‚Nehmen Sie mich etwa auf?‘ empört schaut die Mitarbeiterin des Regierungsbunkers in Ahrweiler mich an. Ich schüttele unwirsch den Kopf. ‚Ich mache nur Bilder.‘ Ich halte der Museumsführerin meine Fotolizenz unter die Nase. ‚Als ob man die ganzen Infos nicht im Internet finden würde.‘ flüstert mein Freund mir zu. Da hat er recht. 2,5 Millionen Euro hat es gekostet die Bunkeranlage für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Träger ist ein Heimatverein. Grundlage des Areals sind zwei ehemalige Eisenbahntunnel. Unser Tourguide fährt fort. ‚Wir gehen zurück in das Jahr 1870 bzw. 71. als Deutschland den deutsch-französischen Krieg gewann und Lothringen annektierte. Damals wollte man von dort ins Ruhrgebiet eine Eisenbahnstrecke bauen um Erze und Kohle zu transportieren. Hintergedanke war aber auch bei einem neuen Krieg Waffen und Soldaten zu bewegen. 1910 begann man mit dem Bau. Als Deutschland den 1. Weltkrieg verliert, beschließt man schließlich den Eisenbahntunnel nicht weiterzubauen. Hier entstand dann eine Champignonzucht. Damals waren Pilze noch eine Delikatesse und noch nicht Massenware wie heute. Bis 1943 war an diesem Ort die größte Champignonzucht Deutschlands. Danach diente der Tunnel zum Bau von V2 Raketen durch Zwangsarbeiter und Häftlinge und ab 1943 als Schutzbunker für die Bevölkerung. 1945 nach Kriegsende sollte das gesamte Gelände gesprengt werden, letztlich wurden durch die Sprengung aber nur die Eingänge verschüttet.
1953 entscheidet sich das THW eine Bundesschule in der Anlage zu errichten. 1955 tritt die BRD der NATO bei mit der Auflage, dass sich die deutsche Regierung einen Ausweichsitz suchen muss, um im Krisenfall handlungsfähig zu bleiben. Natürlich in der Nähe der damaligen Bundeshauptstadt Bonn. Die Wahl fiel auf Ahrweiler. Sämtliche Regierungsorgane waren hier untergebracht. Das war natürlich nicht optimal, da im Ernstfall alles vernichtet worden wäre. Besser sind natürlich verschiedene Standorte, diese wurden aber nicht gefunden und man entschied sich 1959 bzw. 60 den Ausweichsitz im Ahrtal einzurichten. Jeder Bauteil des Bunkers ist autark, hat also eine eigene Strom- und Wasserversorgung oder Müllentsorgung etc. Die gesamte Anlage misst 17,33 Km, ganz ablaufen werden wir diese heute zum Glück nicht. Was denken Sie, für wen war das hier gedacht?‘ gespannt sieht unsere Museumsführerin die Besucher an. ‚Für die Regierungspersonen, allerdings ohne Familienmitglieder, die hier 30 Tage im Ernstfall verweilen sollten.‘ Unsere Touristengruppe schlendert gemütlich den eisigen Gang entlang. Hier unten ist es furchtbar frisch, vielleicht um die 12 Grad. 4 Haupteingänge hat die Anlage, die durch zwei dicke Rolltore verschlossen werden können. In lediglich 10 Sekunden sind die Tore zu. ‚Vorführen können wir die Schließung leider nicht.‘ ertönt die hohe Stimme der Museumsmitarbeiterin. ‚Wenn Sie dazwischen geraten, hab ich sie quadratisch, praktisch, gut.‘ sie lächelt matt.
Unter der Erde weht nicht das leichteste Lüftchen. Ich ziehe den Reißverschluss meiner Jacke zu. Meine Finger sind klamm und ich schiebe sie zum Wärmen in meine Manteltasche. Auf einem Bildschirm wird in einem kleinen Film gezeigt, wie eine Torschließung abläuft. Nervtötend zerreißen die schrillen kontinuierlichen Signaltöne die Atmosphäre im Tunnel und werden immer schneller. Die Tore bewegen sich im kleinen Fernseher an der Wand unaufhörlich aufeinander zu. Ich halte beide Hände vor die Ohren, eine furchtbare Melodie. Endlich sind die Tore zu und der Ton verstummt. Unser weiblicher Tourguide räuspert sich. Das Echo zerreißt die eisige Stille der Anlage. ‚Alle zwei Jahre fanden hier NATO-Übungen statt. Nach zwei Wochen hier unten hat sich bei einigen Platzangst und psychische Belastung eingestellt. Im Ernstfall wären die Liebsten ja auch den Wirren des Krieges ausgesetzt, während man selbst hier unten sicher stationiert war. Dies bezeichnet man als Bunkerkoller, nur damit Sie dieses Wort auch einmal gehört haben.‘ Sie winkt unsere Gruppe in den nächsten Raum. ‚Sind wir komplett?‘ fragt sie leise. ‚Wenn der letzte bitte die Türe schließen könnte, wir haben dann eine bessere Akustik.‘ Sie führt eine ausladende Handbewegung durch den kalten Raum.
‚Bei einem atomar-biologisch-chemischen Angriff können Sie hier natürlich nicht einfach hereinspazieren. Sie müssen erst eine Entgiftung in einer Dekontaminationsanlage über sich ergehen lassen. Da befinden wir uns im Moment. Als Erstes legen Sie die verstrahlte Kleidung ab, diese wird entsorgt. Danach müssten Sie zum Duschen kommen. Das Wasser hierbei hat man mit hochverdünnter Säure angereichert, Salz-, Ameisen- oder Zitronensäure. Natürlich kaltes Wasser, damit der Kreislauf nicht hochfährt und man nicht schwitzt. Damals dachte man, dass das Gift sich dann schneller im Körper verteilt.‘ Sie deutet auf eine kleine Glasscheibe. ‚Durch das Sichtfenster hier konnte man Sie begutachten. Natürlich mit Scheibenwischer, falls das Glas beschlägt.‘ Ihr ausgestreckter Finger zeigt zur nächsten Tür. ‚Im nächsten Raum erhalten Sie neue Kleidung und werden in einem Arztzimmer versorgt.‘ Ich stoße an ein Fahrrad. ‚Entschuldigung.‘ murmle ich. Die junge Angestellte sieht mich abrupt an. ‚Die waren zum Zurücklegen der Strecke um von A nach B zu kommen. Jeder besaß seinen eigenen Drahtesel. Oder läuft jemand von Ihnen 17.33 Km zur Arbeit, in den Kindergarten oder die Schule?‘ Niemand meldet sich. Die Museumsführerin nickt zustimmend. ‚Insgesamt arbeiteten hier ständig 180 Personen, davon 140 für die einzelnen Werke, 30 für die Verwaltung, 10 für die Sicherheit. Alle waren Beamte. Die dürfen nämlich nicht streiken. Im Falle eines Angriffs wäre das lebensbedrohlich gewesen.
Repariert wurde hier alles selber, damit niemand von Außen Informationen an den Feind weitergeben konnte. Früher standen hier lange Regalreihen mit Ersatzteilen, diese sind leider nicht erhalten geblieben.‘ Sie hält ein schmales Foto hoch um zu zeigen wie es damals hier aussah. Alles ist sauber und ordentlich aufgeräumt, nahezu perfekt organisiert. Der Bunker ist bestens vorbereitet, falls etwas kaputtgeht. Ich knipse ein Foto von meiner Freundin vor dem eisigen Labor innerhalb der Anlage. Die Museumsmitarbeiterin dreht sich zu uns um. ‚Wir befinden uns jetzt hier in der Kommandozentrale. Wenn man sich die Schalttafel anschaut ist diese recht übersichtlich und einfach. Von hier aus hätte man erkennen können, ob in der Anlage eine Störung vorliegt. Ebenso konnte man vor hier alle Tore öffnen und schließen. Vielleicht ist Ihnen die Kamera im vorigen Raum aufgefallen? Dort konnte man genau prüfen, wer hinein und hinausgeht und dann entscheiden, ob derjenige eingelassen oder ausgesperrt wird. Hauptinitiator der Anlage war übrigens Konrad Adenauer.‘
Wir spazieren ein paar Schritte den langen Gang entlang. ‚Man hatte hier eine eigene Feuerwehr. Die Exponate, die Sie hier sehen, erklären sich eigentlich von selbst. In dem blauen Werkrettungswagen dort sehen sie oben zwei Fluchthauben mit einer Maske. Man hatte nicht so sehr Angst vor dem Feuer, das hätte man ja löschen können. Eher vor der Gasentwicklung aufgrund der Räumlichkeiten wegen einer Kohlenmonoxidvergiftung. Man hatte dadurch 15 – 20 Minuten Zeit um einen Raum zu finden ohne Rauchentwicklung. Was denken Sie, wusste jemand, dass die Bunkeranlage hier existiert?‘ fragend blickt die Frau uns an. Ich schweige, keine Ahnung. Sie schüttelt den Kopf. ‚Vermutlich nicht. Auch Interpol wurde von der Bundesschule des THW getäuscht. Geheimhaltung damals war wesentlich einfacher als heute. Es gab ja keine Videoüberwachung und kein Internet. Man bezahlte ja auch nicht mit der Bankkarte. Die Menschen waren damals gutgläubiger, heute ist die Bevölkerung viel kritischer als in den 60er oder 70er Jahren. Jetzt würde man alles viel mehr hinterfragen.‘ Wir stehen direkt unter einer Öffnung, vermutlich einem Rohr.
Die Museumsmitarbeiterin setzt erneut an. ‚Dieser Schacht schließt in 30 Millisekunden. Auf dem Dach außerhalb befinden sich Sensoren, die einen Angriff bzw. große Hitze melden und den Deckel schließen. Dann wird auf Notbetrieb umgeschaltet. Nach einiger Zeit öffnet sich die Abdeckung wieder. Die Luft wird durchgeschoben und besonders gereinigt und fein filtriert durch einen Aktivkohlefilter. Irgendwo im Wald um Ahrweiler befinden sich Treppen, die hier hinunter zum Deckel führen.‘ Sie schmunzelt. ‚Um die Wohlfühlatmosphäre hier drin zu steigern hat die NATO während ihrer Übungen grüne Wände bevorzugt, so wurden diese auch gestrichen. Ebenso hat man in die Decke ein paar Steine aufgesetzt, um einem Unwohlsein durch Platzangst und hohe Wände vorzubeugen. Es gab hier auch katholische und evangelische Gottesdienste. In 4 Kiosken gab es Wein, Bier und Kümmerling zu kaufen.‘ Ich werfe einen Blick auf die Preisliste, die an der Wand hängt. Für eine Flache Bier 2,00 Mark, heute sehr günstig, damals bestimmt überaus teuer. Allerdings hätte ich das auch ausgegeben, würde ich hier festsitzen. ‚Und wie hat man sich hier mit seiner Familie in Verbindung gesetzt?‘ unser Tourguide wartet nicht auf unsere Antwort. ‚Alle Telefonate wurden mitgehört. Deshalb fasste man sich kurz.‘ Mein Blick schweift zum altertümlichen Telefon, das an der Wand befestigt ist. Keine Privatsphäre.
Dann höre ich der Museumsmitarbeiterin wieder zu. ‚In dieser Anlage gab es 897 Büros. Nur ein Büro ist übrig geblieben, ganz typisch wie man sich dies in den 80er Jahren vorstellt.‘ Ich sehe mich im Raum um. Holzköfferchen stehen auf dem Boden, darauf steht Ost-West. ‚Damit ist der Transport der Hauspost von Ost nach West gemeint, mit dem geteilten Deutschland hat die nichts zu tun. Es gibt hier den Ost- und den Westbauteil.‘ informiert uns die Museumsführerin. ‚Obwohl man damals über Leben und Tod nachgedacht hat, gibt es hier für die Ankunft des Bundeskanzlers oder -präsidenten sogar einen Friseursalon. Schließlich wächst der Bart und auch die Haare. Nur Leute, die sich pflegen sind anderen überlegen! Dieser Spruch hängt ja hier an der Wand. Der Bundeskanzler muss schließlich für die Bevölkerung gestylt werden, wenn er eine Rede hält, die über den Fernsehbildschirm gesendet wird. Die vorgesehenen Einzelzimmer hatten sogar ein Bad mit Badewanne als Privileg. Absurd, aber wahr. Insgesamt gab es hier übrigens 996 Schlafräume, manche Trakte wurden nur während Übungen genutzt. Die Mehrbettzimmer der Nichtpolitiker waren natürlich viel spartanischer und einfach eingerichtet. Übrigens hatte z. B. Bundeskanzler Helmut Schmidt nie Lust für eine Übung hier zu sein. Er hat einfach jemanden ernannt, der für ihn teilnimmt. Dies machten alle anderen auch so. Im Ernstfall hätte also kein Amtsinhaber über die Vorgehensweise hier unten Bescheid gewusst. Eine blöde Situation.‘ Sie hebt beschwichtigend beide Hände. ‚Helmut Schmidt war übrigens tatsächlich hier vor Ort, allerdings damals als Verteidigungsminister. Ludwig Ehrhardt, der Zigarrenraucher, war auch mal da.‘ Über ihre Lippe huscht der Anflug eines verschmitzten Lächelns. ‚Und Herr Kohl, aber der war wohl nicht in dieser Anlage, sondern nur in den umliegenden Restaurants.‘