Ich schnalle den Sitzgurt um meine Schultern. Nachdenklich lege ich beide Hände auf das Lenkrad meines kleinen VW. Mich beschleicht das gefühl, ich hätte etwas vergessen. Wo ist denn meine Kaffeetasse? Ich lehne den Kopf erschöpft an die Polsterstütze meines Sitzes. Es ist erst 7 Uhr morgens und daher gar nicht meine Zeit. Mit mir ist noch nicht wirklich etwas anzufangen. In einer Stunde fahre ich mit einer Freundin und ein paar weiteren Mädels Richtung Paris ins Disneyland. Eve wird morgen 40 und wir zelebrieren dort. Gleich fällt mir ein, wo ich meinen Becher finden werde. Mist. Schwerfällig ziehe ich die Haustür auf. Direkt auf dem Mülleimer steht meine Tasse. Dampfend zieht der weißliche Rauch in den frischen Spätsommermorgen. Ich nehme einen Schluck und versuche wach zu werden. So richtig gelingt es mir nicht. Dann schlurfe ich zu meinem Auto zurück. Völlig verschlafen und müde drehe ich den Schlüssel im Zündschloss. Auf der Autobahn tuckere ich den LKWs hinterher. Ich fahre langsam aber stetig meinem Ziel zu.
Wir können noch nicht in unsere Unterkunft, wir sind zu früh dran. Daher gehen wir lieber in den Disneyland-Park. Schon vor Betreten des Eingangstores werde ich völlig in meine Kindheit zurück katapultiert. Am liebsten würde ich mir sofort eines der Prinzessinenkleider kaufen mit denen die kleinen Pummelfeen um mich unterwegs sind. Eines der dicken Kinder in einem Gewand von die Schöne und das Biest tritt einem der anderen Geburtstagsgäste auf den Fuß. Das Kind eilt unbesorgt weiter. Sein fröhliches Lachen mischt sich mit dem Rascheln der kunstvoll drappierten Schleifen und Röcke. Tarana jammert über ihren großen Zeh. Die anderen Mädels wollen dringend rauchen. Ein Vater läuft zielstrebig in den abgegrenzten Raucherbereich. Er trägt ein Baby auf seiner Schulter. Das Kind macht ein Bäuerchen. Angewidert und mit Sicherheitsabstand dreht der Mann um und läuft auf geradem wege zu seiner Frau zurück. Er scheint etwas planlos und überfordert. Deshalb hat er sich bestimmt auch für den Spaziergang mit seinem Sprößling in den Raucherbereich verirrt. Obwohl der Großteil von Disneyland völlig rauchfrei ist. Seinen Sohn streckt der Herr weit von sich. Er gleitet in die Arme der wartenden Ehefrau. Sie soll sich darum kümmern. Der Vater wirkt erleichtert. Auf eine Beschäftigung mit dem Kind hat er keine Lust.
Endlich können wir in unsere Unterkunft. Die Zimmer innerhalb der Davy Crocket Ranch sind überschaubare Blockhütten. Die Doppelzimmer sind im Trapper Stil eingerichtet. Es gibt eine Küche und zwei Bäder, sowie zwei Toiletten. Wir fühlen uns alle richtig wohl. Eine völlig nervige Dame präsentiert im Fernseher auf dem Disneyland eigenen Channel die wichtigsten Highlights des Parks. Die überzogene Stimme brennt sich schmerzhaft in mein Bewusstsein. Als Schauspielerin ist sie einfach schlecht und kaum zu ertragen. Nach dem Film wollen wir auf jeden Fall den Crushs Coaster fahren und durch die Unterwasserwelt des kleinen Fisches Nemo gleiten. Vorbei an Quallen, Haien bis in die Tiefen des Ozeans zu den Anglerfischen, die ihre Beute mit einer winzigen Lampe anlocken, die sie vor sich hertragen. Der Crushs Coaster sieht definitiv ganz harmlos aus und wir nehmen in einem großen Schildkrötenpanzer Platz. Da jeder Mensch eine Schildkröte mit Langsamkeit assoziieren würde, machen wir uns ebenfalls für eine gemächliche Fahrt bereit.
Niemand von uns hätte geahnt oder daran gedacht, dass wir nachdem wir unter einer Quallenkollonie hindurch geschwommen sind, in die tiefste Finsternis des Meeres gleiten würden. Dies nun mit einer Geschwindigkeit, die abrupt unsere Gesichtshaut strafft und uns die Tränen in die Augen treibt. So schießen wir durch die Dunkelheit und sind zu erstarrt uns zu rühren. Wenn man uns jetzt hochhebt, würden wir einfach in unserer sitzenden Position verharren. Die Schilder im Eingangsbereich der Attraktion, die zeigen dass Menschen mit Rücken- und Herzproblemen nicht teilnehmen sollten, hatten wir nicht gesehen. Schließlich sind wir mit einem Geburtstagskind unterwegs und mussten an der Attraktion daher keinesfalls warten. Wie zum Hohn wirkt die Plastikschildkröte, die sich am Eingang mit Vater und Kind fröhlich und in gemäßigter Geschwindigkeit dreht. Die Schnelligkeit der Achterbahn trifft uns völlig unvorbereitet. Aus der allgegenwärtigen Schwärze fliegen wir kurz ins Freie, nur um sofort wieder in absoluter Düsternis zu versinken. Wir ziehen vorbei an Algen, Seesternen und kleinen bunten Fischen. Dann umgibt uns wieder völlige Nacht. Eve und ich waren zumindest vorwärts gefahren. Die beiden anderen Geburtstagsgäste hatten die Loopings der Achterbahn rückwärts absolviert.
Gerädert steigen wir aus. Die Beine fühlen sich an wie Wackelpudding. Unstet sind unsere Schritte und fahrig unsere Bewegungen. Unser Gleichgewichtssinn ist durcheinander. Daher steht uns nicht der Sinn nach weiteren schnellen Gefährten. Wir sehen uns die Disneylandparade an und laufen dann ins Restaurant zum Abendessen. Später sitzen wir um den Tisch in der Küche unserer Unterkunft. ‚Ich gehe dann ins Bett.‘ sage ich völlig fertig. Die Geburtstagsgäste blicken mich verblüfft an, sagen aber nichts. Erschöpft lege ich mich in die Kissen. ‚Dann wollen wir Lisa mal nicht stören.‘ sagt das Geburtstagskind und zieht die Tür zum Schlafraum zu. Kurz darauf, genau 7 Minuten später höre ich plötzlich einsetzenden Gesang. ‚Happy Birthday to you, happy birthday to you…‘. Ich setzte mich abrupt auf und springe sofort aus dem Bett. Durch den anstregenden Tag und das frühe Aufstehen hatte ich den Geburtstag meiner lieben Freundin vergessen. Ich ziehe die Tür auf und schließe Eve fest in meine Arme. Sie ist mir zum Glück nicht wirklich böse, weil sie mich kennt. Obwohl es schon blöd gelaufen ist. ‚Tut mir leid.‘ entschuldige ich mich und will sie gar nicht loslassen. ‚Wir dachten Du machst Spaß.‘ informieren mich die anderen Mädels. ‚Wir hatten zunächst überlegt auch zu verschwinden und um 12 Uhr wieder zu kommen.‘ Meine größte Fähigkeit ist manche Begebenheit einfach auszublenden. Manchmal ist dies sehr erholsam und macht das Leben einfach. Andererseits ist es wie man sieht auch gelegentlich mein schlechtestes Talent.