Voodoo mitten im Ruhrpott…

‚Ja Hallo!‘ begrüßt mich der ältere Herr freundlich. ‚Sehen Sie, ich habe gerade eine Führung durch mein Museum gemacht. Lesen Sie doch einfach die Schilder und kommen Sie zu mir, wenn Sie Fragen haben. Ok?‘ Ich nicke artig. ‚Darf ich bei Ihnen die Informationen fotografieren? Ich habe einen Reiseblog und schreibe gern darüber, wenn ich etwas Interessantes finde. Und das hier finde ich schon ziemlich spannend.‘ Begeistert führe eine Handbewegung aus, die den gesamten Raum des kleinen Voodoo-Museums in Essen mit einschließt. Der Museumsbesitzer zögert wahrnehmbar. Dann winkt er ab. ‚Na ja, Ich kann Ihnen ja ein bisschen was dazu erzählen.‘ Fotografieren darf ich also nicht. Er beginnt zu sprechen. Ich nicke ihm erwartungsvoll zu. ‚Das hier ist meine Forschungsarbeit der letzten 12 Jahre. Alles Sachen, die ich entdeckt habe. Auch wenn man meint, dass hier würde es in Afrika eigentlich nicht mehr geben. Das stimmt einfach nicht. Ich habe hier sieben Entdeckungen aus dem schwarzen Kontinent und in der Diaspora, also aus Haiti oder Kuba. Der Einfluss Afrikas, z. B. aus dem Kongo, ist unbestreitbar und hat diese Länder sehr beeinflusst. Es waren die ersten Sklaven, die gezwungen wurden Afrika zu verlassen. Die Kongo-Religion hat sich dann mit dem Voodoo zusammen getan. War man in einer katholischen Kolonie gelandet, konnte man alles Vodunwerkzeug (so nannte man diese Religion in Afrika) hinter den imposanten christlichen Heiligenfiguren verstecken. Es war dann am einfachsten weiter Voodoo zu praktizieren.‘

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‚Ich weiß über Voodoo eigentlich nur, dass er nicht immer böse ist. Man geht zu einem Priester dieses Glaubens, wenn man z. B. eine schwierige Schwiegermutter hat und diese besänftigen will oder wenn die eigene Frau keine Kinder kriegen kann. Es gibt also nicht nur den Voodoo-Religionsmissbrauch. Ich habe im Urlaub in der Dominikanischen Republik über einen Ausflug in Haiti mal eine Voodoo-Show besucht. Durch den Sklavenhandel wurde Voodoo von Westafrika nach Nord- und Südamerika und in die Karibik gespült. Dort vermischten sich die Rituale mit dem Christentum und den Religionen der Ureinwohner. Ursprünglich war dies vor allem in Togo, Benin und Ghana verbreitet. In unserer Reisegruppe befand sich eine rothaarige Frau und diese wurde auf einem Markt als Hexe beschimpft. Das weiß ich noch, weil es völlig unwirklich war. Ich hatte als Mitbringsel für meine Freunde damals Voodoo-Puppen an einem der Marktstände gekauft. Man verbindet diese Religion ja vor allem neben Zombies auch mit Nadelpuppen. Wahrscheinlich ist dies durch die Hollywood-Filme so.‘ versuche ich meinen Teil zum Gespräch beizutragen. ‚Wie hat dieses Interesse an Afrika denn eigentlich für Sie begonnen?‘ frage ich dann. Der Museumsbesitzer lächelt, dann fährt er fort. ‚Ich bin Ethnologe. Seit 52 Jahren beschäftige ich mich mit Magie, Heilung und Voodoo. Hauptsächlich natürlich in Afrika, aber auch in der Diaspora. Ich konnte in meinem Museum niemals alles ausstellen, was ich entdeckt habe. Hier zeige ich hauptsächlich Geheimgesellschaften aus Afrika, aber auch aus Haiti, Brasilien und Kuba. Ich versuche diese Kulturen weiter zu erforschen.

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Meine Entdeckung Nummer eins ist sicherlich die Ngui Voodoo Gesellschaft in Kamerun. Für diese Religionsform war der Gorilla ein Gott. Wenn ein Häuptling initiiert wurde, musste er einen solchen Gorilla töten und dessen Hirn und Herz essen. So bekam er die Kraft dieses Tieres. Die Maske aus dem Gorillaschädel benutzte man, um Hexen zu finden. Diese mussten aus der daran befestigten Kalebasse ein Pflanzengift trinken. Man dachte, dass diese Gesellschaft bereits 1900 ausgestorben war. Ich fand dabei den einzigen Beweis, dass es diese Verbindung je gab. Dieses Volk ist leider komplett missioniert worden.‘ Er deutet auf den ausgestellten Gorillaschädel, den ein Priester auf einer Fotografie vor sich hält. ‚Um ihn stehen Pygmäen, das sind Waldmenschen, die als einzige berechtigt waren diese Schädel zu tragen. Ich hatte damals den Häuptling gefragt, ob es keine Hexen mehr gibt. Er erwiderte, natürlich gibt es diese noch. Wir haben auch noch die Kalebasse mit Gift, aber den Gorillaschädel nicht mehr. Die Missionare hatten dies verboten, auf dem Giftbehälter war nun ein Kreuz. Die letzten zwölf Masken konnte ich noch retten und organisiere dazu eine Sonderausstellung in zwei Jahren.‘ Gebannt lausche ich seinen Ausführungen. ‚Und wie wurden Ihnen die Gorillaschädel letztlich überlassen. Hat man Ihnen diese einfach gegeben?‘ Er nickt. ‚Die sollten zerstört werden und wurden kontrolliert von der Mission und Polizei. Ich hab denen etwas dafür bezahlt und diese mitgenommen.‘

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Ich bin neugierig. ‚Haben Sie dann eine Zeit lang in Afrika gelebt?‘ Er schmunzelt. ‚Ja klar, es dauert bei jeder Geheimgesellschaft immer lange dazuzugehören. Man muss teilweise initiiert werden und baut ja nur langsam Vertrauen auf. Das ist etwas ganz besonderes.‘ Er führt mich zum Ausstellungsraum über Haiti. ‚Sie kennen bestimmt die Zombies?‘ möchte er wissen. ‚Die gibt es wirklich. ‚Nach dem großen Erdbeben in Haiti 2010 waren viele Tempel zerstört und es gab eine Menge von geistig verwirrten, die überall herum schlurften. In einer Psychiatrie in Port-au-Prince nahm ein Arzt Blutproben von den Patienten. In 20 davon fand er das Gift des Kugelfischs. Jeder Haitianer hat Angst vor dieser Infizierung, vor den Zombies selbst dann nicht. Die Bizango waren hier zuständig für die Zombiefikation, das war die schlimmste Strafe dort, schlimmer als der Tod. Die Queen, die das Zombiegift mischt, hat, wie sie auf diesem Bild hier sehen, einen zwanzigjährigen Sohn, der Künstler ist. Er hat diese Abbildung mir mal per Facebook geschickt. Ich suchte dann einen Kunden dafür. Ich habe auf der Malerei sofort gesehen, dass der junge Mann sich sehr gut auskennt und seine Mutter gerade Gift mischt. Ich habe ihn dann hierher eingeladen. Seine Mutter habe ich auch kennengelernt. Um einen Zombie aus dem Grab zu holen, nimmt die Queen so einen Sarg.‘ Er deutet auf die ein fache schwarze Holzkiste vor uns. ‚Dieser ist lediglich symbolisch und kein Mensch darin.‘

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Ich folge seinem ausgestreckten Zeigefinger. ‚Man platziert diesen auf dem Grab des Zombies. Durch ein gesungenes Lied der Königin erwacht der Tote. Er wird in verschiedene Seile eingewickelt, damit er nicht zum Angriff übergeht. Oder man hackt ihm den Kopf ab, um ihn unschädlich zu machen, falls er nicht richtig gefesselt ist. Seine Seele wird in einer Flasche aufgefangen.‘ Er deutet auf ein verknäultes Potpourri aus Nägeln und morschem Holz. Alle Nägel sind zusammengebunden. ‚Für jede Person, die der Geheimgesellschaft beitritt, wird zum Beschließen des Vertrags hier ein Nagel eingeschlagen. Bei einem Verstoß gegen die Regeln steht meist die Todesstrafe. Oder man geht zu einem Anwalt, aber die sind teuer. Sie kosten mindestens zwei Rinder und ein Schwein. Dann kommt man vielleicht noch raus. Einer der Bizango-Richter hat auch einmal ein Fehlurteil gesprochen. Er sollte dann seinen ältesten Sohn opfern, entschied sich aber dazu lieber seine zwei Arme abtrennen zu lassen.‘ Ich schlucke laut. Das sind ja in unserer Kultur kaum vorstellbare Zustände. ‚Und wie fangen Sie mit dem Kulturkontakt dann an? Sie gehen einfach irgenwohin nach Afrika und knüpfen an?‘ will ich interessiert wissen. Er blickt nachdenklich drein. ‚Also manchmal über Facebook wie gesagt.‘ er zuckt unschlüssig die Achseln. ‚Der junge Künstler, der hier war, musste mit der Voodoopriesterin, also seiner Mutter, ständig Kontakt halten. Sie hat begutachtet, ob er irgendetwas falsch macht und ihn dann lautstark angeschrien.‘

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Ich deute auf den Altar in der Ecke, auf dem zahlreiche Geschenke stehen. ‚War das Ritual hier?‘ frage ich recht schüchtern. Er schüttelt den Kopf. ‚Nein, das ist der Altar von Mami Wata.‘ So ganz will ich dem friedlichen Austausch nicht trauen. ‚Hatten Sie denn auch mal so richtig schlechte Erfahrungen?‘ Er scheint völlig gelassen. ‚Einmal bin ich ja von einem Volk vergiftet worden. Ich hab aber nun alles überlebt.‘ Er hebt beschwichtigend die Hand. ‚Wenn man von Bizango hört, ist dies alles grauenhaft. Aber diese Regeln machen durchaus Sinn. Mumifizieren ist natürlich furchtbar, aber teil dieses Strafsystems. Und jemanden zu ermorden ist ja auch schrecklich.‘ Ich presse die Lippen zusammen. Zombifikation oder Hinrichtung, was soll man sich da bloß aussuchen? Aber ich richte ja hier nicht. Das tun andere. Der Museumsgründer nimmt meinen hilflosen Blick wahr. ‚Ich versuche dies zu erklären so weit ich kann. Menschen aus christlichen Kulturen tun sich damit sehr schwer. Bizango kenne ich auch erst seit einem halben Jahr.‘ ‚Mischen Sie sich dann nie ein? Also ich sage ja immer, was ich denke.‘ gebe ich meine Gedanken preis. ‚Was ist wenn jemand zum Tode verurteilt oder wenn Kinder beschnitten werden?‘ frage ich brüsk. ‚Das ist doch verboten? Was enmpfinden Sie dann? Wie geht es Ihnen dabei?‘

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Er verzieht das Gesicht. ‚Ich finde das ganz furchtbar. Aber in Benin hat sich Lafontaines erste Frau bei der Beschneidung sehr eingemischt. Sie gab jeder Beschneiderin eine Nähmaschine. Ich wurde damals gefragt, ob ich das gut finde. Fand ich nicht, da es keine Sinn macht einer Frau dieses Gerät zu geben, die dann ein paar beliebige Scherben oder irgendeine Rasierklinge abgeben würde. Natürlich fuhr diese schreckliche Prozedur fort. Stoppen kann man dies nur über das Denken der Frauen in Afrika. Diese Gemeinschaft muss das selbst regeln. Natürlich kann man Frauen, die dagegen sind beschützen, aber dieses Ritual ist nicht von uns Westeuropäern verhinderbar. Aber ich finde dies keinesfalls gut. Dies ist einfach ein Teil Afrikas.‘ Er schüttelt nachdenklich den Kopf. Ich bin absolut beeindruckt. Der Ethnologe wird immer weiter forschen können, es wird immer neue Dinge zu entdecken geben. Das ist für mich eine tolle Tätigkeit. Eher eine Berufung, sicher nicht nur ein Beruf. Er sieht mein Interesse und informiert mich weiter. ‚Den Teufel gibt es in Afrika eigentlich nicht, diesen haben die Missionare mitgebracht. Es gab vorher für jedes Vorhaben eine zugeordnete Gottheit. Bizango im Speziellen ist eine sehr geschlossene Gesellschaft, quasi eine parallel Regierung in Haiti. Da kommt niemand von Außen rein. Man muss zur Aufnahme eine Prüfung bestehen.‘ Mein Blick fällt auf ein vielfach durchbohrtes Holz. Zahlreiche Nägel stecken darin.

Der Museumsführer sieht mich direkt an. ‚Wenn man einem Geist opfert, muss man diesen natürlich ständig füttern, mit Menschenschädeln z. B. Ich mache intuitiv einen Schritt zurück. Afrika hat mich auf meinen Reisen bisher noch nie so gereizt und das ist vielleicht auch nach diesen ganzen Ausführungen gar nicht so schlecht. Er schmunzelt verhalten. ‚Ich habe schon als kleiner Bub Bücher über Afrika durchblättert und dies sehr ausgekostet. Ich war 15 Jahre bei Geo in der Reiseredaktion beschäftigt. Das hat mich aber nicht glücklich gemacht. Immer wenn es interessant war, musste ich da aufhören. Das hat mir nicht gefallen. Meine langen Stduienreisen natürlich schon. Da habe ich dann einfach selbst ein Buch über afrikanischen Voodoo geschrieben. Mein Blick richtet sich auf einen ausladenden Altar in einer der Museumsecken. ‚Und wofür ist der gedacht?‘ Der Museumsbesitzer folgt meinem Blick. ‚Wie gesagt, der Altar von Mama Wati.‘ erklärt er dann. ‚Eine alte Wassergottheit. Dieses Heiligtum wurde speziell für mich gemacht. Er umfasst diesen gesamten Raum.‘ Er macht eine ausladende Bewegung mit beiden Armen. Dann lächelt er verschmitzt. ‚Ich habe hier einen Student, der jeden Samstag kommt. Sehen Sie die Täfelchen hier? Er würfelt vor dem Altar die Lottzahlen. Das macht er jetzt seit zwei Jahren. Und er gewinnt durch Mami Wati pro Woche immer zwischen 30 und 50 Euro.‘


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