Weg vom Tagestourismus…

Haben Sie noch geöffnet? Die Frau mittleren Alters schaut mich ungläubig an. Sie nickt ‚Ja, sicher.‘ Es brennt ja auch noch über jedem der Tische in der kleinen Weinstube in St. Goar am Rhein helles Licht. ‚Ich frage lieber nach, hier hat ja gelegentlich um halb neun schon alles zu.‘ erkläre ich meine direkte Nachfrage. Ich setze mich auf eine Eckbank. Ungeduldig warte ich. Die Kellnerin erzählt gerade lebhaft mit einem Gast. Ob hier wohl Selbstbedienung ist? Muss wohl so sein. Nach einer Weile stehe ich auf und laufe zur Theke. ‚Sie können ruhig sitzen. Ich bringe Ihnen Ihr Getränk dann.‘ sagt die Dame, die ich bereits kenne und die mir entgegen kommt. ‚Ich möchte eine Weinschorle. Sie müssen entschuldigen, ich bin ein Stadtmensch. Die Leute hier sind so gelassen.‘ rechtfertige ich meine Hektik. ‚Gewöhnen Sie sich an die rheinische Gemütlichkeit.‘ Die Servicekraft dirigiert mich zu meinem Platz. ‚Aus welcher Stadt sind Sie denn?‘ fragt ein älterer Herr interessiert. Dann nickt er. ‚Karlsruhe, auch schön. Ich lebe schon immer in St. Goar und bin Musiker in der 5. Generation. Mein Sohn ist Jazztrompeter und derzeit mit einer bekannten Band auf Tournee. Ich mache das nicht hauptberuflich, spiele aber die Orgel in der Kirche hier. Musik macht mir einfach Freude, daran hängt mein Herz.‘

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Ich setze mich zu ihm. ‚Ich war mal kurz mit einem Jazztrompeter liiert. Das war total schrecklich. Ich habe selten jemanden so chaotisches und unorganisiertes kennen gelernt, der trotzdem total von sich überzeugt war.‘ sage ich. Der Mann grinst. ‚Ja so sind die meisten Musiker. Mein Sohn könnte aber wegen der Vielzahl an Angeboten gar nicht unstrukturiert sein. Eigentlich bräuchte er fast schon eine Sekretärin. Wie lange sind Sie den schon in unserem schönen St. Goar?‘ Ich stelle mein Weinglas ab. ‚Nur übers Wochenende.‘ erkläre ich ihm. ‚Ich bin einfach unheimlich gerne am Rhein. Eigentlich komme ich so ziemlich jedes Jahr mindestens ein Mal an den Rhein.‘ Er sieht mich dankbar an. ‚Die meisten Besucher nehmen sich leider nicht mehr die Zeit das Rheintal kennen zu lernen. Viele Tagestouristen kommen mit dem Schiff nur für ein paar Stunden. Unsere Restaurants bieten frische Küche und bekommen von den Gästen gesagt, dass ihr Schiff in 20 Minuten ausläuft. Wer soll den da noch alles frisch zubereiten? Man muss sich doch einmal die Zeit nehmen die heimischen Spezialitäten zu probieren. Zeit, um die Region richtig kennenzulernen und mit den Anwohnern zu sprechen. Unsere ganze Gegend leidet durch die Umsatzeinbußen. Viele junge Leute gehen weg.‘ Die Aufregung und der Wein röten seine Wangen.

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Da schaltet sich der Wirt und Winzer in unser Gespräch ein. ‚Das ist ein Fehler in der Tourismusstrategie. Wir sollten nicht auf die Asiaten setzen, die hier durchrauschen. Wir müssen zeigen, dass unsere Region Entspannung bringt zum Durchatmen. Mag sein, man rennt dann nicht jedem Euro hinterher. Aber dafür gibt es einen kontinuierlichen Geldstrom. Der Hobbymusiker nickt zustimmend. ‚Man muss sich einfach überlegen was für Werbung man Macht. Die vielen Tagestouristen machen das Geschäft kaputt. Unsere Läden und Restaurants müssen schließen. 2029 ist in St. Goar die Bundesgartenschau. In 10 Jahren kann viel passieren. Mal sehen was dann hier überhaupt noch ist.‘ Ich musterte den Mann mit den ergrauten Haaren. ‚St Goar ist eben die unbedeutendere Nachbarstadt zum Loreley Felsen in St. Goarshausen.‘ sage ich ganz offen und füge schnell hinzu ‚ Ich bin aber wahnsinnig gerne hier. Mir gefällt es sehr.‘ Entsetzt legt der Orgelspieler die Hand an die Stirn. ‚Goarshausen, Das war eigentlich ein Artellerieplatz. Da war nichts. Und unser Städtchen hat der heilige Goar schon 520 gegründet. St Goar hat deshalb viel mehr Sehenswürdigkeiten. Haben sie Lust sich mal eine Orgel von innen anzusehen? Ich kann Ihnen das gerne mal zeigen, ich habe den Schlüssel für die Kirche?‘ meint der nebenberufliche Musiker.

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‚So, jetzt schmeiß ich euch raus.‘ erklingt die Stimme des Wirtes. Auf dem Weg zum Gotteshaus fährt der Orgelmusikant fort. ‚Ich spiele immer in der Kirche. Es macht mir wirklich Freude und wir können die Orgel in Ruhe von Innen sehen.‘ Er erklärt mir die verschiedenen Pfeifen und das diejenigen, die von Außen sichtbar sind meist nur Attrapen darstellen. Das ist total spannend. Wann kann man schon mal in eine Kirchenorgel hineinschauen. Ich spure seine fröhliche Begeisterung, weil ich mich für sein ursprüngliches St. Goar interessiere und für die Menschen, die das ganze Jahr hier leben. Er hat eine ansteckende Leidenschaft für seine musikalische Aufgabe und freut sich mir darüber zu erzählen. Er hat etwas gutes für sich gefunden mit dem er sich selbst und anderen Freude bereitet. Der Mann schließt mit den Worten ‚Es hat mich überaus gefreut Dich kennen zu lernen. Vielleicht sehen wir uns einmal wieder.‘ Seine Worte klingen ehrlich und unsere Umarmung ist herzlich. Er veranstaltet die Führungen auch mit Touristen, ist mit ganzem Herzen dabei und möchte den Besuchern etwas besonderes zeigen. ‚Auf jeden Fall. Ganz bestimmt‘ erwidere ich.  Ich winke. Ich komme ganz sicher zurück.


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