Ich recke mein Gesicht in den sonnigen Tag. Windschief ragen die zierlichen Fachwerkhäuser mit den bunten Wandfassaden entlang der gewundenen schmalen Kopfsteingassen in den Himmel über Rothenburgs romantischer Altstadt. Das azurblaue Band hebt sich strikt gegen die farbigen Tupfer im Stadtzentrum ab. Vor mir setzt ein roter Porsche rückwärts ein Gässchen zurück. Die schulterlange Mähne wallt um den dicken Kopf des Fahrers und behindert die Sicht. Dennoch fährt der Wagen rasant zurück. Schrill und hektisch hupt der Mann hinter dem Lenkrad des schwarzen Mercedes in der Straße darunter als er den heranschnellenden Porsche erblickt und überaus nah an dessen Stoßstange vorbeizieht. Wild gestikulierend aufgrund dieser groben, unglaublichen Verkehrsrechtsverletzung gibt der Mercedesfahrer aus lauter Zorn richtig Gas. Das dunkle Auto springt förmlich in den Torbogen des kleinen Markustors hinein und verschwindet aus meinem Sichtfeld.
bereits nach wenigen Sekunden erklingt das misstönende Kreischen von spontan getretenen Bremsen. Ich halte den Atem an. Mein Schritt wird schneller. Hier sind überall Fußgänger unterwegs. Oh weh, denke ich, jetzt hat er in seinem Zorneseifer einen Passanten umgefahren. Ich laufe um die dicken Mauern des Torturms. Der Mercedesfahrer hat die Fensterscheibe auf der Beifahrerseite herunter gekurbelt. ‚Mein Wagen.‘ schreit er völlig außer sich den verschreckt dreinblickenden Spaziergänger an, der mitten auf den dunklen, unebenen Pflastersteinen der mittelalterlichen Gassen Rothenburgs ihm gegenüber steht. ‚Das ist ein verkehrsberuhigter Bereich.‘ sagt er dann bestimmt. ‚Ich darf hier laufen. Sie müssen hier Schrittgeschwindigkeit fahren.‘ Mit hochrotem Kopf deutet der Autofahrer auf die Motorhaube seines Mercedes. ‚Mein Auto.‘ wiederholt er mehrmals voller Wut. Die folgende Schimpftirade, die auf den Fußgänger niederprasselt, spuckt er so schnell über dem armen Tropf aus, dass ich diese nicht verstehen kann. Dann tritt der erboste Autofahrer erneut aufs Gas. Das abrupte und schnelle Anfahren lässt die Reifen quietschen. Mit viel zu hoher Geschwindigkeit, getrieben vom überbordenden Geltungsbedürfnis seines Insassen, braust das Fahrzeug davon.
Eine alte Frau schüttelt missbilligend den Kopf. ‚Was laufen Sie denn auch mitten auf der Straße?‘ herrscht sie den immer noch schockiert drein blickenden Passanten an. ‚Ich darf doch hier laufen.‘ verteidigt sich der Mann erneut. Er hat ja auch Recht. In der verkehrsberuhigten Zone hätte der Mercedes tatsächlich Schrittgeschwindigkeit fahren müssen. Ein blaues Schild am Anfang der Gasse zeigt ein Ball spielendes Kind. Der fast überfahrene Herr trottet zu einer Gruppe Senioren zurück. Seine Frau hakt ihn sogleich unter. ‚Was hatte der denn nur mit Dir? Der Fahrer hat sich ja furchtbar aufgeregt.‘ fragt die Gattin ihren Ehemann, der langsam wieder Farbe im Gesicht bekommt. ‚Ich hab mich so erschrocken.‘ erklärt er. ‚Ich dachte der Mercedes fährt mich um. Dabei ist das doch ein verkehrsberuhigter Bereich.‘ Der Mann schüttelt ungläubig den Kopf. ‚Vor lauter Schreck hab ich ihm mein Eis auf die Motorhaube geklebt. Da hat er sehr über seinen beschmutzen Wagen gejammert. Entschuldigt hat er sich bei mir aber nicht. Wie schade um das schöne Schokoladeneis.‘ murmelt er noch. Dann zieht ihn die Hand seiner Ehefrau weiter.