Tagesausflug nach Baltrum

IMG_20190917_144048Die Abfallcontainer stehen alle aufgereiht im Hafen von Langeoog. Ein ankommender Frachter bringt Lebensmittel und Baumaterial auf die Insel und nimmt den angefallenen Müll mit. Vor Jahren hatte man das Abwasser von Langeoog in Dünenteile abgeleitet, die sich nicht bei der Süßwasserlinse unterhalb der Insel befanden, die hier die Trinkwasserversorgung sichert. Heute gibt es am Hafen eine moderne Kläranlage, die einen Großteil des Schlicks aus dem dreckigen Wasser herausfiltert und soweit trocknet, dass er viel weniger Gewicht und damit auch leichtere Fracht ausmacht. Unsere Fähre liegt bereits im Hafen. Wir fahren heute nach Baltrum zum Inselwitz. Einmal im Jahr treffen sich Cartoonisten auf der kleinsten Nordseeinsel, deren Fläche gerade einmal 5km² umfasst. Das Meer ist stürmisch. Die weiße Gischtkrone der Wellen türmt sich bis hinauf zum Fenster des Unterdecks, auf dem ich gerade stehe. Ich bin dem Wasser und seinen Naturgewalten ganz nah. Unsicher schwanke ich zu den wogenden Wellenbewegungen über Deck. Wie alle anderen Passagiere taste ich mich Schritt für Schritt voran. Die wichtigste Regel auf einem Schiff lautet ja, eine Hand für das Boot, eine Hand für sich. Auf diese Art versuche ich das Taumeln auszubalancieren.

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Die fließenden Bewegungen der Wellen formen sich um den Bug unserer Fähre immer wieder neu. Mit unbändiger Rauheit peitschen sie gegen das feuchte Metall der Bootswände. Ein wildes auf und nieder, in dem man als Mensch schwer das Gleichgewicht hält. Mit 50Km/h weht der Wind über die tosende Wasseroberfläche. Einer der Matrosen packt angesichts der starken Böen seine Mütze weg. ‚Kann mal jemand den Ventilator ausschalten?‘ murmelt er. ‚Meine Kappe hab ich lieber weggepackt, bevor sie fort ist.‘ meint er zu seinem Kollegen. ‚Der Mattes hat seine bereits verloren.‘ erwidert sein Gegenüber. ‚Das sind Seeleute!‘ Er schüttelt ungläubig den Kopf. ‚Ist doch schon die Zweite jetzt.‘ Der Mattes ist wohl kein richtig erfahrener Seemann. Ich stemme mich auf dem Oberdeck gegen den heftigen Wind und komme kaum voran. Ständig überrollt mich eine neuer Windstoß. Ich erfahre mit aller Wucht, dass ich dieser immenser Kraft viel zu wenig Angriffsfläche biete. Das erste Mal in meinem Leben, dass ich mir wünsche, ich wäre dicker! Die Windrichtung wechselt. Eine stürmische Brise im Rücken treibt mich auf einmal ganz schnell voran. Ich schlittere über Deck. Dann erreicht unser Boot endlich Baltrums Hafen.

Die Geschäfte und Cafés auf der kleinen Insel liegen völlig im Dunkeln. Auch im Museum, das den Inselwitz beherbergt brennt kein Licht. Enttäuscht spähe ich durch die dunklen Glasscheiben. Verärgert mustere ich die Öffnungszeiten. Wir haben genauso lange Aufenthalt bis alle Einrichtungen wieder öffnen. Wir stolpern durch den zierlichen Ort auf der Suche nach einem geöffneten Restaurant. Die Reederei hat unseren Aufenthalt genau in die Stunden der Mittagsruhe geplant. Ich komme mir veräppelt vor. Unter diesen Umständen lohnt sich der Tagesausflug überhaupt nicht. Man sollte ihn dann nicht anbieten. Vermutlich nimmt man das Geld der Touristen aber trotzdem gerne mit. Neben mir wird das lose Schild der Touristinfo über die Straße geblasen. Gräser und Büsche biegen sich unter der gewaltigen Stärke des Windes. Türen öffnen und schließen sich von selbst. Eine Bank am Strand wurde durch den gewaltigen Sturm umgeworfen. Wir stehen nun dazwischen und können nirgendwo Unterschlupf suchen. Ein wunderschönes Naturschauspiel bietet sich uns dennoch. Mit Respekt einflößender Naturgewalt krachen die Wellen gegen die steinernen Ufer der Strandpromenade. Weiße Gischt flutet den Sand und setzt die bunten Strandkörbe unter Wasser. Nasse Wassertropfen und keine Sandkörner treffen schmerzhaft auf mein Gesicht.

Kraftvoll klatschen die Wassermassen auf die kleine Treppe, auf der ich stehe. Die Feuchtigkeit schwappt bis zu meinen Stiefeln und bedeckt meine Schuhe. Feiner Sand springt mir unter die Lider. Gequält schließe ich die Augen. Die rohe Gewalt beeindruckt mich. Die Sonne schiebt ihr Antlitz aus den Wolken. Zwischen meinen Zähnen knirscht der Sand. Ich stehe mitten im Sturm und bewundere die wilde Schroffheit der Szenerie, die auf ihre Art und Weise unbeschreiblich schön ist. So hat sich der Ausflug doch gelohnt. Kniehoch kleben die Sandkörner an meinen Beinen. Auf meinen Lippen liegt der salzige Geschmack des Meeres. ‚Oh eine verwehte Muschel!‘ grinst mein Partner, als er mich sieht. Genau so fühle ich mich auch. Die Kapuze ist tief ins Gesicht geweht. Meine verwuschelten Haare, die zu allen Seiten stehen, trüben mein Sichtfeld. Von Frisur fehlt derzeit jede Spur. Die Nase tropft permanent und meine Hände sind kalt und klamm. Radfahrer, die mit der Windrichtung fahren, flitzen durch die frische Brise im Rücken in Rekordtempo an uns vorbei. Ich finde endlich einen geöffneten Ort zum Unterstellen. Die alte Inselkirche trotzt dem Sturm. Die schwere Metalltür fällt hinter mir ins Schloss.IMG_20190917_141150

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Der Wind bleibt draußen. Sein monströses Rauschen pfeift um die Kirchenmauern. Ich spüre seine tobende Gegenwart und höre das volltönende Fauchen. Meine Hände werden wieder warm und ich kann diese bewegen. Dann müssen wir wieder zur Fähre und kämpfen uns gegen die kraftvollen Naturgewalten zum Bootsanleger. ‚Von Wind spricht man hier erst, wenn die Schafe kein Fell mehr an sich haben.‘ grinst einer der Matrosen als er meine wilde Frisur und die vielen Sandkörner sieht, die mein Gesicht und meine Kleidung überziehen. Ich lächle. Vorsorglich setze ich mich hin, während wir erneut durch die wogenden Wellen segeln. Wieder rutsche ich auf meinem Platz hin und her im chaotischen Rhythmus des aufgewühlten Meeres. Der Sitz unter mir vibriert vom Geräusch des Schiffsmotors. Ich streife den Sand von meinem Mantel und den Stiefeln. Meine Lippen sind immer noch vom salzigen Aroma der Nordsee überzogen. Jetzt will ich nur noch eins: Eine schöne heiße Tasse Ostfriesentee.

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