Meine Füße sind furchtbar kalt. Ich trete von einem Fuß auf den anderen. Meine frostigen Zehen fühlen sich derart taub und gefühllos an, als würden diese anstelle meiner zu einer anderen Person gehören. Vor mir erstrecken sich die Überreste eines 1.000 m2 großen römischen Herrenhauses. Ein antiker Gutshof mit Mauern, die bis zur tatsächlichen Fensterhöhe erhalten sind. Bei Straßenarbeiten in Bad Neuenahr-Ahrweiler hat man die antiken Überreste entdeckt und danach ausgegraben. Nachdenklich lege ich den Kopf schief. Ob man das wohl gleich merkt, wenn man auf eine antike Ausgrabung stößt? Wenn nicht zerstört man ja schnell etwas. Bestimmt war man sehr überrascht als im schönen Ahrtal ein römisches Häuschen unter der Erde gefunden wurde. Spuren der Römer im Umkreis des Ortes waren ja bekannt, aber bisher gab es nur wenige Expertenmeinungen, die annahmen, dass der örtliche Landkreis früher intensiv römisch besiedelt war. Man hatte bei Ahrweiler antike Denkmäler aufgespürt. Ich spaziere über die alten Pflastersteine des Bodens vorbei an der Küche zum ausladenden Badesaal. Es gab hier früher sogar schon eine Fußbodenheizung. Ebenso einen Friedhof anbei. 32 frühchristliche Gräber befanden sich hier einmal. Heute sind es nur noch drei.
Ich erreiche den Badesaal. Über einen Gymnastikraum gelangte man damals zuerst in ein Kaltwasserbecken. Dort schloss sich der beheizte Umkleideraum an, in dem man seine Kleider ablegte. Wegen der Wärmeentwicklung auf den Fußböden durch die Heizung zog man hölzerne Sandalen an. Damit sich der Körper allmählich an die heißen Temperaturen gewöhnen konnte, besuchte man zuerst das Warmbad. Danach das Heißbad, dessen Raumtemperatur bis zu 50 Grad betragen konnte. Das Wasser lag etwa bei 40 Grad. Zurück ging es dann in umgekehrter Reihenfolge. Zum Abschluss erfrischte man sich im Kaltwasserbecken des Kaltbaderaums. Nach dem Bad ließ man sich einölen und massieren. Die Römer sind für ihr aufwendiges Badewesen bekannt. Ein richtig gutes Programm zur Erholung, denke ich. Fast so wie unsere Schwimmbäder, in denen meist auch eine Sauna inkludiert ist. Neben den hygienischen Aspekten war das römische Bad zusätzlich Treffpunkt der Menschen. Es diente neben der Reinigung, auch der Förderung der Gesundheit und des Wohlbefindens, sowie der Pflege sozialer Kontakte. Ein öffentlicher Begegnungsplatz, an dem man sich verabredete und über Geschäfte, Politik und Privates sprach. Wie bei den Griechen galt auch bei den Römern am Anfang nur kaltes Wasser als gesundheitsfördernd.
Beim Wort kalt denke ich wieder an meine eisigen und starren Zehen an diesem verregneten, grauen Morgen. Im Laufe der Zeit änderte sich zum Glück die Auffassung und man genoss die Annehmlichkeiten wohltemperierten Wassers. Viele heutige Kurorte gehen auf römische Heilquellen zurück. Die Anzahl öffentlicher Thermen im gesamten römischen Reich war groß, ein Zeichen für die Bedeutung des Badens im Alltag der römischen Antike. Neben den öffentlichen Bädern, die durch Steuern und Spenden finanziert wurden und daher kostenlos genutzt wurden, gab es auch zahlreiche private Bäder. Nachmittags und Abends wurde das Badegebäude in Ahrweiler von der Sonne beschienen. Das Bad wurde auch eher später am Tag, nach Erledigung aller Geschäfte, aufgesucht. Frischwasser lieferte der nahegelegene Bach und in der unmittelbaren Umgebung gab es genügend Holz zur Befeuerung der Fußbodenheizungen. In kleine Nischen stehen die Schutzgötter der Familie und des Haushalts, die Laren. Sie wurden mit den vergöttlichten Seelen der verstorbenen Vorfahren gleichgesetzt, bei allen Familienfesten verehrt und begleiteten stets die gesamte Familie.
An ein paar winzigen Spielsteinen halte ich inne. ‚Venari, Lavari, Ludere, Ridere, hoc est vivere!‘ entziffere ich. ‚Jagen, baden, spielen, lachen, das heißt leben!‘ lautet die Übersetzung. Dieser Spruch charakterisiert anschaulich den Stellenwert der Freizeitgestaltung im alten Rom. Spiele nehmen viel Zeit ein und bieten die Möglichkeit dem Alltag kurz zu entfliehen. Zahlreiche auf Treppenstufen gemalte oder eingeritzte Spielfelder geben davon Zeugnis. Überliefert sind verschiedenste Würfelspiele. Der glücklichste Wurf im Spiel war der ‚jactus veneris‘, den man der Gunst der Göttin Venus zu verdanken glaubte. Der schlechteste der ‚jactus canis‘, der Hundswurf. Kinder spielten gerne Nüssespiele, bei denen es auf Geschicklichkeit ankam. Heute kann man sich das so ein bisschen wie unser Boulespiel vorstellen, nur das man versucht Nusshäufchne zu treffen. Heranwachsende ließen sprichwörtlich ‚die Nüsse zurück‘ wenn diese erwachsen wurden. Daneben gab es auch noch Ball- oder Versteckspiele, die durch Bilder spielender Kinder auf Grabdenkmälern überliefert sind. Würfel aus Knochen waren ein gerne genutztes Spielgerät. Je nach Lage der einzelnen Knochen in dem Wurf wurden die Punkte vergeben. Knochen verwendete man auch als Orakelsteine. Den Römern haben wir einfach tolle Begebenheiten zu verdanken. So stammt auch der Weinbau von ihnen. Im lieblichen Ahrtal gibt es davon reichlich. Und später hoffentlich auch in meinem Glas.
Vielleicht waren ja auch die Hänge hinter der Römervilla in Ahrweiler ursprünglich mit Wein bepflanzt. Der Grundstein für den Weinbau war den Römern als ursprünglich einfachem Hirtenvolk nicht in die Wiege gelegt. Wein war in der frühen Republik keineswegs ein Alltagsgetränk und der Konsum Frauen zeitweise sogar verboten. Mit Geschick fand das römische Volk für die schwierigen Weinlagen die ideale Position. Ob in Bordeaux oder am Rhein – die Spitzenlagen von heute waren damals bekannt. Ein gutes Mahl und Vielfältigkeit beim Essen war den Römern sehr wichtig. Heute würde man sie als ‚Gourmets‘ bezeichnen. Neben Obst und Gemüse spielten ebenso Fleisch und Fisch eine wichtige Rolle in der täglichen Ernährung. Pfirsiche, Feigen, Äpfel und Gurken gab es damals schon. Die Römer erfanden auch Aquädukte als Abwasserkanäle und setzen die Voraussetzungen für die Staatsform der Demokratie mit ihren Rechten und Pflichten. Sie hatten ein voll entwickeltes Rechtssystem mit Gesetzen, Richtern, Anwälten und Strafen. Man wurde vor Gericht gestellt, die Verteidigung und die Anklage gaben Plädoyers ab. Die Römer schrieben nicht einfach nur Gesetze auf, sie hielten auch die Fälle fest, die verhandelt wurden. Dies wurde Zivilrecht genannt. Vielen Aristokraten wurde der Weinbau zum Hobby. Dies ging so weit, dass in der Zeit der Weinernte Gerichtsferien waren, damit diese Herren nicht in der Stadt aufgehalten wurden. Und gerade deshalb – was bin ich froh um die Ausbreitung der Römer!