An einem Tag durch alle Länder

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In den Mülleimern der Tankstelle sucht ein junger Mann nach Pfandflaschen oder Essen. Seine Hände sind schmutzig, die Haut unter seinen Fingernägeln vom Dreck schwarz verfärbt. Ich trete unruhig von einem Fuß auf den anderen. Dem Anblick der vielen Obdachlosen in den Straßen von San Francisco bin ich auch am zweiten Tag meines Aufenthalts nicht gewachsen. Wir müssen unser Cabriolet noch volltanken bevor wir es wieder abgeben. Deshalb hatten wir wegen Benzin hier gehalten. Unser Hotel liegt am Union Square, einem der zentralen Plätze der kalifornischen Großstadt. Überall liegen Menschen in den Hauseingängen und an den Straßenecken. Männer reden mit zum Himmel erhobenen Blick mit sich selbst. Sie heben imaginäre Dinge vom Boden auf oder greifen unstet ins Nichts der Luft. Ich stelle meinen Koffer im Hotelzimmer ab und stürze mich in die umliegenden Straßenzüge. San Francisco ist eine wunderbar lebhafte Stadt mit einem pulsierenden multikulturellen Herz. Wie jede Großstadt hat diese einige Schwachstellen.

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An nur einem Tag kann man in San Francicso durch die gesamte Welt der Kulturen wandern. In Chinatown spielt ein alter Mann am Straßenrand auf einem asiatischen Instrument. Dieses Viertel ist vollständig chinesisch geprägt. Ich blicke in die asiatischen Gesichter der Menschen, die aus den Läden und Restaurants in die Gassen des morgendlichen Alltags strömen. Über den Straßenzügen spannen sich blutrote Lampions. Aus der Ferne dringt die Musik von fernöstlichen Blasinstrumenten herüber. In den Auslagen der Geschäfte liegen Gewürze neben getrocknetem Obst und Gemüse, ebenso wie asiatischer Schmuck. Englische Sätze höre ich nur von offensichtlichen Touristen. Die Bewohner von Chinatown sprechen hauptsächlich Mandarin. Selbst die Säulen am Portal der hiesigen Bank of America zieren kunstvolle, sich am Stein entlang schlängelnde längliche Drachen. In den Schaufenstern der Lokale und Imbissstuben hängen gegrillte ganze Enten. Genauso wie Hühner, an denen noch der Kopf dran ist. Leer blicken deren Augen auf den grauen Gehsteig. Die Restaurants bieten traditionelle chinesische Küche an. Ganz unabhängig davon, ob der Geschmack und die Zutaten auch für den westlichen  Magen zuträglich sind.

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Ich lasse Chinatown hinter mir und betrete Italien. ‚North Beach‘ schließt sich direkt an den asiatischen Nachbarn an und wurde von italienischen Einwanderern aus Ligurien gegründet. Hier war früher wirklich ein Strand, doch bei der Neugestaltung des Küstenstreifens wurden die Strände ans Nordende von San Francisco verlegt. Die asiatischen Schriftzeichen sind völlig verschwunden. Tafeln vor den Restaurants preisen einen guten Chianti an oder rühmen sich für die beste Pizza und Pasta der Stadt. Lautstark fährt die Feuerwehr vorbei. Die schweren Räder donnern über den Asphalt und die kreischende Sirene zerreißt ohrenbetäubend das gemütliche Urlaubsflair zwischen den mediterran anmutenden Häusern. Ich zucke zusammen und halte mir die Ohren zu. Der missliche Ton ist dennoch sinnvoll. Da macht wirklich jeder Platz. Nicht weit von hier befindet sich die Lombard Street auf dem Russian Hill. Die kurvenreichste Straße San Franciscos ist ständig dicht befahren von Touristen. Im Schritttempo schleicht man im Konvoi um die engen Kurven. Die hübschen Häuser mit den reichen Blumen im Vorgarten nimmt man dadurch nur minimal wahr. Ganz genau hingegen betrachtet man gezwungenermaßen den Kofferraum des vor einem fahrenden Autos. So ist das mit den Geheimtipps unter den Sehenswürdigkeiten. Sind diese nicht mehr geheim, verlieren sie ihren Zauber.

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Der Aufstieg auf den Telegraph Hill ist anstrengend. Obwohl ein kalter Windhauch die Luft merklich abkühlt. Die Stufen führen steil nach oben und erscheinen mir schier endlos. Am Fuße des Hügels liegt das Stadtviertel ‚Embarcadero‘. Je näher ich der Spitze des Stadtbergs komme, umso größer werden die Konturen der Kreuzfahrtschiffe im am Horizont gelegenen Hafenviertel. Die blaue Reling der ‚Grand Princess‘ hebt sich trist gegen den bewölkten Himmel ab. Kein Mensch ist an Deck zu sehen. Die Gänge sind völlig leer und in die Fenster der vielen Kabinen kann ich nicht hinein sehen. Ich stelle mir den Prunk und Luxus im Inneren des Kreuzfahrtschiffs vor. Riesige Kristallleuchter, elegante Aufgänge mit kunstvoll geschnitzten Holzfassaden und ausladende große Bankettsäle. So sieht die Princess zumindest in meiner Fantasie aus. Zu gern würde ich einmal wirklich in den schwimmenden Koloss hineinschauen. Ich schlendere hinunter zum Hafen. Mein Spaziergang verläuft am Wasser entlang bis zum Pier 29.

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Erschöpft falle ich auf eine Bank. In einiger Entfernung treibt auf dem Wasser ruhig die berühmte Gefängnisinsel Alcatratz. Der bekannte Mafioso Al Capone hat dort eingesessen. Heiser kreischen die Möwen ihr Lied über den sanften Wellen. Mit gemächlichen Flügelschlägen ziehen diese über dem Wasser ihre Runden. Es ist ein wolkenverhangener Tag. Ein kleines Passagierboot schwimmt langsam am Gefängnis in der Ferne vorbei. Heute ist die Insel ein Museum und der Bau kann besichtigt werden. Das Meer wirkt grau, es reflektiert die Farbe der Wolken. Aus der Stadt dringt erneut das unerträgliche, penedrante Heulen der Sirene eines Krankenwagens. Ich stehe langsam auf. An den verschiedenen Piers entlang erreiche ich schließlich San Franciscos Vergnügungsviertel, den ‚Pier 39‘. Horden von Touristen, die gerade von einer Hafenrundfahrt kommen, strömen durch das überschaubare Areal entlang des ‚Embarcadero‘. Scharen von Asiaten sind hier zu Besuch. Eine Gruppe Indios spielt vor dem Hard Rock Cafe Lieder auf der Panflöte. Ich nehme entspannt in der nähe Platz und lasse die Musik auf mich wirken. Die angenehmen Melodien gleichen einem Vogel, der mit erholsamen Flügelschlagen über den Platz schwebt und auf wohltuende Weise alle Anspannung fortträgt.

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Ist die Hektik um mich auch noch so spürbar finde ich hier einen willkommenen Moment des Innehaltens. Ich kann verstehen, warum San Francisco in den 60er Jahren Zentrum der Flower-Power Bewegung war. Ende der 1960er Jahre befand sich das Stadtviertel Haight-Ashbury an vorderster Front dieser Bewegung. Damals entstand in den Straßen ein völlig neues Lebensgefühl. Junge Menschen rebellierten gegen konservative gesellschaftliche Konventionen. Die Musik, die von hier aus um die Welt ging, veränderte das Bewusstsein einer ganzen Generation. Ab 1967 füllten sich die Straßen mit tausenden von Blumenkindern. San Francisco wurde die Hippiehauptstadt der Welt. „Make Love not War“ hieß ihr Motto. Sie rebellierten gegen den Vietnamkrieg, wollten ein Leben ohne Gewalt. Die Kriegsdienstverweigerer versteckten sich in Haight-Ashbury, denn in Kalifornien gab es zur damaligen Zeit keine Meldepflicht. Inzwischen sind die Hippies längst weggezogen oder haben sich in ein normal bürgerliches Leben zurückgezogen.

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Doch das Flair dieser Zeit liegt immer noch in der Luft. In Haight Ashbury kann man immer noch Batikhemden, Jesussandalen, weite Kleider und Haschispfeifen kaufen. San Francisco ist so wunderbar lebendig und facettenreich und auf seine Art und Weise unglaublich tolerant. Die verschiedenen Stadtviertel der multikulturellen Einwohner aus verschiedenen Nationen schmiegen sich ohne Groll und Zwist aneinander. Hier kann man an einem Tag durch verschiedene Nationen der Welt laufen. Von China nach Italien und weiter nach ‚Little Tokio‘ oder “Greek Town‘. Ebenso ist ‚The Castro‘ das Stadtgebiet, in dem viele Schwulen und Lesben leben. Ich mag den Puls dieser Stadt. Das unbeschwerte Miteinander zieht mich innerlich an. Es gibt wie in jeder Großstadt auch in San Francisco Schattenseiten, wie die vielen obdachlosen Menschen. Gegen die Anziehungskraft dieser Metropole und das Lebensgefühl in den Straßen verblassen die Probleme aber immer mehr. Und ich habe mich in das Herz dieser Stadt verliebt.

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