Im alten Lochwassergang

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‚Während wir unten sind erzähle ich eine Plumpsklo-Geschichte.‘ unser Reiseführer ist ein Nürnberger mittleren Alters. Ich rümpfe die Nase. ‚Ich zeige Ihnen jetzt die Bastionsanlage unserer Stadt mit den Kasematten und dem geheimen Lochwassergang. Wobei der nach unserer Führung natürlich nicht mehr geheim ist.‘ er grinst. Dann fährt er begeistert fort. ‚Wussten Sie das Nürnberg durch eine Romanze das erste Mal geschichtlich erwähnt wurde? Richolf, ein Adeliger im Dienste von Kaiser Heinrich III., hatte sich in seine Leibeigene Sigena verliebt. Da diese nichts anderes war als eine Sklavin, konnte der Ritter mit ihr keine freien Kinder zeugen. Der Kaiser schlug ihrem Herrn daher zum Zeichen ihrer Freisprechung eine Münze aus der Hand und so konnte dieser sie zur Frau nehmen. Die Spuren des Paares verlieren sich, geblieben ist die Urkunde, in der unsere Stadt am 16. Juli 1050 erstmals genannt wird.‘ Das klingt zunächst mal romantisch. Ob Sigena Ritter Richolf auch liebte? Immerhin ist es ein besseres Los die Frau eines Adligen zu sein als seine Leibeigene. Ich blicke mich auf dem großen Platz um, der von hübschen Fachwerkhäusern und einem Teil der mittelalterlichen Stadtmauer begrenzt und gesäumt ist. Nürnberg hat eine wunderbare Altstadt.

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Die vielen kleinen Cafés sind voller Menschen, die an diesem schönen Tag die Sonne genießen und dabei neugierig uns Touristen bei der Stadtführung zuschauen. ‚Sie fragen sich sicherlich, wie so eine Burg verteidigt wurde.‘ mit einer ausladenden Handbewegung deutet unser Stadtführer auf die Kaiserburg, die direkt über uns thront. ‚Man hat durch die kleinen Luken innerhalb der Festungswälle Nägel auf die Angreifer geschossen. Sie sehen auch hier die Schrägen an der Burgmauer. Diese Abgänge wurden mit Fett eingerieben, so war es unmöglich mit einem Seil oder einer Leiter Halt an den Wänden zu finden. Alle Artillerietürme, die Sie sehen können haben eine runde Form. Durch diese Bauweise kann ein Kanonengeschoss wenig Schaden anrichten und prallt an der gerundeten Fassade ab. Ebenso versah man die Torbögen mit einem Knick um die Rammböcke des Gegners nicht einfach durchzulassen. Die einzige Schwachstelle der Burg sind Ausfalltritte, die in den Schlossgraben führten. Dies war aber niemandem bekannt und die Einwohner haben wohl alle dicht gehalten. So wurde Nürnbergs Kaiserburg auch niemals eingenommen. Erst als 1798 die Franzosen kamen hat die Stadt sich ergeben.‘

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‚Diesen Gullideckel da drüben werden wir nachher von unten sehen.‘ ich folge dem ausgestreckten Finger des Einheimischen.‘ Plumpsklo- Geschichte und Gullideckel klingt ja zunächst gewöhnungsbedürftig, denke ich und trotte hinter unserer Reisgruppe her. Der ältere Herr, der uns begleitet, kennt jedes Geheimnis. Sehen Sie dort die Ritterfigur an der Fassade? Dort lebte 1786 ein Rüstungsmacher. Früher gab es noch keine Hausnummern und da mussten potentielle Kunden den Plattner auf diese Weise finden.‘ Auf dem Weg in die Kasematten spazieren wir an einem kleinen Weinberg vorbei. Unser Reiseführer berührt die kleinen lila Säckchen, die um die Spitzen der Reben geschlungen sind. ‚Seit etwa 3 Jahren bauen hier direkt unter der Nürnberger Burg ein paar junge Leute wieder Wein an. Die bunten Kapuzen hier sind allerdings nicht zum Schutz vor der Witterung, sondern gegen den Kahlfraß durch Vögel und Touristen.‘ Das kann ich mir vorstellen, ich nicke still. Die Rebstöcke befinden sich mitten in der Altstadt und laden durchaus zum Naschen ein. Dann erreichen wir den Eingang zu den unterirdischen Kasematten der Burganlage. Auf zur Plumpsklo-Geschichte, denke ich und ziehe aufgrund des niedrigen Türgangs den Kopf ein.

‚Der Architekt Antonio Fazuni trat von sich aus 1538 an den Rat der Stadt Nürnberg heran um sein Geschick bei der Verbesserung der Befestigung der Burganlage anzubieten. Er erhielt den Auftrag zur Erweiterung der Kaiserburg um Bastionen im Norden und Westen und zur Renovierung der bestehenden Anlage. Dies alles sollte er in 7 Jahren Bauzeit fertigstellen. Das muss man sich mal vorstellen. Heute dauert ja allein die Planung meistens schon so lange.‘ Unser Reiseführer schüttelt ungläubig den Kopf. Mit Begeisterung für den schnellen Architekten in der Stimme fährt er fort. ‚Der Künstler hat diesen Zeitplan auf den Tag eingehalten. Sein Werk war derart stabil, dass sein Gebäude die verheerenden Bombenangriffe während der Weltkriege, denen große Teile der Anlage zum Opfer gefallen sind, überstanden haben. Diese sind heute noch in ihrer ursprünglichen Gestalt zu sehen. Teile des massiven Kasemattensystems im Fundament der Anlage wurde sogar erfolgreich als Luftschutz-Unterstände genutzt. Fazuni erhielt für seine Arbeit damals 700 Gulden, das sind umgerechnet etwa 175.000 Euro. Ganz schön viel. ‚Suleyman der Schreckliche‘ stand zu diesem Zeitpunkt bereits vor den Toren Wiens. Die Nürnberger hatten Angst, dass der Sultan weiterziehen und ihre Stadt angreifen würde. Um ihm standzuhalten kam eine Burgrenovierung gerade recht, auch wenn man sehr viel Geld investieren musste.‘

Unsere Reisegruppe schlendert durch die weiten Gänge der Kasematten, die ungewöhnlich hohe Decken haben. Unser Tourguide bemerkt meinen Blick nach Oben und informiert mich umgehend. ‚Der Architekt schuf hier unten durch die hohen Gänge ein System, in dem der Qualm der Kanonen in die Höhe zog und die Verteidigung nicht einnebelte. Das hier sind Drillingsscharten zum schnellen Nachladen und Schießen zu Dritt. Leider sind die Einbuchtungen heute zugemauert gegen die Ratten. Und was ist das?‘ er deutet auf ein eingekerbtes Zeichen in den Mauersteinen. Meine Finger gleiten über den glatten Sandstein und befühlen die eingeritzten Symbole. Sie kehren immer wieder, auf etlichen Steinquadern bis zum Ende des schier endlosen Ganges. Der Nürnberger sieht mich an. ‚Dies sind Zeichen eines Steinmetzes. Man hat seine Signatur in die Steinblöcke geritzt bevor diese von Ochsenkarren in die Stadt gebracht wurden. Man konnte daran sehen wer das Geld für die Steinlieferung erhalten würde.‘ Wir begegnen einer Rampe, die schräg nach oben führt. ‚Hier rollte man die Pulverfässer hinab um diese in den größeren Einbuchtungen in der Wand zu lagern.‘ Der Tourguide winkt uns mit der rechten Hand weiter. ‚Ich schließe jetzt die Treppe zum alten Lochwassergang  aus dem Jahr 1543 auf. Bitte seien Sie vorsichtig beim Hinabsteigen. Die Stufen sind alt und die Umgebung überaus feucht.‘

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Ein muffiger Modergeruch schlägt uns entgegen. Schlammige Wassertropfen perlen an den Wänden des Abstiegs entlang. Es riecht feucht und schimmlig und stinkt in der Tat wie in einem riesigen Plumpsklo. Vermutlich folgt jetzt die versprochene Geschichte. Pfützen stehen auf dem Boden. Vorsichtig versuche ich die Wasseransammlungen zu umgehen. Ich halte die Luft an oder versuche zumindest möglichst wenig einzuatmen. Die Gänge sind absolut niedrig. Meine Hand berührt gelegentlich die schmierigen Wände. Ich zucke zurück. Mein Kopf stößt ein paarmal an die feuchte Decke. Angewidert fasse ich auf meine Haare. Ekel erfasst mich. Was es hier unten alles für Spinnen und Käfer geben muss! Abgesehen von den Ratten, die vorher schon erwähnt wurden. Am Fuße der Treppe wird der Weg etwas weiter und unsere Gruppe kann sich etwas ausbreiten. Die Decke bleibt leider so knapp wie zuvor. Unser Museumsführer deutet auf einen Zugang nach draußen. ‚Es gab hier 5 Auffangbecken, die die Stadt mit Wasser versorgten. Die Leitung führte vom Burgberg hinab ins Loch. So nannte man damals das Nürnberger Gefängnis. Daher auch der Name: Lochwasserleitung. Sie hören, dass diese noch funktioniert. Der Zulauf kommt hier vor Ihnen aus der Wand. Eine kleine Quelle ist vorhanden, die hier immer wieder ein paar Tropfen Wasser abgibt. Durch den Sandstein sickert die Flüssigkeit wie durch einen Filter. Aller Dreck wird herausgespült. Über Laufrohre gelangt das saubere Wasser von hier zu öffentlichen Brunnen. Wir sind jetzt ungefähr acht Meter unter Grabenniveau. Die gesamte Leitung ist etwa zwei Kilometer lang und völlig begehbar.‘

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Die Feuchtigkeit um uns nimmt zu. Die Umgebung wird immer kälter. Ich bin froh um meine Weste. Die kühle Luft hier unten hat sicher nicht mehr als 8 Grad. Tapfer stapfe ich durch die vielen kleinen Pfützen auf dem dünnen Lehmboden. Die Gänge sind einen Meter breit in die Sandsteinfelsen geschlagen und etwa 1,80m hoch. Über eintausend private und öffentliche Brunnen gab es im Mittelalter. Die Wasserversorgung war das höchste Gut zu dieser Zeit und wurde gut geschützt. Man benötigte diese fürs Vieh, fürs Kochen, fürs Putzen und vor allem fürs Bierbrauen. Nur zu leicht hätten Angreifer die Brunnen verseuchen oder vergiften und die Stadt somit in eine gefährliche Notlage bringen können. Deshalb wurden die Tunneleingänge gut bewacht und der Verlauf des kompletten Gangnetzes geheim gehalten. Eine ebenso große Gefahr ging von den Einwohnern der Stadt selbst aus. Fäkalien und Abfälle wurden meistens einfach auf die Straßen gekippt und sickerten dann ins Grundwasser. Wir biegen um eine schmale Abzweigung. Unser aller Blick wandert nach oben. Ich sehe Tageslicht. Verblüfft lauschen wir den Worten unseres Reiseführers. ‚Wer noch nie eins gesehen hat, das ist ein Plumpsklo von unten. Hier wo wir jetzt stehen wurde die Abortgrube vergrößert. Das geschah durch Handarbeit. Einer geht rein von Oben, schippt die bestehende Grube leer und vergrößert diese dann. Man hat so gut gearbeitet, dass die Sandsteinwand hier immer dünner wurde. Irgendwann brach die Wand durch und die komplette Lochwasserleitung wurde von den Fäkalien vergiftet. Der ganze Zugang wurde unbrauchbar und überall auf dem Milchmarkt in Nürnberg schwammen kleine Würstchen rum.‘ Ich verziehe das Gesicht. Das war sie dann wohl die Plumpsklo-Geschichte. Igitt!


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