Die kleine Eingangstür zum einzigen Weihnachtsmuseum Deutschlands fällt zu. Ich schließe die Augen angesichts der schillernden Pracht an Lichterketten und den vielen glitzernden Weihnachtsdekorationen. Die zarten Strahlen der Aprilsonne wird hier radikal ausgesperrt. Plastiktannenzweige zieren die Deckenbalken über mir. Kleine Lichter durchsetzen das üppige Grün wie ein wolkenloser Sternenhimmel in einer lichten Winternacht. Ich schiebe mich am 3,5m hohen Wächter des Museums im mittelalterliche Romantik versprühenden Rothenburg ob der Tauber vorbei. Stumm wacht der hölzerne Nussknacker über das gesamte Geschehen. Sein roter Rock liegt immer glatt am strammen Holzkörper. Der weiße Schnurrbart ist auf ewig tadellos geformt. Reglos aber mit weit aufgerissenen schwarzen Augen blickt er in die hereinströmende Touristenmenge. Weihnachten ist für mich eines der schönsten Feste des Jahres. Da liegt es nahe sich im Vorfeld schon etwas Vorfreude auf diese besonderen Feiertage zu holen. Auch dann oder gerade deshalb, wenn draußen die Frühlingssonne scheint und ich mich bereits auf den warmen Sommer freue.
In einem schneeweißen Christbaum leuchten Glaskugeln in hellen Pastellfarben und bunte Stoffschleifen in verschiedenen Größen. Erwartungsvoll trete ich unter dem Willkommensschild hindurch. Im 4 Jhd. wurde das Datum von Jesus Geburt auf den 25. Dezember festgelegt. Dies ist der Tag der Wintersonnenwende. Die katholische Kirche deutete dieses Phänomen als das Weltenlicht in dem Christus geboren ist. 397 n. Chr. wurde die erste Weihnachtsfeier abgehalten. Benannt wurde das Fest nach den Worten ‚ze de wihen naten‘ (in den geweihten Nächten). Die Bezeichnung Weihnacht wurde erstmals 1170 vom bayrischen Spruchdichter Spervogel verwendet. Ich schlendere durch die schmalen Treppengänge der Ausstellung. Geduldig warten die ausgestellten Krippenfiguren in den Regalen um am Heiligen Abend in Szene gesetzt zu werden. Seit dem 15 Jhd. stellte man in Kirchen Weihnachtskrippen an den Festtagen zum Gedenken an Christi Geburt auf. Erst im 16 Jhd. wurden diese auch in den Wohnungen von Familien aufgestellt. Zuerst natürlich nur beim Adel. Schöne Krippenfiguren kosten seit jeher viel Geld. Man kann für eine schöne Krippengarnitur Unsummen investieren. Dieses Museum weckt in mir eine so festliche Stimmung wie sie eigentlich nur die richtige Weihnachtszeit hervorzubringen vermag. Kindheitserinnerungen bringen meine Augen zum leuchten und mein Gesicht strahlt.
Geschmückte Tannenbäume verbreiteten sich nach 1600 allmählich in den bürgerlichen Kreisen der Städte und den aristokratischen Schichten. Immergrüne Pflanzen verkörperten damals Lebenskraft. Darum glaubten die Menschen in früheren Zeiten, sich Gesundheit ins Haus zu holen, indem sie ihr Zuhause mit Grünem schmückten. Wachskerzen waren damals sehr teuer und nur in reichen Haushalten zu finden. In adligen Kreisen hatte es sich ab dem 18. Jhd eingebürgert, jedem Familienmitglied seinen eigenen Baum aufzustellen. Dabei wurden die Bäume ursprünglich mit Äpfeln behängt, die man zum Teil auch vergoldete. Der Brauch erinnerte an den Baum des Lebens. Durch den Genuss des Apfels wurden Adam und Eve laut der Bibel aus dem Paradies vertrieben. Der 24. Dezember ist ihr Gedenktag. Daher hing dieses Pärchen an den frühen Bäumen zusammen mit einer Schlange aus Holz oder Gebäck geformt neben dem Obst. Sie waren auch noch in den Krippendarstellungen zu finden. Mit dem Aufkommen von geblasenen Christbaumkugeln wurde die Form des Apfels auf die bloße Kugel reduziert. Später stellte man auch Kugeln in Form von Äpfeln her.
Strohsterne leuchten hellgelb über mir in den Tannengirlanden an der Decke. Winzige Lichter und kleine Lämpchen bestäuben die Zweige mit einem zierlichen gleisenden Schein, fast wie ein Teppich aus seidenem Mondlicht. Der funkelnde Lichterglanz gehört heute untrennbar zum Weihnachtsbaum. Ursprünglich behalf man sich mit verschiedenen Provisorien um Lampen an den Zweigen zu befestigen. Öllämpchen befestigte man mit Fäden an den Ästen. Teile von Wachsstöcken oder Wachskerzen klebte man direkt auf die Nadeln am Baum. 1867 gab es den ersten patentierten Kerzenhalter, dessen hochgebogene Blechlaschen die Kerze hielt. Daneben gab es Leuchtenhalter zum Einschrauben in den Stamm oder zur Befestigung durch Anklemmen. Ab 1818 gab es künstliches Kerzenwachs. Das konnten sich nun auch die bürgerlichen Haushalte leisten. Mit der Biedermeierzeit entwickelte sich Weihnachten zu dem Familien- und Bescherungsfest, das es bis heute geblieben ist. 1879 wurde von Thomas Edison die Glühbirne erfunden. 1882, schon drei Jahre später, gab es bereits die ersten Birnen für den Weihnachtsbaum in den USA. Elektrizität war noch nicht weit verbreitet und teuer. Daher hielten die elektrischen Lichter erst ab 1900 richtig Einzug in den häuslichen Bereich.
Auf den Weihnachtsmärkten, die seit dem 16. Jhd existieren,wurden Spielzeug, Bäume und Christschmuck angeboten. Unter dem glänzenden Baum lagen Geschenke für die Kinder. Es wurden Weihnachtslieder gesungen und es gehörte schon damals ein Festmahl dazu. Man schmückte die Zweige mit Lebkuchen, Springerle und kleinen Geschenken. Um 1850 hängte man die ersten Kugeln aus Glas auf. Gegen Ende des 19. Jhds fand das Weihnachtsfest allgemein Eingang in den häuslichen Bereich. 1830 brachten protestantische Einwanderer und Matrosen den Christbaum nach Nordamerika. Die Ausbreitung des ursprünglich nur auf deutschem Gebiet bekannten Weihnachtsbaums in alle Welt erfolgte durch deutsche Soldaten im Deutsch-Französischen Krieg 1870/1871. Heute ist der Tannenbaum auf der ganzen Welt als Symbol für das Weihnachtsfest zu finden. Seit der Zeit um 1870 entwicklete sich langsam eine Industrie, die sich auf die Herstellung von Weihnachtschmuck spezialisierte. Der Schmuck wurde teils in Fabriken, teils in Heimarbeit angefertigt.
Christbaumschmuck wurde gefertigt aus Glas (auch farbigen Glasperlen), Pappe (mit Gold- oder Silberfolie kaschiert) sowie Papier und Watte (gepresst oder mit Leim fixiert). Ebenso verwendete man Zinn, Wachs (selten, da das weiche Material durch die Wärme der Kerzen leicht schmolz), Holz und Tragant (geschmack- und geruchlose fest werdende Harzmasse, die unter Teig gerührt wurde). In den Anfängen der Baumdekoration wurden besonders Süßigkeiten und einfache Materialien wie Marzipan, Stroh, Lebkuchen und Gebäck sowie Zuckerschaumgebäck oder Zuckerstangen verwendet. Man veredelte den Schmuck durch Malerei, Umspinnen mit Draht, Bekleben mit Oblaten und vielem mehr. Gold und Silber ergaben einen schönen Metalleffekt, der das Licht der Kerzen optimal reflektierte. Der Phantasie waren keine Grenzen gesetzt. Seit 1590 wurde besonders im Nürnberger Raum Dekoration durch leonische Drähte (aus Lyon eingeführt) erstellt. Darunter versteht man versilberte, vergoldete oder verzinkte Kupferdrähte und -fäden. Man umsponn Kugeln damit oder erstellte ganz eigene erdachte Schmuckkompositionen. Aus dem platt gewalzten leonischen Draht entstand auch unser heutiges Lametta.
Auf frühen Abbildungen des Weihnachtsbaums zeigt sich, dass einst immer eine Kerze, ein Stern oder ein Rauschgoldengel das obere Ende des Baumes krönte. Besonders beliebt war das Motiv des Rauschgoldengels mit Spruchband. Aber auch Sterne aus Lamettabürsten eroberten die Tannenspitze. Gegen Ende des 19 Jhds schätze man besonders einen Baumabschluss aus Glas. Rauschgoldengel gibt es seit etwa 300 Jahren. Einer Sage aus dem 17. Jhd nach soll der erste nach dem Ebenbild der verstorbenen Tochter eines Puppenmachers gefertigt worden sein. Die schöne Weihnachtszeit beginnt mit dem Advent. Mit diesem Zeitraum, der vier Sonntage umfasst, beginnt auch das Kirchenjahr. Adventskalender, die nach diesen Tagen benannt sind, sollen den Kindern das geduldige Warten auf das Christkind oder den Weihnachtsmann veranschaulichen. Eine erste Erwähnung des Adventskalenders findet sich 1851. Es handelte sich dabei um 24 Bilder, die an die Wand gehängt wurden. Die ersten Adventskalender hießen noch Nikolauskalender. Sie begannen am 6. Dezember und nicht wie bei uns heute am 1.12.
Eine weitere Weihnachtsfigur ist der Nussknacker. Neben seiner ursprünglichen Funktion als Knackhilfe für Nüsse wurde er Teil von Märchen, Opern und vielen anderen Erzählungen. In Europa begann ab 1830 die industrielle Massenproduktion von Nussknackern, die auf den Geschmack der breiten Käuferschichten abgestimmt war. Um florierende Absatzmärkte zu sichern, wählte man bei der Darstellung entsprechende Typen, die die Käuferschicht ansprachen. Man stellte vor allem Handwerker, Bettler, Mönche, Könige oder auch Orientalen her, so wie die Bürger sie im Alltag erleben konnten. Ebenso kamen Portraits berühmter Persönlichkeiten wie Napoleon oder Bismarck bei der Bevölkerung gut an. Als sich im 19. Jhd die Mode des öffentlichen Rauchens durchsetzte, wurden die ersten Räuchermännchen geschaffen. Auch hier wählte man für die Fertigung besonders volkstümliche Modelle wie Förster, Polizisten, Studenten oder Bergmänner.
Tausende Dekoanhänger, Glaskugeln und anderer Weihnachtsschmuck türmen sich in den Regalen und Auslagen des Museumshops. Ich blicke über Variationen von geschmückten Tannenbäumen, kleiner Weihnachtsmänner und mundgeblasenem, gläsernem Obst. Bunte Stoffschleifen ragen farbig aus dem grünen Tannenschmuck der Decke. Winzige Strohsterne spicken blass und zierlich das matte und dennoch saftige Grün aus Plastik. Altertümliche Papieradventskaender teilen sich die Auslagen mit simpler Dekoration aus Watte. Zahlreiche Weihnachtsbäume stehen geschmückt hinter durchsichtigen Glasscheiben und lassen mich unablässlig in meiner verfrühten Weihnachtsstimmung schwelgen. Vorbei an Nussknackern aus Holz und Christbaumschmuck aus Zinn gelange ich zu Räuchermännchen, deren aromatische Düfte ich förmlich riechen kann. Schon kündigt sich die Adventszeit mit den besonderen Weihnachtsfeiertagen an. Diese Museum versetzt Erwachsene und Kinder das ganze Jahr nach dem Eintreten sofort in ein wunderbares Weihnachtsreich. Festtagsträume aus allen Zeiten werden lebendig und bleiben während des gesamten Besuchs bestehen. Nur die Geschichte des Adventskranzes vermisse ich in den zahlreichen Etagen der Ausstellung. Schweren Herzens ziehe ich die Tür zum Ausgang auf. Ein letztes Mal kann ich förmlich den wohlbekannten Geruch des Weihnachtsmarkts und der Bratäpfel, Lebkuchen und Zuckerstangen riechen. Dann fällt die Tür zu. Es ist wieder April.