Dortmund ist eng verbunden mit der ThyssenKrupp-Dynastie. Früher hieß die Firma Hoesch. Das gleichnamige Museum befindet sich in einer großen Villa. Seit dem 17. Jhd. betätigte sich die Gründerfamilie aus der Eifel im Eisengewerbe. 1871 siedelt sich das Eisenhüttenwerk im Norden der Stadt in Nordrhein-Westfalen an. Südlich davon entsteht sogar ein eigenes ‚Hoesch-Viertel‘. Das Gebäude mit dem Eingang, vor dem ich gerade stehe, gibt es seit 1914. Damals war dort ein Speisesaal, sowie die Polizei mit Arrestzelle und das Lohnbüro untergebracht. Auf dem Höhepunkt der zweiten Gründerwelle produzieren die insgesamt 12 Hochöfen der Firma mit 1.170 Mitarbeitern eine Roheisenmenge von rund 110.000 Tonnen. Der Aufschwung war eng verknüpft mit dem Ausbau der Eisenbahnnetze. Man produzierte Walzprodukte wie Räder, Weichensysteme, Transportwagen oder Schienen. Durch die Eingliederung von Fabriken und Zechen treibt die Firma den Konzernaufbau voran und wird von 1898 bis 1905 zum ertragreichsten Stahlunternehmen Dortmunds. Nach der Machtergreifung Hitlers suchte man das Gespräch mit der NSDAP. Der Ausbau der kriegswichtigen Verkehrsinfrastruktur und die Rüstungsindustrie lassen die Kasse auch nach der Weltwirtschaftskrise 1930 klingeln.
Nach 1945 werden der Automobil-, Wohnungs- und Maschinenbau zu Kunden und Abnehmern der Hoeschprodukte. Stahl braucht man aber auch für den Schiffsbau oder für Haushaltsgeräte. In den 1980er Jahren steigert sich der Konzern zu einem der führenden Unternehmen in Deutschland. Die Stahlindustrie fungiert als Konjunkturmotor für die deutsche Wirtschaft. Leider finden in Stahlwerken häufig Arbeitsunfälle statt. Wurde man dadurch schwerbehindert, fand man bei Hoesch immerhin noch eine Beschäftigung in der Sozialwerkstatt zur Metallverarbeitung oder Wartungs- und Reparaturarbeiten für die übrigen Betriebe. Erst in den 1950er Jahren wurden Arbeitsschutz und Unfallverhütung Bestandteile gesamtbetrieblicher Leistung. 1937 richtete man sogar eine Werksbücherei ein, 1950 kam eine Kinder- und Jugendbücherei hinzu. So konnten die Familien der Werksmitarbeiter in den 1970er Jahren auf insgesamt über 55.000 Bücher zugreifen. Ab 1953 erschien 40 Jahre lang die Zeitschrift ‚Werk und Wir‘, welche Einblicke in das Betriebsgeschehen über den eigenen Arbeitsplatz hinaus vermittelte. Seit den 1950er Jahren wurden auf Steckenpferd-Tunieren Hobbykunstwerke der Belegschaft präsentiert und ausgezeichnet. Einen Werkskindergarten gründete die Firma zusätzlich bereits 1900. Während der Weltkriege wurden die schulpflichtigen Kinder der bei Hoesch arbeitenden Mütter sogar tagsüber betreut. 1980 wurde daraus schließlich ein städtischer Kindergarten.
Seit 1917 kümmerte sich eine Fabrikpflegerin um die Gemeinschaftseinrichtungen, die Wohnungsfürsorge und um Ratsuchende in wirtschaftlichen und persönlichen Notlagen. Im 2. Weltkrieg stand logischerweise die Versorgung mit Lebensmitteln im Vordergrund. Für unterernährte Werksangehörige fanden sogar Erholungsfahrten statt. Ein Betriebsarzt konnte der Belegschaft Massagen, Heilbäder oder Höhensonne in den werkseigenen Räumen verordnen. Man versuchte die schädlichen Auswirkungen von Strahlungshitze, Staub, Lärm und Abgasen zu mildern. Vor und während des
1. Weltkriegs wurden Schlosser und Dreher ausgebildet und legten eine werksinterne Prüfung ab. Ab 1938 wurden die hüttenmännischen Berufe dann als Ausbildungsberufe anerkannt und die Prüfung erfolgte vor der IHK. Mit zunehmender Automatisierung und Mechanisierung stiegen die Anforderungen an das technische Verständnis der zukünftigen Hochöfner und Stahlwerker stark an. Später entwickelte sich aus dem Beruf des Hüttenfacharbeiters das Berufsbild des Anlagenmechanikers.
Hoesch wächst im Nationalsozialismus mit dem Ausbau der kriegswichtigen Infrastruktur und der Rüstungsindustrie beständig weiter. Durch die Rekrutierung von Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen wurde der Arbeitskräftemangel während des 2. Weltkriegs kompensiert. Die Unterkünfte erfüllen allerdings nicht die minimalsten Anforderungen an Hygiene und Ernährung. 3.700 Zwangsarbeiter arbeiten im Januar 1944 in der Produktion und bei der Beseitigung von Trümmern. Bei Kriegsende sind mehr als 3.000 Tote unter den Beschäftigten zu beklagen. 20 schwere Luftangriffe zerstören die Dortmunder Stahlwerkanlage zu mehr als 60 %. Nach dem 2. Weltkrieg erschweren das Warten auf die Betriebserlaubnis und die Demontage der Elektroöfen den Neustart. 1950 geht Hoesch in die Liquidation, es entstehen drei Nachfolgegesellschaften. Die folgende Boomphase des Wiederaufbaus ist durch enorme Investitionen und stürmisch wachsende Beschäftigungs- und Umsatzzahlen gekennzeichnet. Um die Ende der 1960er Jahre drohende Stahlkrise zu bewältigen, fusioniert Hoesch mit einem anderen Hüttenwerk. Zehn Jahre später führen enormer Kostendruck und Strukturprobleme zur Trennung. 1969 versammeln sich etwa 100 Vertrauensleute vor der Firma, um den Betriebsrat bei der Forderung nach einer Lohnerhöhung zu unterstützen. Die unterschiedlichen Lohnniveaus in den einzelnen Werken werden als ungerecht empfunden. Im Verlauf der nächsten zwei Tage schwillt die Zahl der Streikenden an. Die Arbeit im Werk kommt zum Erliegen. Der Hoesch-Streik weitete sich auf ganz Westdeutschland aus. Man einigt sich darauf 30 Pfennig pro Stunde mehr für alle zu zahlen.
1972 gründet Hoesch mit einem weiteren Unternehmen zu je 50 % Beteiligung ESTEL. Fortan liegt die Firma mit einer Rohstahlproduktion von 11 Mio. Tonnen und fast 80.000 Beschäftigten auf Platz 3 der Stahlerzeuger in Europa. 1974 erreicht die Stahlproduktion mit 12,1 Mio. Tonnen Rohstahl ihren Höhepunkt. Trotz wirtschaftlicher Erfolge müssen in den Folgejahren Betriebe stillgelegt und Stellen abgebaut werden. Die Stahlkrise, ausgelöst durch die Erdölkrise, führt zu hohen Verlusten. Ein radikaler Personalabbau ist die Folge. Allein in Dortmund sind etwa 5.500 Beschäftigte betroffen. Um weitere 10.000 Anstellungen zu retten, wollen NRW und die Bundesregierung die Hälfte der Kosten für einen Stahlwerksneubau in Höhe von 243 Milliarden DM übernehmen. Allerdings wird die Bewilligung erst 1979 erteilt. 1980 wird deutlich, dass der Hoesch-Vorstand die Planungen eigentlich gar nicht durchführen will. Die angestellten Arbeiter protestieren natürlich sofort gegen den zu erwartenden Verlust von Arbeitsplätzen. Bürgerinitiativen unterstützen die Belegschaft. Es bildet sich auch eine Hoesch-Fraueninitiative mit 20 Mitgliedern. Mittels Unterschriftaktionen, Infoständen und Demonstrationen beteiligen sich die Frauen an der Bürgerbewegung unter dem Ruf ‚Stahlwerk Jetzt‘. Mehr als 13.000 Signaturen werden an einem Vormittag gesammelt. In der Bevölkerung stößt die Forderung nach dem Neubau des Stahlwerks auf großen Anklang.
Die Frauen appellierten an die Bevölkerung und weisen auf die gefährdete Zukunft von zehntausenden Familien durch eine mögliche Massenarbeitslosigkeit hin. Sie singen selbst gedichtete Lieder und verteilten zu Hause gebackene Arbeitsplätzchen. Ihre Kritik richtete sich hauptsächlich gegen den Hoesch-Vorstand Detlef Rohwedder. Sie bemängeln die starre Haltung des Konzerns. Diese sture Festgefahrenheit trieb 7 Frauen in der Nacht zum 5. Februar 1981 an in den Hungerstreik zu treten. Unterstützer stellten ihnen einen Wohnwagen und einen Streikofen als Schutz vor der eisigen Kälte zur Verfügung. Eine Sprecherin und eine Ärztin begleitete die Damen. Noch im Dunkeln und mit Erstaunen nahm die erste Schicht die Flugblätter der streikenden Frauengruppe entgegen. Die Aktion sprach sich auch überregional herum und zog Presse, Unterstützer, Schulklassen und Neugierige an. In den nächsten Tagen trafen Unmengen an Solidaritätsschreiben aus der ganzen Republik ein. Der Dortmunder Designstudent Gisbert Gerhard begleitete die ‚Stahlwerk jetzt!‘-Proteste und vor allem die Aktivitäten der Fraueninitiative mit seiner Kamera.
Im Fokus stand für ihn die Begegnung mit den einzelnen Menschen, deren emotionales und intellektuelles Engagement er festhalten wollte. Mit seiner Serie über die Hoesch-Frauen wollte der Fotograf die Besonderheiten der Dortmunder Bewegung dokumentieren, sah die Bilder aber immer auch als politisches Instrument. Letztlich wurde das Hoeschwerk nicht geschlossen und der Stahlwerkneubau erfolgte. Hohe Investitionen bringen die Firma schließlich auch wieder in die Gewinnzone. Die 1988 verabschiedeten Unternehmensgrundsätze, neues Corporate-Design und die ersten internationalen Konzerntagungen beleben das Wir-Gefühl unter den Beschäftigten. Die Rückbesinnung auf die Wurzeln des Konzerns gipfeln 1989 in der Eröffnung des kleinen Museums, in dem ich gerade stehe. 1990 hatte Hoesch sich zu einem vielfältigen Industriekonzern entwickelt mit 52.200 Mitarbeitern und 16,1 Mrd. DM Umsatz. Retten konnte die Marke Hoesch sich dennoch nicht. Dies allem Arbeitskampf zum Trotz. 1991 fällt der amtierende Vorstand Detlef Rohwedder einem RAF-Attentat zum Opfer und wird in seinem Arbeitszimmer erschossen. Im selben Jahr erwirbt Krupp die Kapitalmehrheit. 1992 erlischt Hoesch komplett.