‚Haben Sie heute schon ein Freibier bekommen?‘ der ältere Mann sieht meinen Partner freundlich an. ‚Nein vielen Dank.‘ erwidert der. ‚Ich hab noch eins da!‘ drängt der Rentner und wedelt mit der braunen Glasflasche vor unserem Gesicht. ‚Lieb gemeint aber nein danke.‘ Sichtbar erstaunt nimmt der Anbieter sein Bier wieder mit. Ganz Eichstätt ist heute in Aufruhr. Das jährliche Volksfest findet gerade statt. Ein Pendant zum Münchner Oktoberfest. Paare in Lederhosen eilen uns entgegen. Eine Kutsche mit einer ganzen Dirndlgruppe fährt das volle Literbierglas auf dem Schoss oder an den Lippen lautstark singend vorbei. ‚Ich will nur noch heim.‘ murmelt ein junger Mann vor mir, der verzweifelt versucht auf sein Fahrrad zu steigen. Die Altstadt ist wie ausgestorben. Wir gönnen uns in den leeren Straßen einen Kaffee und nutzen die Isolation später für ein paar schöne Bilder oberhalb der Stadt in Eichstätts Willibaldsburg. Innerhalb der Festungsmauern schuf der Künstler Alois Wünsche-Mitterecker in seiner Werkstatt von 1958 bis zu seinem Tod während 20-jähriger Arbeit seine Figuren für das ‚Hessenthal‘.
In einer sanften Hügelmulde nahe Eichstätt befinden sich 78 teils überlebensgroße Plastiken aus Zement, Granit- und Basaltkörnern im Wilden Kampf als Mahnmal gegen Krieg und Gewalt. Sie kauern sich zusammen, bäumen sich auf oder kriechen scheinbar verwundet über das Gras. Alles erstarrt zu einem bizarren Schlachtfeld aus Stein. Eine Darstellung, welche tragisch-sinnloses Kämpfen und Fallen dokumentieren soll. Dabei ist völlig bedeutungslos wer Sieger und Besiegter ist. Ein Beweis der Hinfälligkeit des Menschen und seiner gewalttätigen Bestrebungen. Ein eigentümlicher Gegensatz zu der kargen Landschaft der Umgebung. Nach dem Tod des Künstlers 1975 wurden die letzten Entwürfe nach seinem Vorbild fertig gestellt und 1976-1978 auf dem Feld platziert. Den Ankauf des Geländes und die Ausführung des umfangreichen Werkes haben Stiftungen von Freunden des Bildhauers ermöglicht, dennoch ist es unvollendet. Der Nachmittag dämmert bereits und die Sonne verfärbt sich orange. Die warmen Strahlen tanzen auf den kalten Steinsoldaten und tauchen diese in ein lebendiges Licht. Wir haben das gesamte Areal für uns.
Später setzen wir uns auf die Terrasse des mexikanischen Restaurants nicht weit von unserem Hotel. Vor mir steht ein Glas Weißwein, mein Freund trinkt einen Cocktail. Ich strecke ihm die Hand hin. ‚Komm ich bring Dich jetzt ins Bett.‘ Belustigt sagt die männliche Bedienung, die uns abkassiert hat: ‚Muss man den denn schon festhalten?‘ Ich nicke ‚Der verträgt doch nix.‘ Mein Partner findet dies keinesfalls komisch. Meine dargereichten Finger berührt er nicht und er erhebt sich selbstständig aus seinem Stuhl. ‚Das stimmt doch gar nicht.‘ verteidigt er sich. ‚Was erzählst Du denn?‘ Ich habe sein Ego getroffen. Schmunzelnd sieht er mich an. ‚Jetzt weiß ja die ganze Stadt, dass ich nicht so viel trinke. Meinen männlichen Stolz so in Frage zu stellen. Das geht ja gar nicht.‘ Wirklich böse sieht er nicht aus. ‚Du solltest Dich echt schämen.‘ rechtfertige ich mich. ‚Als halber Franzose eine derart geringe Alkoholresistenz zu haben. Das gibt’s doch gar nicht.‘ Ich laufe durch das Tor zum Garten des Restaurants und wende mich nach rechts. Mein Freund zieht mich prompt am Ärmel und dreht mich in die andere Richtung. ‚Lisa, nach links. Unglaublich.‘ er schüttelt gespielt fassungslos den Kopf. ‚Da gibst Du vor dass ich Führung brauche und weißt selbst nicht wohin Du musst.‘ Ich muss lachen und hake mich bei ihm unter. Dann zwinkere ich ihm zu. ‚War doch ein schöner Tag heute! Gehst Du in dieses Restaurant jetzt nicht mehr mit mir?‘ Wir lachen beide über die Situation. ‚Doch.‘ sagt er dann versöhnlich. ‚Klar, ich komme wieder mit!‘