Meine Vorfreude steigt sekündlich. Heute fahre ich mit einer Freundin auf ein Musikfestival in Schaffhausen in der Schweiz. Ich packe meinen kleinen Handgepäckkoffer in den Kofferraum und ziehe die Sonnenbrille auf. Die Straßen sind zum Glück frei. Wir fahren mit offenem Verdeck. Kurz vor der Ankunft am Bodensee hat sich die dunkle Gewitterwolke über unserem Cabriolet wieder verzogen. Gemütlich wippt mein Kopf im Takt der Musik aus dem Radio. Julia und ich können die Texte der schweizer Lieder schon mitsingen. Und so langsam verstehen wir auch Schweitzerdeutsch. Wenig später sitzen wir vor einer dampfenden Tasse Kaffee in einem kleinen Ort entlang des Weges. Neugierig blicke ich die überschaubare Hauptstraße hinauf. Hier ist überhaupt nichts los. Wir können froh sein, dass wir den winzigen Bäckerladen gefunden haben. Alle Restaurants und Läden sind geschlossen. Es ist ein Freitagnachmittag im Dorf. Die Uhren gehen hier anders. Ich schüttele leicht den Kopf. Es ist erstaunlich wie sehr ich Stadtmensch bin. Dass es solche vergessenen Flecke gibt, kommt mir gar nicht in den Sinn. In Karlsruhe lebe ich direkt in der Innenstadt. Ich kann fast 24 Stunden am Tag einkaufen oder Kaffee trinken gehen. Die fehlende Anonymität dieses Ortes springt mich förmlich an. Ein Dorf ohne Privatsphäre inmitten von Wiesen und Feldern. Hier kennt sich jeder und Rasenmähen oder Wäsche aufhängen sind Sonntags vermutlich verboten. Ländlich wohnt man hier und ohne große Alltagsaufregung oder Attraktionen. Dafür wird man freundlich gegrüßt und mit ehrlichem Interesse.
Schon bei der Fahrt über die Grenze in die schöne Schweiz fallen uns die teuren Benzinpreise auf. Man zahlt das Doppelte wie in Deutschland. Bei jedem Schild oder Plakat, das unser Festival ausweist, jubeln Julia und ich auf. Wir sind schon fast am Ziel. Über Airbnb hatten wir uns eine Unterkunft gebucht. Nachdem wir den Schlüssel zur Wohnung aus dem Milchkasten vor der Haustür gezogen hatten, geht Julia zum Auto zurück. Ich flitze in die Tiefgarage und suche den Sensor um das Tor zu öffnen. Zunächst erfolglos. Ich laufe durch das Areal vor der Einfahrt und wedele wild mit den Armen. Meine Freundin müsste jetzt eigentlich schon mit dem Auto vor dem Gatter stehen. Ich öffne die Tür zur Garage und strecke den Kopf ins Freie. Julia ist nirgends zu sehen. ich ziehe die Tür zu und laufe in Richtung des Wagens. Julia hebt hilflos die Hände. ‚Wir haben noch Zeit, mich hat soeben ein Kran eingeparkt.‘ sie deutet zur Untermalung mit dem Zeigefinger auf den Handwerker auf der Ladefläche des zugehörigen LKWs. ‚Das dauert hier noch ein wenig.‘ sagt der schweizer Arbeiter nüchtern und trocken. Er hat die Ruhe weg. Seelenruhig verrichtet der Mann seine Arbeit. An unserer Lage wird sich erst einmal nichts ändern. Wir beschließen uns dem Tempo in der Schweiz anzupassen und einfach in der gebuchten Wohnung auf unseren Urlaub anzustoßen.
Auf dem Festivalgelände fällt uns sofort auf, dass die Menschenmassen keinen Zentimeter weichen. Ständig werden wir abgedrängt und angerempelt. Wir ergattern dennoch einen guten zentralen Platz und genießen die Stimmung. Haben die Schweizer auch augenscheinlich ansonsten wie unser Kranführer heute die Ruhe weg, als die Musik beginnt sind die Besucher nicht zu halten. Die Stimmung ist überwältigend gut. Ein Meer aus wogenden Armen schießt in die Höhe bei den Liedern von Wincent Weiss und verwandelt sich zur Musik von Adel Tawil in ein Meer aus tanzenden Lichtern von Smartphones und Feuerzeugen. Aber wehe man muss während der Musikdarbietungen auf die Toilette. Ich schiebe mich durch die Menschenmenge und kämpfe wie gegen eine lebende Wand. Vermutlich denken hier alle ich wollte ihnen den Platz wegnehmen. Vor dem Rückweg durch die menschliche Masse graut mir schon sehr. Irgendwo in der Menge kifft jemand. Penetrant zieht mir der süße Rauch in die Nase.
Ich gleite zäh durch den menschlichen Strom der Musikbegeisterten und erreiche den Ausgang. Leider fehlt mir jeglicher Orientierungssinn. Auf dem Rückweg versuche ich mein Zurechtfindungsdefizit zu umgehen. Ich warte bis sich ein anderer Festivalgast in die dichte Menschenmauer schiebt und folge diesem auf dem Fuß. Das ist eine gute Idee, weil jemand anders für mich Platz macht. Im Zickzack schlagen wir uns durch die Massen in die Richtung, in der ich Julia vermute. Dann explodiert über uns eine Konfettibombe. Kleine Papierfetzen rieseln auf mich nieder und blenden die Sicht. Luftschlangen und große Luftballons legen sich auf Haar und Kleidung. Mein erstes Festival hat gezeigt, dass es keine gute Idee ist seinen Platz aufzugeben und ein Bad aufzusuchen. Dann schließt sich eine Hand um meinen Arm. Ich blicke auf und sehe Julia ins Gesicht. Zum Glück hat meine Freundin mehr Orientierung als ich.
Schoen geschrieben, Nach den Photo’s zu urteilen ist die Bauweise gleich wie in Deutschland.
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