Mit einem dumpfen Knall stoßen die einzelnen Wagons zusammen. Die heiße Luft flirrt wie ein durchsichtiger Nebel über dem heißen Deckel. Flüssiges Metall brodelt heiß unter der Oberfläche und ist bereit zum Abtransport. Der harte Zusammenprall verbindet die Zugteile zu einem intakten Gefährt. Ich blicke über die ockerfarbenen Wagen hinüber zum ehemaligen Stahlwerk. Die dunklen und rostigen Umrisse der ‚Völklinger Hütte‘ sind längst erkaltet und ziehen sich als imposantes metallenes Gerippe den Horizont entlang. 1986 wurde der gesamte Bau stillgelegt. Er steht in unmittelbarer Nähe zur Landeshauptstadt des Saarlandes, Saarbrücken. Er ist heute ein ruhendes Mahnmal zu den Arbeitsbedingungen längst vergangener Zeiten der Stahlproduktion. Ein feiner Nebel liegt heute über den riesigen Lagern und Produktionsstätten. Nicht mehr der Dampf der heißen Kohle und des Metalls wie einst. Das Wetter ist ein stiller Bote des nahenden Herbstes. Ich atme aus in die kalte Luft. Ein filgraner Atemhauch zieht vor meinem Gesicht vorbei. Dunkel hallt das Echo der zusammenfahrenden Lok hinter mir nach. Ich versuche mir die Arbeit im Stahlwerk vorzustellen. Die erstickende Hitze. Das Hantieren mit der heißen Kohlen. Der Schweiß auf der Arbeiterstirn, der das Hemdes völlig durchnässt. Die kleinen Feuerunken die auf die Kleidung der Arbeiter fallen und winzige Löcher in den Stoff der Kleidungbrennen. Das Abstechen des heißen, flüssigen Metalls. Das Herausschaben der Schlacke, die als Abfallprodukt zurückbleibt. Die Bedingungen der Schichten sind unmenschlich. Es ist gnadenlos heiß und durch die Luft ziehen die giftigen Dämpfe der Produktion.
Angewidert verziehen die Arbeiter in den Filmen des Besucherzentrums beim Mischen der toxischen Stoffe ihr Gesicht. Ohne Schutzmaske stehen sie im unangenehmen Rauch und atmen alle Gifte ein. Die unbequeme Arbeit hilft den Familien zu Überleben. Die ‚Völklinger Hütte‘ wurde 1873 in der Nähe von Saarbrücken im Saarland gegründet. 6 Jahre später wurde das Werk wegen den viel zu hohen Steuern auf Roheisen wieder geschlossen. Karl Röchling kaufte das stillgelegte Anwesen 1881. 1883 nimmt er hier den ersten Hochofen in Betrieb. 1890 ist der Bau bereits der größte Eisenhersteller Deutschlands. 1897 fügt er eine Koksbatterie zu seinem Stahlwerk hinzu. Steinkohle wird ab jetzt vor Ort bearbeitet um mit dem Eisenerz im Hochofen zeitnah zu schmelzen. Ab 1900 wird ein Gebläsehaus errichtet. Die Gebrüder Röchling erkannten sofort die überragende Bedeutung der Gasmaschine für die Eisenindustrie. Eine Schicht in der Gebläsehalle war mit 12 Arbeitern besetzt. Der Vorarbeiter trug die Verantwortung vor Ort. Für jedes der Gebläse, die die Hochofen anfeuerten war ein Maschinist zuständig. Die Schwungräder rotierten ununterbrochen einen feinen, fgiligranen Ölnebel auf den Boden der Hallen. Der Lärm der Gebläse war ohrenbetäubend und kontinuierlich. Die Arbeitsbedingungen waren sehr belastend und zermürbend. Wenn Störungen auftraten mussten die Arbeiter Sonderschichten schieben. Schwere Maschinenteile und überdimensionale Werkzeuge mussten bewegt werden. Festgelegte Pausenzeiten gab es nicht. Das mitgebrachte Essen wurde irgendwann um die Mittagszeit im Dunst des Öls und Feuers der Hochöfen verzehrt. Neben den Gebläsen steht ein einfacher Tisch mit Stuhl. Arbeit unter unerträglichen Bedingen.
1911 entsteht innerhalb des Werkes eine Hängebahn aus Waggons um die Beschickung der Hochöfen zu gewährleisten. Direkt vor den Öfen werden die Waggons mit den benötigten Rohstoffen hinauf gezogen. Die Produktion der Völklinger Hütte läuft auf Hochtouren. Unter schwersten Arbeitsbedingungen werden Eisen und Stahl für den Aufbau der deutschen Industriegesellschaft bereitgestellt. Die Abfallprodukte Feinerz und Gichtstaub werden ab 1928 ‚gesintert‘, also recycelt. In Völklingen entsteht zu diesem Zweck eine der modernsten und auch lukrativsten Sinteranlagen in Europa. Die 6 Hochöfen innerhalb des Stahlwerkes arbeiten nach dem ‚Gegenstromprinzip‘. In die obere Öffnung werden Eisenerz und Steinkohle eingefüllt. Das beigefügte Koks entzieht dem Erz den Sauerstoff. Diese Maße sinkt kontinuierlich nach unten, weil im unteren Teil des Ofens eine Volumenverringerung durch das Schmelzen und auch Abstechen des flüssigen Produkts entsteht. Gleichzeitig wird Gas eingeblasen, allerdings vom Boden des Ofens nach Oben. Also in die Gegenrichtung. Das eingefüllte Material wird auf 1.500 Grad aufgeheizt. Das zuströmende ‚Gichtgas‘ hat eine Temperatur von etwa 2.200 Grad. Dieses kühlt sich durch den Temperaturunterschied und die daraus folgende Wärmeabgabe an die Feststoffe auf bis zu 150 Grad ab. Bei Temperaturen von 1.200 bis 1.400 Grad tropft zunächst das reduzierte, metallische Roheisen aus der mittleren Lage der Unteröfen.
Der Rest des Eisen sammelt sich im unteren Teil des Ofens. Am dessen Fuß befindet sich eine Öffnung, die zur Gewinnungdes flüssigen Metalls regelmäßig aufgebohrt werden muss. Dieser ‚Abstich‘ wird etwa alle 3 Stunden vom Hüttenmann vollzogen. Ca. 130 Tonnen Roheisen flossen dadurch in 24 Stunden aus den Hochöfen heraus. Für den Standort in Völklingen sprachen innerhalb des Saarlandes etliche Faktoren. Die Verfügbarkeit von Eisen und Erzen war gegeben und die Transportwege gut ausgebaut. Wasser war für das Kühlen und Antreiben der Maschinen zu genüge vorhanden. Bevor Kohle in Form von Koks für die Roheisenerzeugung verwendet wurde, basierte die Industrie des Saarland auf dem Holzreichtum der Region und den heimischen Erzen. Allerdings reichten die Metallvorkommen für die steigende Nachfrage bald nicht mehr aus. Material aus Lothringen und Luxemburg wurde nach Völklingen transportiert. Insgesamt wurden in Völklingen von 1893 bis 1986 mehr als 61 Millionen Tonnen Roheisen hergestellt. Zwischen 300 und 500 Arbeiter waren während dieser Zeit allein im Hochofen beschäftigt. Der Betriebsalltag war in 4 Schichten eingeteilt. Die Schmelzmeister, die den Abstich durchführten, übernahmen dabei auch organisatorische Aufgaben und Überwachungstätigkeiten. Alle anderen Mitarbeiter hatten überwiegend körperliche Arbeit zu leisten. Da dies überwiegend im Freien stattfand war es in den Sommermonaten während des Abstichs brütend heiß. Die schwüle Hitze der Sonne mischte sich mit der brennenden Glut des flüssigen Metalls. In den Wintermonaten war der Temperaturunterschied zwischen der Arbeit an den Hochöfen und der Umgebung eine besondere Belastung. In der Nähe der Verbrennungsanlagen waren brannten die Feuer auf der Haut. Einen Schritt von den Hochöfen weg standen die Mitarbeiter im Schnee.
Nach dem Ausbruch des ersten Weltkriegs kommt die Produktion im Stahlwerk zunächst fast zum erliegen. Dann wird Rüstungsmaterialien für die Front hergestellt. Granaten und Stahlhelme für die Soldaten. Die männlichen Hüttenarbeiter werden zur Armee eingezogen. Die Arbeit innerhalb des Werkes verrichten Frauen und Kriegsgefangene. Nach dem Ende des Krieges wird Hermann Röchling zusammen mit seinem Bruder zu 10 Jahren Kerker verurteilt, da sie während der Kriegzeiten französische Hüttenwerke zerstörten. Zwischen 1920 und 1935 wird das Saarland unter die Aufsicht des Völkerbunds gestellt. Die Familie Röchling verliert allen Besitz in Frankreich. 1935 wird das Saargebiet wieder zurück ans Deutsche Reich gegliedert. Bei Ausbruch des 2. Weltkriegs müssen die Völklinger Bürger ihre Häuser aufgrund der Nähe zur Front räumen. Die gesamte Anlage wird im Rahmen der Evakuierung beim ersten Überfall auf Polen im September 1939 stillgesetzt. Bereits im Oktober werden die Hochöfen aber wieder hochgefahren und die Belegschaft zurückgeholt. Hermann Röchling wird von den Nationalsozialisten zum Wehrwirtschaftsführer ernannt. Ab dem Sommer 1940 war das gesamte Werk wieder voll in Betrieb und die ersten Kriegsgefangenen aus Frankreich wurden zur Zwangsarbeit dort eingesetzt. Es wird erneut Kriegsmaterial produziert. Geschützrohre, Granaten und Flugzeugteile.
1944 arbeiten während des Zweiten Weltkrieges 70.000 Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene in den Hütten, Bergwerken und Fabriken der Saarregion. In der Völklinger Hütte waren es bis zum Kriegsende etwa 14.000 Frauen und Männer. Sie kamen vorwiegend aus Russland, Polen und dem damaligen Jugoslawien. Mütter wurden mit ihren kleinen Kindern zur Arbeit eingeschleppt. Babys sind hier mit noch nicht einmal einem Jahr unter den schlechten Lebensbedingungen gestorben. In einem Computer sind alle Namen der hier Verstorbenen gelistet. Viele Kleinkinder haben das erste Lebensjahr nicht erlebt. Ein bedrückendes Gefühl. Es wird durch die Trostlosigkeit innerhalb der alten Mauern und der Vergänglichkeit des verrosteten Eisens noch verstärkt. Durch einen Lautsprecher werden von allen Seiten die Namen der Inhaftierten geflüstert. Meine Arme und mein Gesicht überzieht eine kalte Gänsehaut. Mir wird immer kühler. Ein hoch aufgestapelter Berg von Jacken und Hosen symbolisiert die Massen an Menschen, die hier unter schlechtesten Bedingungen zur Arbeit gezwungen wurden. Hoch aufragende Metallschränke mit den Nummern der Zwangsarbeiter bahnen den Weg zu diesem Kleiderhaufen. In dämmriges Licht gehüllt gemahnt er stumm dem schrecklichen Schicksal von vielen Mensch.
Hermann Röchling gehörte 1942 zum Führungsstab der deutschen Kriegswirtschaft. Er war ein großer Verehrer Adolf Hitlers und bejubelte dessen Machtübernahme. Röchling entwickelte während des Krieges einen nahezu fanatischen Durchhaltewillen. Er stellte seine Fabrik völlig in den Dienst des nationalsozialistischen Regimes. Im März 1945 wurde die Völklinger Hütte von amerikanischen Truppen besetzt. Das Saarland wird der französischen Besatzungszone zugeteilt. Hermann Röchling wird verhaftet. Die Anklage lautet auf Kriegsverbrechen in Form von Kriegshetze, Raub und Ausplünderung der von den Deutschen besetzten Gebiete, sowie Ausbeutung und Misshandlung ausländischer Zwangsarbeiter. Nach einer Haftverschonung aus gesundheitlichen Gründen wird Röchling in ein Sanatorium im Schwarzwald eingeliefert. Nach dem 2. Weltkrieg produzierte die Völklinger Hütte durch den Wiederaufbau Deutschlands auf Hochtouren. 1956 wird das Stahlwerk wieder der Gründerfamilie Röchling zurückgegeben. Der Bauboom der Nachkriegszeit beschert den Röchlingschen Eisen- und Stahlwerken satte Umsatzraten. Mitte der 1960er Jahre hatte das Werk die höchste Mitarbeiterzahl jemals, über 17.000 Menschen. Die weltweite Stahlkrise traf ab 1975 auch die Völklinger Hütte. Die Produktion läuft absolut schleppend. Ein konkurrierendes Werk entsteht bald in unmittelbarer Nachbarschaft.
Mitte der 1970er Jahre beginnt der Stahlmarkt in Europa zu versiegen. 1974 war im Grunde der Herstellungshöhepunkt erreicht. Überproduktion und das Einbrechen der Absatzmärkte im Eisenbahn- und Schiffsbau waren die Ursachen. Ebenso lief der permanente Wiederaufbau in den Nachkriegsjahren abrupt aus. Die Energiekosten stiegen rapide an und eröffnen Konkurrenten aus Übersee den Markt. Besonders Wettbewerber aus Japan erobern die internationale Stahlindustrie. Ebenso gewinnen neue Materialien wie Kunststoff an Bedeutung in der Produktion. Die Stahlkrise führt zu einem Defizit von 212 Millionen DM. Eine Katastrophe für die Mitarbeiter und die gesamte Saarregion. Die Krise verschärft sich weiter. 8.500 Arbeitsplätze werden im Werk abgebaut. Im Jahre 1986 werden die Hochöfen in der Völklinger Hütte schließlich vollends stillgesetzt. Tausend Menschen verlieren ihren Arbeitsplatz und damit die Grundlage ihrer Existenz. Die Eisenzeit des Werkes geht abrupt zu Ende. Der Stahl hatte in Völklingen ganze Familien ernährt. Auch wenn die Arbeit beschwerlich war förderte diese dennoch ein gutes Miteinander mit Teamgeist und Kameradschaft. Man musste sich aufeinander verlassen können. Jeder Fehler konnte tödlich enden. 1994 entschied die UNESCO das still gelegte Denkmal unter den Schutz des Weltkulturerbes zu stellen. Die Stillegung geschah ausschließlich aus wirtschaftlichen Gründen. Immer größere Konkurrenz innerhalb der Stahlproduktion und die Eröffnung von moderneren Anlagen zwangen die Völklinger Hütte in die Knie. Man konzentrierte sich auf wenige, dafür kostengünstiger herstellende Betriebe. Das hätte der Firmengründer Karl Röchling 1881 niemals vorhergesehen.