Eine Gruppe Studenten sitzt auf den sandgelben, ausgeblichenen Steinen der Mauer, die das Hambacher Schloss bei Neustadt gegen die abfallenden steilen Hänge der Umgebung abschirmen. Es ist einer der ersten Frühlingstage dieses Jahres und die Sonne versprüht auch am Nachmittag noch eine angenehme Wärme. Ein Mädchen hebt begeistert gestikulierend beide Hände um ihre Meinung zu untermalen. Der junge Mann neben ihr hebt abwesend das Gesicht in die gleißende Sonne dieses hellen Tages. Neben dem Grüppchen steht eine halbvolle Flasche trockener Riesling von einem hiesigen Weingut. Am liebsten würde ich mich dazusetzen. Bei einem guten Glas Wein kann man wunderbar über die Probleme dieser Welt philosophieren. Eigentlich kann man diese bei einem guten Tropfen sogar fast zur Lösung bringen. Wo lässt sich dieses edle Getränk besser genießen als am Startpunkt der deutschen Demokratie, dem Hambacher Schloss? Wohl nirgends. Die Ausstellung zum Hambacher Fest befindet sich im 5. Stock des hübschen Palastes. Schmal wirkt die kleine Burg und hoch aufstrebend. Die eckigen Zinnen strecken sich in den azurblauen, wolkenlosen Himmel. Spitz und schlicht säumen die ausladenden Fenster die Fassade. Simple Fenstergiebel verzieren an einigen Stellen die Front des Herrschaftshauses.
30.000 Menschen (Neustadt hatte zu dieser Zeit lediglich etwa 6.000 Einwohner) kamen am 27. Mai 1832 aus Deutschland, Frankreich und Polen nach Hambach. Die Veranstaltung an diesem Ort war ein Symbol für den Kampf um bürgerliche Freiheiten zur damaligen Zeit. Jeder, der sich in Deutschland und Europa der Gleichheit, Demokratie und Toleranz verpflichtet fühlte, nahm teil. Ich betrete eine wichtige Stätte unseres Kulturerbes. Eigentlich war die Versammlung sogar am Anfang verboten und nur durch bürgerlichen Protest konnte das Fest letzten Endes dennoch durchgeführt werden. Erstmals waren auch Frauen aufgerufen, nicht nur Schmuck zu sein, sondern gegen ihre politische Unmündigkeit anzugehen. Die Ereignisse in Hambach 1832 hatten eine lange Vorgeschichte. Das Gebiet des heutigen Deutschland war im 18 Jhd. geprägt von einer Vielfalt von über 300 selbstständigen Fürstentümern. Die Landesherren herrschten weitgehend ohne Einschränkungen. Dennoch gab es vielfach Ansätze von Meinungsfreiheit und politische Mitbestimmung. Schulen und Universitäten wurden gefördert, das Fürsorgewesen verbessert und religiöse Toleranz hielt Einzug.
Die Zeit der Aufklärung ab 1700 brachte einige Fortschritte. Die meisten Fürsten fürchteten sich aber vor einer Revolution und ließen daher schließlich alle Neuerungen zum Stillstand kommen. Begeistert griff die Bevölkerung ab 1790 die Ideen der Französischen Revolution auf. Die Ursachen für die Unzufriedenheit der Franzosen waren vielfältig. Zerrüttete Staatsfinanzen, das wachsende Selbstbewusstsein des Bürgertums und Armut in weiten Teilen der Bevölkerung. Mit dem Sturm auf die Bastille am 14. Juli 1789 brach der Konflikt offen aus. Er setzte eine Bewegung in Gang, welche die Gesellschaftsordnung Europas grundlegend veränderte. Die aufregenden Nachrichten aus dem Nachbarland wurden durch Presse, Flugblätter, Lieder und Broschüren rasch in Deutschland verbreitet. Die Pariser Ereignisse führten rechts und links des Rheines zu einem sprunghaften Anstieg von sozial verursachten Protestbewegungen. Ziel war nicht eine allgemeine bürgerliche Freiheit, sondern die Herstellung der alten Reformen.
Als die Französische Revolution nach Osten ausgriff und sich die deutschen Fürsten bedroht sahen, kam es zum Krieg. 1792 eroberten die Franzosen das linksrheinische Gebiet und die Revolution breitete sich dort in Stadt und Land aus. In der Oberamtsstadt Bergzabern schwelten schon seit den 1780er Jahren Konflikte, die nun eskalierten. Im Januar 1793 schlossen sich etwa 30 kurpfälzische und zweibrückische Orte zu einem Freistaat zusammen, der im März per Dekret an Frankreich angeschlossen wurde. Im Oktober 1792 besetzten französische Truppen Mainz. Am 18. März 1793 trat hier das erste nach demokratischen Grundsätzen gewählte Parlament auf deutschem Boden zusammen. Diese ‚Mainzer Republik‘ endete schon im darauf folgenden Juli als deutsche Truppen die Stadt zurückeroberten. Seit 1794 befand sich das Gebiet links des Rheins bis nach Köln mit Ausnahme von Mainz wieder in der Hand der Franzosen. Diese unterstützen Selbstständigkeitsbestrebungen der Region. Die ‚cisrhenanische Bewegung‘ mit Schwerpunkt in Koblenz hatte eine eigenständige rheinische Republik zum Ziel. Der Anschluss des Gebietes an Frankreich 1797 setzte diesen Bestrebungen ein Ende.
Nach dem Frieden von Luneville 1801 und nachdem Napoleon sich auch im Inneren Frankreichs durchgesetzt hatte, begann er mit der Neustrukturierung des gesamten französischen Territoriums. Von ehemals ca. 1.800 Herrschaften blieben gerade mal 30 übrig. Dies war ein entscheidender Schub für die politische Modernisierung Europas. Nachdem 16 Reichsstädte 1806 den Reichsverband verlassen und den Rheinbund gegründet hatten, legte Kaiser Franz II. seine Krone nieder. Das war das Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Das französische Recht wurde in den deutschen Staaten eingeführt. Öffentliche und mündliche Gerichtsverfahren ersetzten den geheimen und schriftlichen Inquisitionsprozess. Für alle Rechtsbereiche wurden allgemeingültige Gesetztesbücher eingeführt. Der ‚Code Napoleon‘ ist ein nach römisch-rechtlichen Prinzipien aufgebautes Rechtssystem. Es klar gegliedert und in einfacher, verständlicher Sprache geschrieben. Mit der Einführung der neuen Gesetzgebung wurden die Kirchen ihrer Mitbestimmung entbunden. Ehescheidungen wurden dadurch möglich und auch die Schulen wurden aus der kirchlichen Aufsicht gelöst.
Unter der Herrschaft Napoleons gab es zwar grundlegende Reformen allerdings konnte man kaum auf politische Selbstständigkeit hoffen. Das machte viele deutsche Bürger trotz der Neuerungen skeptisch. Die Befreiungskriege gegen den französischen Feldherren nährten erneut den Traum von einem deutschen Nationalstaat und fortschrittlichen Verfassungen. Allerdings letztlich vergebens. Die reaktionäre Politik nach dem Wiener Kongress 1814 und 1815 verstärkten die Enttäuschung in der Bevölkerung. Der deutsche Bund war eine Vereinigung aus 39 souveränen Einzelstaaten. In den Kriegen gegen Napoleon bildete sich eine starke patriotische Bewegung. Die Burschenschaften griffen die Farben Schwarz-Rot-Gold als Symbole der nationalen Einheit auf. Auf dem Wartburgfest 1817 feierten sie die Befreiung des Vaterlandes durch die Völkerschlacht bei Leipzig. Am 23. März 1819 erstach der Student Karl Sand den umstrittenen Schriftsteller und Dichter August von Kotzebue. Dieser hatte sich immer wieder über die Burschenschaften als Brutstätten der Revolution ausgelassen und deren freiheitliche Ziele verhöhnt.
Dieser Mord bot den Mitgliedern des Deutschen Bundes den Grund gegen liberale Verbindungen vorzugehen. Auf einer Konferenz in Karlsbad wurde auf Betreiben des damaligen Außenministers Fürst von Metternich beschlossen, die Universitäten und das öffentliche Leben zu überwachen, die Burschenschaften zu verbieten, sowie die Pressezensur wieder einzuführen. Kurz darauf wurde Frankreich durch die Julirevolution 1830 und eine daraus resultierende neue Verfassung zum Vorbild für ein liberales, rationales Staatswesen. Zeitgleich bedeutete die erfolgreiche Revolution in den südlichen Provinzen der Niederlande (heutiges Belgien) eine Niederlage der Monarchie und bestärkte europaweit die liberale Bewegung. Auch in Polen eskalierte im November 1830 ein landesweiter Aufstand gegen die russische Herrschaft. In Deutschland verfolgte man den Freiheitskampf der Polen mit Begeisterung. Es gründeten sich Unterstützungsvereine, die Verbandszeug, Medikamente und Hilfsgüter zum Kriegsschauplatz schickten. In ihnen wirkten auch zahlreiche Frauen aktiv mit. Nach der Niederschlagung des Aufstands zogen etwa 30.000 polnische Emigranten durch Deutschland nach Frankreich. König Ludwig I. von Bayern reagierte auf die Revolutionen in Europa mit unterdrückenden Maßnahmen. Er ließ 1831 die Pressezensur verschärfen, musste das Edikt auf Druck des Landtages jedoch wieder aufheben.
Hinzu kamen wirtschaftliche Probleme innerhalb Deutschlands. So wurde das Hambacher Fest zum Podium der politisch Unzufriedenen. Wie viele der politischen Versammlungen jener Zeit hatte auch die Veranstaltung in Hambach in vielen Teilen den Charakter eines Volksfests. Es wurden Buden, Garküchen und Karussells aufgestellt. Wein und Bier wurde ebenso wie Brot und Wurst angepriesen. Politische Zusammenkünfte waren von der bayrischen Regierung verboten worden. Feste zu Ehren von Abgeordneten, Fürstengeburtstage oder Verfassungstage waren daher unauffällige Anlässe um sich zu treffen. Daher wurden diese häufig wie eine Kirchweih im Freien gefeiert. Eine der Hauptforderungen auf dem Hambacher Fest war die Pressfreiheit. Mitte des 15. Jhds hatte Gutenberg den Buchdruck mit beweglichen Lettern erfunden. Ab diesem Zeitpunkt war es möglich viel Text in kurzer Zeit zu drucken. Bücher wurden billiger und konnten von viel mehr Leuten gekauft werden. Ungefähr 150 Jahre später gab es die ersten Zeitungen, die regelmäßig erschienen. Für die herrschenden Fürsten konnten diese eine Gefahr darstellen. Durch sie war es möglich, viele Menschen über bestimmte Themen und Handlungen der Herrscher zu informieren. Nur einige wenige Regenten gaben der Presse diese Freiheit. Die meisten versuchten die Zeitungen zu überwachen und zu kontrollieren.
Am 27. Mai formierte sich um 8 Uhr begleitet von Glockengeläut und Böllerschüssen auf dem Marktplatz in Neustadt der Menschenzug zum Schloss. Von dort zogen die Teilnehmer zur vier Kilometer vom Stadtzentrum entfernten und 200 Meter höher gelegenen Hambacher Schlossruine. 30.000 Teilnehmer sammelten sich gegen 11 Uhr auf dem Gelände. Sie kamen aus allen Bevölkerungsschichten und aus zahlreichen Nationen. Vom Studenten bis zum Abgeordneten, von Franzosen über Polen bis zu Engländern und weiteren Partizipanten aus 15 deutschen Kleinstaaten. Nach Ankunft auf dem Areal hisste das Festkomitee auf einem erhöhten Punkt der Mauernreste die Polnische und auf den höchsten Zinnen die deutsche Fahne mit der Inschrift ‚Deutschlands Wiedergeburt‘. Beim Hambacher Fest führten die Besucher in größerer Anzahl schwarz-rot-goldene Trikoloren mit sich oder trugen gleichfarbige Abzeichen, die das Streben nach nationaler Einheit symbolisieren sollten.
Als Folge des Festes drängten Preußen und Österreich auf die Verhaftung aller Verantwortlichen. Der Prozess gegen die Organisatoren der veranstaltung begann am 29. Juli 1833. Aus Angst vor Unruhen war die Gerichtsverhandlung in die Festungsstadt Landau verlegt worden. Nach vierstündigen Beratungen fällten die Geschworenen für alle Angeklagten das Urteil ’nicht schuldig‘. Die Pressezensur wurde verschärft und politische Vereine und Versammlungen sowie öffentliche Reden wurden verboten. Die führenden Mitglieder des Pressevereins wurden verhaftet. Nach dem misslungenen Versuch einiger Studenten die Bundesversammlung im April 1833 zu besetzen, wurde in Frankfurt die Zentraluntersuchungsbehörde zur staatsübergreifenden Verfolgung der Opposition geschaffen. Dennoch war der Wunsch nach Einheit und Freiheit Deutschlands nach dem Hambacher Fest nicht vergessen. Er lebte in den Herzen der Menschen weiter und wurde nur unterdrückt. Die freiheitlichen Ideen überlebten. Zum Glück. Den heute stellt die Garantie der Grundrechte das wichtigste Merkmal eines demokratischen Verfassungsstaates dar.