Ich treffe meine Familie

In meiner Partnerschaft läuft es nicht gut. In diesem Wissen sind ich und mein Freund gestern auseinander gegangen. Unsere gemeinsame Zeit ist vorbei. Nicht wegen fehlender Gefühle, sondern weil unsere Situation einfach zu schwierig ist. Manchmal treffen sich zwei Menschen und es ist einfach nicht der richtige und passende Zeitpunkt. Weder er noch ich sind bereit unsere Welt mit dem anderen zu teilen. Man fühlt sich wie in einer Einbahnstraße. Wir können nicht einfach wenden und umdrehen. Die Richtung ist vorgegeben und unausweichlich. Niemand kann sich aussuchen, wann er jemanden trifft. Weder bei Freundschaften noch in Beziehungen. Mal passt die Situation, ein anderes Mal nicht. Da muss jeder mit dem leben was er bekommt. Genauso wie man sich sein Kind ja auch nicht aussuchen kann. Man muss nehmen was man kriegt. Trotzdem gibt es in uns immer den einen Punkt, der das nicht verstehen und einsehen will. Verzweifelt denken wir dann über die Situation nach. Vielleicht schlägt unsere Zuneigung zeitweise in Antipathie um. Auch das wäre menschlich, weil Wut und Liebe intensive Gefühle sind und nahe beieinander liegen. Unsere Gedanken kreisen um die Person, die nicht zu uns gepasst hat. Wenn man verliebt ist, denkt man die Situation wird auf jeden Fall funktionieren. Oder man hofft dies zumindest.

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Eine Garantie gibt es natürlich nie. Wie in jeder Lebenslage. Die reifere Überlegung wäre wahrscheinlich, ob der Moment des Kennenlernens in die derzeitige Lebenssituation von beiden passt. Aber vielleicht würde dann nur ein Bruchteil aller momentan bestehenden Beziehungen überhaupt existieren. Oder doch nicht? Vielleicht hat man einen besonderen Menschen aus seinem Leben gelassen, den man so überhaupt nicht mehr oder zumindest nicht so schnell wieder finden wird. Das kann natürlich sein. Aber wenn der Moment nun nicht der richtige war, lässt sich daran nichts ändern. Im Grunde ist unser Alltag und Leben wohl stets eine Momentaufnahme. Wir entscheiden uns jeden Tag so, wie wir es im jeweiligen Moment als richtig empfinden. Alles andere würde auch nicht funktionieren. Denn wir müssen ja ein Leben lang hinter unseren Entscheidungen stehen. Trotzdem kann sich alles verändern. Von einem Tag zum nächsten. Jeder kennt den Spruch ‚Morgen sieht alles ganz anders aus.‘ oder ‚Eine Nacht über etwas schlafen.‘. Das ist auf simple Weise einfach das Leben. Ich fühle mich erschöpft, weil jetzt gerade jemand fehlt. Auch wenn es die richtige Entscheidung ist. Trennen  kann man sich überall auf der Welt. Jetzt stehe ich auf dem Gehsteig in San Francisco in der Nähe des Union Square und weiß es ist vorbei.

 

 

Ich schlinge meine beiden Arme um meinen Körper, um mich selbst zu umarmen. Dann blicke ich intuitiv hinter mich. Ich erkenne meine Kusine Jessica sofort. Sie hatte freundlicherweise angeboten, mich in San Francisco abzuholen. 20 Jahre haben wir uns nicht persönlich gesehen. Ich war schon den ganzen Urlaub so aufgeregt alle Familienmitglieder, die in den USA leben, zu treffen. Die meisten Gesichter kenne ich nur von Fotos. Die Umarmung meiner Kusine ist herzlich und hat in diesem Augenblick etwas wirklich tröstliches. Ich fühle mich angekommen und genieße die ehrliche Freude auf unseren Gesichtern. Wir spüren kaum die lange Zeit, die zwischen unserer letzten Begegnung liegt. ‚Du hast Dich gar nicht verändert.‘ sage ich lächelnd. Wir laden meinen Koffer ins Auto. Jessica wohnt mit ihrer kleinen Tochter Vivienne und ihrem Mann John in Belmont. Die überschaubare Kleinstadt liegt inmitten der hügeligen Landschaft des San Mateos Tals. Hier kann es durchaus passieren, dass man auf seiner Terrasse eine Klapperschlange findet. ‚Einmal hatten wir einen Berglöwen in der Garage. An diesem Tag wollte niemand aus dem Haus zu seinem Auto und den Parkplätzen gehen.‘ erzählt meine Kusine. Die Tierwelt ist in Kalifornien logischerweise ganz anders als im Schwarzwald. Dort kann man höchstens mal einer Kreuzotter begegnen.

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Nachdem Jessica mir gezeigt hat, wo sie mit ihrer Familie wohnt fahren wir weiter nach San Jose zu meiner Tante Gaby und meinem Onkel Mike. Ihre Umarmung ist genauso herzlich und willkommen heißend wie die von Jessica. Ich fühle mich wirklich wohl. Heute ist Memorial Day. Die Familie lädt ein zu einem tollen Barbecue. Onkel James, der wunderbaren Silberschmuck herstellt, ist mit seiner Freundin auch da. Der Feiertag ist jedes Jahr am letzten Montag im Mai. Er geht auf den Amerikanischen Bürgerkrieg von 1861 bis 1865 zurück. 1868 erklärte General John A. Logan den 30. Mai offiziell  zum ersten Mal als Gedenktag. Damals hieß dieser noch ‚Decoration Day‘. Ab 1882 wurde der Tag umbenannt in Memorial Day. Es wird an alle amerikanischen toten Soldaten und Kriegsgefallenen gedacht. Ab 1971 wurde der Feiertag auf den letzten Montag im Mai gelegt, um ein verlängertes Wochenende zu haben. Traditionell werden an diesem Tag die Friedhöfe der amerikanischen Kriegsgefallenen oder deren Gedenkstätten besucht. Die US-Flagge wird bis Mittag auf halbmast gehisst. Ehrenamtliche schmücken sämtliche Gräber auf den Nationalfriedhöfen mit kleinen Fahnen.

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Diesen Tag mit der ganzen Familie bei einem Grillfest zu feiern ist typisch amerikanisch. Und so komme ich in den wunderbaren Genuss eines US-Barbecues. Die gewürzten Hähnchenschlegel und der Lachs bruzzeln schon im Garten bei Onkel Mike auf dem Grill. Meine Tante stellt den Makkaronisalat und die gekochten Maiskolben auf den Tisch. Ich glaube das ist das beste Essen, dass ich während der zwei Wochen meines USA-Urlaubs esse. Nicht nur weil es unheimlich gut schmeckt, sondern auch weil ich mit der gesamten Familie hier sitze. So machen es viele Amerikaner. Diese nutzen den Feiertag um Freizeit mit der Familie zu verbringen und zu picknicken oder zu grillen. In den USA haben die meisten Arbeitnehmer nur bis zu 2 Wochen bezahlten Urlaub im Jahr. Dadurch sind die Feiertage natürlich sehr wichtig. Seit dem Jahr 2000 gibt es am Memorial Day den ‚National Moment of Remembrance‘, der alle Amerikaner auffordert einen Moment der Stille und des Respekts um 15.00 Uhr zu zeigen. Oftmals denkt man inzwischen nicht nur an in die im Krieg Gefallenen, sondern auch an die Verstorbenen innerhalb der persönlichen Familie. Für mich ist dieser Tag ein besonderes Erlebnis mit Familienmitgliedern, von denen mich meistens viele tausend Kilometer trennen. Und ein Event der Lebenden.

 

 


2 Gedanken zu “Ich treffe meine Familie

  1. Hallo wanderwögelchen, dein Beitrag ist sehr ehrlich und direkt. Oft ist es so, wie du geschrieben hast, dass man Menschen vielleicht zu einer falschen Zeit trifft. Dann ist es wohl am besten, getrennte Wege zu gehen. Ich wünsche dir viel Kraft und liebe Menschen an deiner Seite, die dir helfen können. Alles Gute, Dario

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