Bremer Geschichtenhaus

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Ich sitze zwischen einer Horde von Schulkindern in Bremens Schnoorviertel. Laut schlagen ihre Knöchel an die Bankpfosten.Alle sind unruhig und gespannt auf die Führung, die nun folgt. Benjamin heißt der Junge neben mir. ‚Ach, ein Haufen Landratten.‘ schreit ein Seemann uns plötzlich an. ‚Na dann los, ab an Bord mit Euch!‘ Die Kinder und ich erklimmen die schmale Treppe hinauf in den Bug des Schiffes. ‚Setzt Euch hin, wo Platz ist!‘ lautet der Befehl des Matrosen. Der Mann beugt sich vor. ‚Also bisschen angeflunkert habe ich Euch ja. Das ist nicht mein Schiff. Naja, zumindest noch nicht. Ich bin mit dem guten Kapitän Hansen noch nicht so einig. Ich soll seine Tochter heiraten.‘ nachdenklich legt der Mann den Zeigefinger ans Kinn. ‚Aber die Freiheit aufgeben für so ein Stück Treibholz…?‘ Er schüttelt unwillig den Kopf. ‚Also ich hab ja schon weiß Gott viele Seeungeheuer gesehen, aber die Tochter vom Kapitän, die übertrifft alles.‘ er atmet hörbar ein. Dann zuckt er hilflos die Schultern. ‚Man hat mir immerhin schon erzählt, sie soll gut kochen können. Ihr seht ja wie gerne ich esse.‘ er klopft sich lächelnd auf den Bauch und winkt ab. Liebe geht durch den Magen, murmele ich leise. ‚Wäre ja sowieso fast alles egal gewesen. Wir sind gerade zurück aus Holland gekommen und wären beinahe gesunken. Wir hatten das Schiff bis oben hin voll mit Ware. Ich hab gedacht, ich trau meinen Augen nicht. Vor dem Hafen lagen hunderte Schiffe und wir fanden uns in dem schönsten Feuergefecht wieder. Wir konnten ja nicht wissen, dass sich Engländer und Holländer gerade nicht mochten. Diesmal kam sogar noch ein Franzose mit dem Namen Sonnenkönig dazu. Ich wusste ja gar nicht, dass man das überhaupt werden kann.‘ er schlägt sich überrascht auf die Knie. ‚Deren Kriegsschiffe hatten 16 Kanonen von dieser Größe.‘ Seine riesigen Hände machen eine ausladende Handbewegung, dann senkt er beschwichtigend seine Finger. ‚Die hätten uns aus dem Wasser gepustet, wenn wir gefeuert hätten. Wie sollte ich denen also schnell zeigen, dass wir Bremer sind? Unsere Stadt ist ja neutral. Leider hängt unsere Flagge an der Rückseite unseres Schiffs, wo diese nicht gesehen werden konnte. Ich habs zum Glück geschafft, unser Segelschiff sicher und schnell zu wenden. Aber ich weiß ja auch, wie man mit Mädchen umgeht, nicht?‘ Er grinst.

Ich laufe mit der Schulklasse eine Treppe hinauf. Auf dem Marktplatz steht vor einem Fischkorb eine ältere Frau und stemmt die Hände in die Hüften. ‚Sagt mal ist auf Eurem Weg vielleicht Luzie an Euch vorbei gekommen?‘ keift diese los, sobald wir alle sitzen. ‚Eigentlich versprach sie mir um halb zwölf wieder hier zu sein. Jetzt ist es 5 vor und sie ist immer noch nicht da.‘ Sie bemerkt mein erstauntes, überfordertes Gesicht. ‚Na Luzie.‘ sie hebt die Hände als wäre das völlig klar und ausreichend. ‚Unsere Fischfrau!‘ Dann fährt sie an die Kinder gewandt fort. ‚Na dann wollen wir uns mal anständig begrüßen, also Moin!‘ Die Antwort der gesamten Schulklasse hallt durchs Museum. Die Frau winkt uns kurz zu. ‚Luzie behauptet natürlich Ihr Fisch sei der Beste. Das stimmt natürlich nicht.‘ informiert sie uns und zuckt dann unwillig die Schultern. ‚Unser Hauptthema ist aber unsere Frau Meierles. Die denkt doch wirklich sie wäre etwas besseres. Sie trägt die Nase gern ein bisschen höher. So weit, wenn es regnet, dann tropft es auf jeden Fall dort hinein. Die kommt hierher auch nicht zum Einkaufen, sondern nur zum Streiten. Das letzte Mal hat sie an meinem Stand alles begutachtet und auch noch alles angetascht. Dann meint sie noch zu mir: Katharina, Deine Kartoffeln sind zu weich, die Zwiebeln lassen auch zu wünschen übrig und über die Gurken wollen wir gar nicht reden. Da könnt ihr Euch vorstellen, dass ich richtig sauer wurde. Eine Kartoffel ist auch geflogen, ich hab sogar getroffen. Sieht den meine Ware so schlecht aus?‘ Sie deutet auf den Korb, den sie vor sich stehen hat. ‚Ja‘ rufen die Kinder. Das Gemüse sieht auch wirklich nicht gesund aus. Es ist ja schließlich auch aus Stoff und Plastik.

Die Frau lächelt kurz und ereifert sich dann weiter. ‚Sie baute sich dann vor Luzies Stand auf und behauptet ihr Fisch würde stinken. Wie wäre es denn, wenn jemand Eure frische Ware anfasst? Diese könntet ihr ja dann auch nicht mehr verkaufen?‘ sie sieht uns alle fordernd an. ‚Die hat wirklich jeden Fisch in die Hand genommen. Was haben die beiden sich am Fischstand gestritten! Da sind Worte gefallen, die möchte ich keinesfalls wiederholen. Auf einmal wurde Luzie richtig ruhig und das ist sehr gefährlich.‘ sie hebt uns zur Untermalung den Zeigefinger der rechten Hand entgegen. ‚Luzie drehte sich also um und Frau Meierles meckert immer noch. Also stellt sich unsere Fischverkäuferin in einem guten Stand hin und lässt die Dame auch noch ausreden. Nachdem das letzte Wort ausgesprochen war, da hörte man vom Fischstand nur noch ein Klatschen und dieses wieder und wieder. Das hat geklungen, das kann ich Euch sagen! Aber anschließend sah die gute Frau Meierles mit den Fischschuppenabdrücken richtig gut aus. Die waren nicht zu übersehen. So wie du mit deinen roten Wangen!‘ Sie deutet auf ein pausbäckiges Mädchen in der Menge. Ab geht die Luzie, denke ich. ‚Frau meierles rannte natürlich zu ihrem Ehemann und dieser dann zum Schutzmann. Jetzt steht Luzie mal wieder vor Gericht. Nicht das erste und sicher auch nicht das letzte Mal. Aber unsere Fischfrau kennt unseren Richter ja schon über 20 Jahre. Wahrscheinlich nur eine Geldstrafe wegen Körperverletzung. Und schlau ist sie ja schon. Richter Schmidt ist ja Kunde bei ihr. Da wird für ihn der Fisch eben mal ein bisschen teurer und schon hat sie ihre Strafe wieder drin. Am besten wären aber mal zwei Tage Gefängnis, das würde ihr gut tun. Sie ruht sich dann aus und ihr Ehemann versorgt die Fische.‘

Die Kinder erklären der Fischverkäuferin was in unserer heutigen Zeit Fischstäbchen sind. Dann klatschen wir alle und die Schauspielerin macht eine kleine Verbeugung. Ich stehe auf. Langsam gehe ich die Stufen hinunter. Mein Blick fällt auf ein buntes Plakat. BRAS e.v. – arbeiten in Bremen. Diese Einrichtung unterstützt wohl das Geschichtenhaus. Am Ausgangspunkt zur Ausstellung begegne ich dem Herrn des Museums, der mich bereits vorhin begrüßt hat. Wir setzen uns an einen der Holztische im Untergeschoss des Gebäudes. ‚Es hat mir gut gefallen.‘ beginne ich unser Gespräch. ‚Es war schön zu sehen wie die Kinder sich an der Führung beteiligt haben. Interaktive Ausstellungen gefallen mir immer sehr. Wie ist es denn zu diesem Museum gekommen?‘ Er nickt freundlich. ‚So ist das bei uns hier immer. Ich bin so etwas wie der Sprecher der Geschäftsführung, mache aber auch Rollenarbeit und kümmere mich um die Kostüme oder die Ausstellung. Wenn irgendetwas schief läuft werde ich gebraucht. Spielen tue ich daher leider kaum noch.‘ stellt er sich kurz vor. ‚Wie kam es zu unserer Ausstellung?‘ nachdenklich blickt er kurz in die Luft und dann wieder zu mir. ‚Früher war hier schon eine Ausstellung ähnlich wie heute, allerdings mit Multimedia, also Bildschirmen und Co. Dieses Unterfangen ging aber pleite und die Bude stand danach leer. BRAS ist unser Beschäftigungsträger. Das steht hier auch mit drauf.‘ Er schiebt mir eine Visitenkarte hin. ‚Die Stadt verhandelte dann mit dieser Firma unter der Forderung, dass dieses Museum in irgendeiner Form erhalten bleibt. Irgendwann wurde dann unsere Betriebsleiterin als Regisseurin hinzugeholt. Sie hat dann 2006 die ganze alte Technik raus geschmissen und mit richtigen Menschen gearbeitet. Alle unsere Geschichten haben mit Bremen zu tun. Jeder Besuch ist dabei anders, nicht immer werden dieselben Stücke gezeigt. Bis zu 250 Besucher schaffen wir hier am Tag.‘

Er lehnt sich zurück gegen die Wand. ‚Dieser Betriebsteil der BRAS funktioniert wirklich super. Mit Ehrenamtlichen, Kostümabteilung und Verwaltung haben wir hier insgesamt etwa 100 Leute beschäftigt. Wir haben die ganze Woche geöffnet, also einen 7 Tage Betrieb.‘ Fragend sehe ich ihn an. ‚Dann sind das hier also gar keine gelernten Schauspieler? Das merkt man wirklich überhaupt nicht.‘ Er schüttelt den Kopf. ‚Wir trainieren mit den Mitarbeiterin und lernen diese für das darstellende Spiel an. Hier ist es zum Theater auch ein großer Unterschied. Wir hatten hier auch Schauspieler, die sich nicht wohlgefühlt haben.‘ Ich stimme zu. ‚Das ist ja auch sehr viel Improvisation hier. Das muss einem auch liegen.‘ Er fährt fort. ‚Wir werden auch nicht aus dem Kulturtopf bezahlt, sondern vom Jobcenter und vom europäischen Sozialfonds.‘ Ich bin neugierig. ‚Wenn Sie jetzt sagen, dass Sie selbst auch gespielt haben, haben Sie dann eine Schauspielausbildung?‘ Er winkt ab. ‚Nein, wir haben alle keine Ausbildung für das Spiel, was wir hier machen. Ihre Rollen dürfen sich die Leute deshalb weitgehend selbst aussuchen. Wir schauen auch, dass wir die Rollen passend zu den Charakteren vergeben. Wir haben am Vormittag Trainings mit Körper- und Rollenarbeit. Bei manchen geht der Weg zur ersten Rolle erstaunlich schnell, andere tun sich sehr schwer und dies dauert ein ganzes Jahr.

Oft kommen die Menschen zu uns aus einer langen Arbeitslosigkeit. Danach sind diese verständlicherweise sehr zurückhaltend und können sich nicht vorstellen gebraucht zu werden und dadurch Bestätigung zu bekommen. Wer nicht spielen will, betreut z.B. die Gäste oder den Ticketservice. Wir haben hier auch des Öfteren Kindergeburtstage. Ich bin auch einmal arbeitslos gewesen und habe dadurch zu diesem Projekt gefunden. Es macht mir richtig viel Spass hier zu arbeiten. Das ist ja auch ein tolles Projekt.‘ Das finde ich auch. Wirklich unglaublich, was hier dahinter steckt. Ich bin total positiv gestimmt. ‚Durch das Projekt A&I, also Arbeit und Integration, haben wir hier sogar Flüchtlinge, die bei uns Deutsch lernen. Sie kommen aus Syrien, Afghanistan, dem Irak, Iran oder z. B. Eritrea. Dadurch hat sich der Umgang untereinander bei uns auch noch einmal verändert und es klappt richtig gut. Einige hatten natürlich Berührungsängste und eine gewisse Distanz dem Fremden gegenüber gab es durchaus. Wir müssen ja auch überlegen, wie wir jemanden, der nicht aus Deutschland kommt, in Bremer Geschichten einbringen. Das ist manchmal ein Balanceakt. Allerdings kamen in unsere Hansestadt natürlich auch Fremde.‘ ‚So ein tolles Unternehmen hätte ich hier gar nicht erwartet. Wie kommen denn die Leute dann zu ihnen? Melden die sich einfach irgendwo?‘ Etwas blauäugig komme ich mir mit meinen Fragen gerade vor, habe mir aber über solche Dinge noch nie Gedanken gemacht.

‚Die werden meistens vom Jobcenter geschickt.‘ informiert er mich. ‚Viele haben kleine Jobs gehabt, werden dann wieder arbeitslos und finden ewig nichts. Sie machen diesen ganzen Zyklus also schon ziemlich lange mit. Manche kommen hier gut zurecht, die mit einer normalen Arbeit überhaupt nicht klarkommen würden. In den sogenannten sozialen Arbeitsmarkt passen die einfach nicht. Viele sind auch gesundheitlich angeschlagen oder irgendwann zu alt.‘ Ich habe bereits einmal in der Personalabteilung als Assistenz gearbeitet und weiß, er hat recht. Wird man gekündigt, wird es ab 55 schon schwer wieder einen Job zu finden. Er erklärt weiter. ‚Viele sind auch chronisch krank und können auf dem normalen Arbeitsmarkt überhaupt nichts erreichen. Sie können z.B. nicht lange stehen oder sitzen. Da versuchen wir dann, die Rollen und die Museumsumgebung anzupassen. Wir versuchen einfach den Bezug zu sich wieder herzustellen, damit die Leute sich wohlfühlen. Die Menschen brauchen manchmal einfach wieder Struktur in ihrem Leben. Ich freue mich jeden Tag auf diesen Job, auch wenn die Schauspieler manchmal anspruchsvoll sind wie kleine Kinder.‘ ‚Das ist eine richtig wertvolle Arbeit.‘ stimme ich zu. ‚Welche Besucher sind Ihnen den am liebsten?‘ Er denkt kurz nach. ‚Wenn man selber spielt, ist es am einfachsten, wenn man eine homogene Gruppe hat, z. B. die Besucher durch eine Firmenveranstaltung. Am Schwierigsten sind pubertierende Teenager. Die haben oftmals keine Lust. Wenn man erzählt, dass sie vor 200 Jahren in ihrem Alter bereits 10 Jahre arbeiten würden, dann bekommt man manchmal ihre Aufmerksamkeit.‘

Ich nicke. ‚Ja, das macht sicher Eindruck!‘ stimme ich zu. Er lacht kurz, dann fährt er fort. ‚Eine besondere Herausforderung für die Schauspieler sind sicher beeinträchtigte Gruppen. Die Reisefirma Quertour kommt jeden Monat mit Menschen mit Behinderung und in Rollstühlen. Wir haben ja hier einen Fahrstuhl, das geht dann zum Glück. Uns besuchen auch Blindengruppen oder Menschen mit Alsheimer, die sind durchaus am spannendsten. Bei einer Aufführung hat der Schauspieler einmal angefangen zu singen und die Senioren haben alle eingestimmt. Bei sehschwachen oder blinden Besuchern geben wir auch viel mehr Gegenstände zum Befühlen herum. Einige tasten die Schauspieler dann auch mit den Händen ab. Das mag aber sicher nicht jeder, wenn ihm ins Gesicht gefasst wird. Besuchen uns Flüchtlingsgruppen treten auch die Mitarbeiter aus dem A&I Projekt auf. Bei gemischtem Publikum spielen wir am liebsten für die Kinder, die lassen sich am meisten begeistern. Bei Gruppen von 3-6 Jährigen tritt natürlich die Giftmörderin Gesche niemals auf und auch die Pest wütet nicht in Bremen. Nur englische Führungen bieten wir derzeit nicht an, da haben wir niemanden.‘ ‚Ihr nehmt ja wirklich alle Gruppen mit.‘ sage ich begeistert. ‚Können Sie sich vorstellen nochmal etwas anderes als das zu machen?‘ will ich neugierig wissen. Er reibt sich das Kinn. ‚Schwer. Ein Job bei dem man so viel Freude und Befriedigung hat, wo finde ich das denn noch?‘


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