Das Konstanzer Konzil

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Die Autos fahren im Schrittempo von der Fähre in der Anlegestelle in Meersburg. Über einen kleinen Metallsteg kommen ein paar Passagiere zu Fuß aus dem zweigeschossigen Schiff. ‚Guten Morgen.‘ werde ich gut gelaunt vom Fährpersonal begrüßt. Ich setze mich in den gut beheizten Innenraum. Mit dem Fährboot möchte ich über den See setzen bis direkt auf die gegenüberliegende Seite nach Konstanz, der größten Stadt am Bodensee. Dann setzt sich unser Fahrzeug gemächlich in Bewegung. Sacht schippert das Ungetüm durch das dunkle Wasser des Sees. Von den Geräuschen des Motors und der Maschinen begleitetet teilt der metallene Bug bestimmt und dennoch sanft die blaugrauen Wellen und die darauf liegende zarte Nebelschicht, die wie ein filigranes Deckchen auf der Oberseite des Gewässers liegt. Konstanz grüßt uns bereits mit seinem nahenden Seeufer. Die Fahrt dauert nur 15 Minuten. Wäre nicht die langgezogene bewaldete Küstenlinie durch die Fensterscheibe zu erspähen, würde der dicke graue Teppich des Himmels nahtlos in die sanft schwappende Wasserfläche übergehen. Man wüsste garnicht wo der Horizont aufhört und der See beginnt.

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Die Fähre kommt in einem Vorort von Konstanz an. Im November ist am gesamten Bodensee Nebensaison. Zahlreiche Cafes, Restaurants und Bars öffnen garnicht erst. Hier an der Anlegestelle beginnen in diesem Monat die Sanierungsarbeiten. So läuft der Bus in die Altstadt zum Lärm von Bohrmaschinen und Werkzeugen der Stadtmitte zu. Unterhalb des Münsterplatzes kann man römische Ruinen durch die Scheiben einer Glaspyramide von oben betrachten. Von der Ausgrabung sieht man nur ein kleines Stück. Die Fenster in die Tiefe sind von Regenwasser beschlagen. Ich nehme kaum einen Umriss wahr. Leider ist lediglich an Sonntagen eine Führung durch die unterirdische Anlage. Ich bin einen Tag zu spät dran. Nach der Stille und Ruhe der letzten Tage versprühen die gefüllten Straßen von Konstanz eine wohltuende und belebende Lebendigkeit ohne jedoch überfüllt zu sein oder unangenehme Hektik zu verbreiten. Durch das alte Viertel ‚Niederburg‘ führt mich mein Spaziergang zum Konzilgebäude.

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2018 wird das Konzil zu Konstanz 600 Jahr alt. Es fand ursprünglich von 1414 – 1418 statt. Gemeint ist eine Versammlung, in der sich katholische Kirchenvertreter über Fragen des Glaubens austauschen und im Hinblick darauf Lösungsbeschlüsse fassen. Einberufen hat das Konzil der deutsche König Sigismund. Drei Päpste beanspruchten damals für sich, Oberhaupt der Christenheit zu sein: Gregor XII in Rom, Benedikt XIII in Avignon und Johannes XXIII in Bologna. Interne Machtkämpfe innerhalb der katholischen Kirche vor allem zwischen Frankreich und Italien waren die Ursache. Das Heilige Römische Reich war zerrissen. Die verschiedenen Königreiche und Fürstentümer suchten sich den Papst heraus der für sie am ‚profitabelsten‘ erschien. Durch den Machtkampf unter den drei Päpsten um die Herrschaft war nicht nur der religiöse Alltag unerträglich belastet. Auch die politische Lage war kritisch geworden.

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Der Konflikt zog sich von 1378 bis 1417 hin. Er ging als ‚Abendländisches Schisma‘ in die Geschichte ein. König Sigismund wollte die kirchliche Trennung beseitigen. Alle drei Päpste sollten abdanken und man sollte einen neuen wählen. Außerdem wollte das Konzil gegen die Ketzerei vorgehen. Da der Glaube im Mittelalter in der Gesellschaft sehr verankert war, galt eine stabile Kirche als Voraussetzung für eine stabile staatliche Ordnung. Sigismund wollte sich im Nachgang des Treffens zum römischen Kaiser krönen zu lassen. Die Krönung durfte damals nur der Papst vornehmen. Das setzt natürlich voraus, dass klar ist wer diese Rolle ausfüllt und es vor allem eben nur einen gibt. Die Stadt Konstanz war wegen der guten geografischen Lage in Europa und ihrer Funktion als Reichsstadt und Bistumssitz vom König als Veranstaltungsstadt ausgewählt worden.

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Vor 600 Jahren hatte Konstanz etwa 6000 Einwohner. Für vier Jahre beherbergte die Stadt während des Konzils am Bodensee ein Mehrfaches der Einwohner an Gästen. Mit etwa 72.000 Besuchern platze der Ort dabei aus allen Nähten. Zusammen mit ihren Delegationen kamen Kardinäle, Herzöge, Universitätsrektoren und Theologen aus ganz Europa. Dazu musste eine riesige Infrastruktur geschaffen werden. Allein 700 Prostituierte sorgten in den Bordellen für das Wohl der anreisenden Konzilteilnehmer. Das Angebot an käuflichem Sex innerhalb der Straßen von Konstanzmuss noch wesentlich höher gewesen sein. Gezählt wurden nur die Damen aus dem horizontalen Gewerbe, die sich zur Ausführung ihrer Dienste eine Unterkunft gemietet hatten. Honoré de Balzac hat der leiblich-lüsternen Facette des Konstanzer Konzils mit seiner Erzählung ‚Die schöne Imperia‘ ein literarisches Denkmal gesetzt. Der Bildhauer Peter Lenk schuff der Dirne ‚Imperia‘ ebenfalls ein steinernes Denkmal. Seit 1993 steht die dralle Lustdame auf einem drehbaren Betonsockel in der Hafeneinfahrt von Konstanz und dreht gleichmässig ihre Pirouetten vor der Silhouette der Stadt. Dies dürfte das weltweit einzige Prostituiertendenkmal sein.

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Während des Konzils wurde die Zunftordnung vom König aufgehoben. Damit waren auswärtige Handwerksbetriebe zugelassen. Es gab fremde Bäcker mit mobilen Öfen. Sie fuhren auf Karren durch die Stadt und verkauften den Gästen frisch gebackene Pasteten, Ringe, Brezeln und Brot. Dadurch erhielten die Besucher Zugang zu Speisen und Getränken aus ganz Europa. Die Möglichkeit, sich in mit frischem Bodenseefisch zu versorgen trug ebenfalls erheblich zur Entscheidung für Konstanz als Austragungsort des Konzils bei. Um 1400 war die Stadt ein bedeutender Handelsort. Die festungsähnliche Umzäunung des Kaufhauses am Hafen, in dem das Konklave abgehalten wurde, bot eine gesicherte Rückzugsmöglichkeit. Innerhalb der Stat gab es gemessen an der damaligen Zeit eine überschaubare Kriminalitätsrate. Der Ort verfügte über ausreichend Herbergen und die Speisen waren hier nicht allzu teuer. Die Entscheidung König Sigismunds für den Standort ist also durchaus nachvollziehbar.

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Es wurde in den Verhandlungen sehr bald deutlich, dass sich die Kirchenvertreter nicht auf einen der amtierenden Päpste einigen konnten. Deshalb wurden die drei Päpste aufgefordert zurückzutreten. Beraten und abgestimmt wurde in vier sogennanten ‚Nationes‘, das heißt die Besucher wurden in Nationengruppen eingeteilt. Dies war eine Herausforderung, da sich die Teilnehmer zum Teil in schweren kriegerischen Auseinandersetzungen untereinander befanden. Am Ende langwieriger Verhandlungen dankten alle drei Päpste ab. Der Weg war nun frei für die Wahl von einem neuen Kirchenoberhaupt. Am 17. November trat im Konstanzer Kaufhaus ‚Konzil‘ das Konklave zusammen. Nach nur vier Tagen einigte es sich auf Martin V als alleinigen Papst. Es war das einzige Mal, dass ein Pontifex auf deutschem Boden gewählt wurde.

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Dennoch blieben viele innerkirchliche Probleme nach der Versammlung ungelöst. Ein Zeichen dafür war die Verurteilung des Theologen und Reformators Jan Hus während des Konzils. Er wurde nach einem Schauprozess 1415 vor den Toren der Stadt Konstanz verbrannt. Heute gilt er als der erste Märtyrer der Reformation. Er hatte sich gegen die Habgier der Kirche und vor allem gegen Missstände in der Kirchenverwaltung zur Wehr gesetzt. Er vertrat vor der Konzilgästen radikal und überaus entschlossen seine Ansichten. Hus forderte eine arme Kirche und wetterte gegen den Ablasshandel. Er meinte, wer im Zustand der schweren Sünde lebte, könne keine gültigen Sakramente spenden. Sigismund hatte ihm vorab freies Geleit zugesichert. Diese Zusage war allerdings unrechtmässig und daher ungültig. Der König war gegenüber der Kirche in solch einer Situation nicht weisungsbefugt.

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Die rigorosen Ansichten von Jan fanden unter den Würdenträgern wenig bis keinen Anklang. Daher wurde der Theologe zeitnah inhaftiert und hingerichtet. Der Gefangene hatte die kirchliche Ordnung in Frage gestellt und damit auch die Macht der aktuell Herrschenden. Der Tod von Hus hatte in seinem Heimatland Böhmen schwere Aufstände durch seine Anhänger, die Hussiten, zur Folge. Seine Hinrichtung führte schließlich zu den Hussitenkriegen. Zum Glück haben wir heute Meinungsfreiheit. Jeder darf sagen was er will und denkt. Es sei denn, er würde jemanden ernsthaft beleidigen oder schädigen. Unter dem Gesichtspunkt der konstruktiven Kritik ist ein freier Meinungsaustausch erlaubt. Wenn jemand eine andere Ansicht hat, kann man diesen deshalb nicht einfach aus dem Weg schaffen. Während des Ringens um die Absetzung der drei Päpste verabschiedete die Versammlung einen Beschluss, der sich ‚haec sancta‘ nannte.

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Dieser versicherte, dass ein Konzil Entscheidungsgewalt haben sollte, wenn es einmal einberufen war. Der Papst konnte immernoch als Einziger ein Konzil zu einem kirchenpolitischen oder glaubenstheoretischen Thema einberufen. Wenn die Zusammenkunft aber einmal tagte, waren seine Beschlüsse sogar für den Papst verbindlich. Das war damals eine Revolution. Plötzlich hatte nicht mehr in jedem Fall das Kirchenoberhaupt das letzte Wort. Nach Ende der Versammlung im Jahre 1418 gingen jedoch keine weiteren wegweisenden Reformen mehr von Konstanz aus. Die Kirche verweltlichte immer mehr. Ihre Einheit währt auch nach der Wahl des neuen Papstes nur kurz. 100 Jahre später beginnt mit den Thesen Martin Luthers in Wittenberg die Reformation. Er mahnt die nach seiner Auffassung während des Konzils versäumten echten Reformen der Kirche zu diesem Zeitpunkt dramatisch an. Viele Theologen erkennen in der Folgezeit die Notwendigkeit einer Erneuerung der römischen Kirche. Gläubige Katholiken wandern in großen Teilen zur evangelischen Reformation ab. Das Monopol der katholischen Kirche wird geborchen.

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Lautlos senkt sich die Dämmerung auf die dunkelblauen Wellen des Sees. Ich sitze wieder in der Fähre zurück nach Meersburg. Im Inneren des Bootes ist es mollig warm. Am entfernten Ufer begrüßt uns das rotierende helle Licht eines Leuchtturms. Immer wieder blitzt das Leuchten in der Düsternis des einbrechenden Abends grell und heftig auf. Die blaugrauen Umrisse des mittelalterlichen Stadtkerns nähern sich unserem Gefährt. Es ist merklich kühler geworden. Ich ziehe den Mantel fester und betrachte die in der Stille der Nacht ruhenden Straßen. Nach dem lebhaften Menschentrubel in Konstanz legt sich eine erholsame Leblosigkeit auf die Umgebung um mich. Starr blitzt der Schein der Laternen auf das nasse Kopfsteinpflaster. Die Menge der Menschen und der lange Tag haben mich müde gemacht. Meinen Gedanken nachhängend laufe ich durch die schummrig beleuchteten Gassen. Ich bin müde. Die Hand halte ich beim Gähnen vor den Mund. Dann fällt die Hotelzimmertüre ins Schloss.

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