen. Bei Gefahr griff man(n) zur Waffe.
Ansonsten gab es Anhängerschaften in Form von Kriegerverbänden mit einem Anführer, die größere Bedrohungen abwerten und selbst auf Kriegszug gingen. Anstelle unzähliger Hierarchieebenen und Dienstgrade wie bei den Römern gab es nur Anführer und eben deren engste Vertraute und Kämpfer. Im Vergleich zu den römischen Legionen war die Ausstattung der germanischen Krieger ebenfalls anders. Sie waren viel bescheidener ausgerüstet, denn Eisen war knapp. Man musste sich auf das Nötigste beschränken: Schild, Lanze und Schwert. Doch so waren deren Mitstreiter viel beweglicher und konnten sich besser an den Feind anschleichen. Die germanischen Truppen vermieden es, dem Gegner offen entgegenzutreten. Stattdessen gingen sie meist überraschend zum Angriff über. In einer offenen Feldschlacht hätten sie gegen die gut bewaffneten und in Reih und Glied aufgestellten Römer keine Chance gehabt. Arminius, der die Germanen in die Varusschlacht führte, hatte einst für das römische Heer gekämpft und wusste dies daher. Aus Sicht der Gegner sahen alle germanischen Barbaren gleich aus, rotblondes Haar, blaue Augen und eine riesige Statur. Tatsächlich waren diese aber wohl keine Hünen und mit durchschnittlich lediglich 1,70m nur geringfügig größer als die Römer. Die Männer galten als verantwortungslose Faulpelze. Was natürlich auch nicht stimmte. Das tägliche Überleben war derart mühsam, dass alle Hände gebraucht wurden.
Das Rückgrat des römischen Heeres waren die Legionen. Diese bestanden im Idealfall aus 5.000 – 6.000 Männern und waren in 10 Kohorten gegliedert mit 6 Zenturien a 80 Mann, die aus 10 Zeltgemeinschaften bestanden. 8 Soldaten teilten sich ein Zelt und ein Maultier. Zusätzlich gehörten zu einer Legion 120 berittene Kundschafter, Boten und Vorposten, sowie 1.000 weitere Kräfte, wie Ärzte, Verwalter, Lagerarbeiter, Schreiber oder Stallburschen. Die Soldaten wurden umfassend ausgebildet und waren immens trainiert und gut gerüstet. Helm, Panzer und Schild schützten vor gefährlichen Hieb- und Stichverletzungen. Ihre Waffen eigneten sich für Fern- und Nahkampf. Allerdings wog eine solche Ausrüstung gut 30 Kilo und hinzu kam noch das Marschgepäck. Ordnung und Disziplin standen im Soldatenalltag an oberster Stelle. Nur so ließen sich tausende von Kriegern führen und im Kampf dirigieren. Bevorzugt wurde die offene Feldschlacht. Auf unvorhergesehene Überraschungsangriffe waren die Römer eher schlecht vorbereitet. Schnelle und spontane Reaktionen sah ihre übliche Kampftaktik nicht vor.
Ab 27. v. Chr. lebte an der Spitze des römischen Imperiums der Princeps Kaiser Augustus. Ihm unterstanden die adligen Senatoren und Ritter, meist sehr reiche Großgrundbesitzer, gefolgt von wohlhabenden Bürgern, die ebenfalls über politische Mitbestimmung verfügten. Vermögen und familiäre Herkunft bestimmten im Römerreich von Anfang an den Status des Individuums. Zuweilen konnten auch Bürger, die auf anderem Wege im Leben zu Ansehen und Wohlstand gekommen waren, in den Adelstand erhoben und Ritter oder gar Senatoren werden. Die Masse der Bevölkerung waren allerdings einfache Bürger. Viele von Ihnen lebten am Existenzminimum, vor allem in einer Stadt wie Rom. Doch auch wenn diese arm waren, hatten sie einen höheren Status als die Sklaven, die in vermögenden Haushalten mitunter besser lebten. Ein solches Glück war damals aber nur wenigen Sklaven vergönnt. Ihr gesamter Anteil an der Gesellschaft betrug rund 30%.
Die Mehrzahl schuftete unter zuweilen misserablen Lebensbedingungen in der Landwirtschaft, in Minen, Bergwerken oder Steinbrüchen. Dort bekamen sie gerade so viel zu essen, dass sie arbeiten konnten. Im Jahre 9. n. Chr. waren die Römer bereits 21 Jahre in Germanien präsent. Sie hatten die Nordseeeküste erkundet, waren bis zur Elbe vorgestoßen und hatten entlang der Lippe mehrere Lager gebaut. Sie hatten begonnen Verwaltungstrukturen einzuführen und sogar schon eine Stadt gegründet. Nichts schien einer neuen germanischen Provinz im Wege zu stehen. Zwar waren die Römer hier schon lange kein ungewohnter Anblick mehr, dennoch blieb das Verhältnis gespannt. Als Publius Quintinius Varus 7. n. Chr. das Kommando am Rhein übernahm, waren erst zwei Jahre zuvor Aufstände unter den Germanen blutig niedergeschlagen worden. Die angestrebt Eroberung des Gebiets wurde eine Geschichte des Scheiterns. Varus sollte die neue Provinz einrichten. Auf dem Rückmarsch von der Weser in das Winterlager an Lippe oder Rhein geriet er in einen Hinterhalt. Er verlor drei Legionen und beging aufgrund dieser Schmach Selbstmord. Alle Standorte rechts des Rheins wurden nach der Niederlage aufgegeben. Die Eroberung Germaniens wurde nach mehreren gescheiterten Versuchen eingestellt.
Die germanischen Kämpfer gewannen mit einer List. An der engsten Stelle zwischen Berg und Moor errichteten sie am Fuß des Kalkrieser Berges einen 400m langen Wall. Dank seines geschwungenen verlaufs fügte sich dieser unauffällig in die Landschaft ein. Zudem ließen sich auf dem Gebilde so mehr Krieger plazieren. Angreifer konnten von zwei Seiten in die Zange genommen werden und die Durchlässe ermöglichten plötzliche Ausfälle. Im Süden der Wall, im Osten und Westen ein Bach, im Norden die Senke und das Moor mit einem natürlichen Engpass von nur 6Km Länge. Was die Römer hier erwartete war eine tückisch präparierte Sackgasse mit nur wenigen Möglichkeiten auszubrechen. An der engsten Stelle zwischen Berg und Morast wurden die Legionen von den Germanen erwartet. Der römische Heereszug zog sich mitunter 10, 15 oder gar 20Km durch die Landschaft. Wenn sich an der Spitze etwas ungewöhnliches ereignete, dauerte es Stunden bis das Zugende hiervon erfuhr und diese den Ort selbst erreichten. Den römischen Autoren zur Folge erstreckte sich der Kampf über mehrere Tage und Orte. Ob Klakriese am Anfang, in der Mitte oder am Ende des Geschehens steht, ist ungewiss. Sicher scheint jedoch, dass hier nicht nur eine Einheit, sondern ein ganzer römischer Armeeverband in eine Schlacht verwickelt wurde.
Als der 51-jährige Varus und der 25-jährige Arminius, der damals in der römischen Armee diente und einen germanischen Hilfstrupp befehligte, sich trafen, deutet nichts auf ein Zerwürfnis hin. Man verbrachte die Abende, aß, trank und plauderte. Was also veranlasste Arminius zum Komplott? War Varus als Statthalter und Feldherr unfähig? Klare Antworten hierauf gibt es bisher leider nicht. Ursachen und Umstände der Schlacht werden bis heute diskutiert. Man weiß noch nicht einmal sicher, ob der Kampf überhaupt hier auf diesem Feld stattfand. Zunächst geriet die römische Niederlage auch in Vergessenheit. Erst ab dem 16. Jh. wurde sie in antiken Schriftquellen wiederentdeckt und der zugehörige tragische Ort gesucht. Einige der Texte hatten wohl verwahrt, aber kaum gelesen die Jahrhunderte in klösterlichen Bibliotheken überlebt. Sie wurden veröffentlicht und die Suche begann. Nach 1945 fiel die Begebenheit wieder der Vergessenheit anheim. Erst Ende der 1980er Jahre führten Indizien nach Kalkriese. Der englische Major Tony Clunn führte im Auftrag des örtlichen Archäologen Begehungen durch und entdeckte 160 römische Silbermünzen und kurz darauf drei römische Schleudergeschosse aus Blei. Er fragte sich darauhin, warum die Römer ausgerechnet in Kalkriese so viel Geld verloren hatte? Eine neue Recherche begann. Nach den bisherigen Erkenntnissen erstreckt sich das Fundareal über 30km². Mehr als 5.000 römische Artefakte vermittelten Einblicke in die Kampftaktik und den Verlauf einer antiken Feldschlacht zwischen Römern und Germanen. Leider sind die meisten in sehr schlechtem Zustand.
Nach 2.000 Jahren ist ein antikes Schlachtfeld keine reiche Fundgrube mehr. Viele ermittelten Zeugnisse sind so klein, dass selbst der Fachmann ratlos davor steht. Größere oder gar annähernd erhaltene Objekte sind Glücksfälle und entsprechend selten. Hier liegt nur noch das, was von Plünderern übersehen oder selbst von diesen als unbrauchbar erachtet wurde und die lange Zeit im Boden überdauert hat. Das meiste von den Römern konnten die Germanen natürlich gut brauchen und nahmen es mit. Der Rest wurde zelegt und nur die Metallteile behalten, denn diese ließen sich einschmelzen. Anm Wall wurden unzählige Metallfragmente bei Ausgrabungen entdeckt. Keine der gefundenen Münzen war vor dem 9. Jhd. n. Chr. datiert. Dies ist ein wichtiges Indiz dafür, dass es sich tatsächlich um die Varusschlacht handeln könnte. Alle Funde liefern zahlreiche Hinweise auf die Ausstattung der hier angegriffenen römischen Truppen und die Zusammensetzung des Heeres. Wissenschaftler vieler Disziplinen sind seither an den Forschungen beteiligt und verfolgen immer wieder das Schicksal der hier kämpfenden, beschämend besiegten Legionen. Armer Varus. Da hat der Selbstmord letzten Endes nichts gebracht. Dein Versagen beschäftigt bis heute Forscher aus allen Wissenschaftbereichen!
Es scheint gefallen zu haben, im schönen Bramscher Land? LG aus der Region!
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Das hat es. 😊 Sehr sogar! LG aus Karlsruhe
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