Direkt neben meinem Autofenster äst ein junges Reh. Scheu mustern mich seine dunkelbraunen, tiefgründigen Augen. Seine winzigen Ohren sind aufmerksam gespitzt, die dürren Beinchen bereit zur Flucht. Dann treten immer mehr Rehe zwischen den Bäumen hervor. Schnell zücke ich mein Handy um zu fotografieren, aber unser Cabriolet setzt sich schon wieder in Bewegung. Gestern Nacht hatten wir in der Nähe unseres Zeltplatzes einer Gruppe Bären gelauscht, die in einiger Entfernung vorbei gezogen waren. Und gleich darauf hatte ich jemanden in der Nähe unseres Zeltes hinpinkeln hören, als ich auch dem Weg ins Gemeinschaftsbad war. Vielleicht aus Furcht vor den nächtlichen Bärengeräuschen, obwohl das natürlich absolut albern ist. Wir fahren heute zum Glacier Point, einem Aussichtspunkt mit herrlichem Blick über das Yosemite Valley. Majestätisch thront über uns der Fels El Capitan. Er misst im Gesamten 3.600 Fuss, das ist zweimal so hoch wie das Empire State Building. In kleinen Ritzen pendeln Kletterer an den steinernen Felsspalten. Sie haben den Aufstieg auf den Berg gestern nicht an einem Tag geschafft und werden erst heute den Gipfel erreichen. Kleine Eichhörnchen kommen auf dem Aussichtsplateau auf der Suche nach Essen ganz nah an meinen Sitzplatz heran. Die possierlichen Pelztiere sind unglaublich zutraulich und Besucher gewöhnt.
Eine kleine Ausflugsbahn bietet den Parkbesuchern eine Spazierfahrt zu den Highlights des Yosemite Nationalparks. Unser Ranger und Tourguide ist Owain. Der gesamte Park umfasst 1.200 m². Wir passieren die Yosemite Wasserfälle. Sie sind die höchsten Nordamerikas mit einer Höhe von 2.400m. Camp 4 des Zeltplatzes ist das Älteste. Hier können Kletterbegeisterte seit 1960 eine Unterkunft reservieren. Direkt aus dem Fels des Sentinel Dome ergießt sich der Sentinel Wasserfall kerzengerade in die Tiefe. Die Wassermassen peitschen wild gegen den steinernen Untergrund und lassen die weiße Gischtkrone unkontrolliert nach oben spritzen. Alle Katarakte innerhalb des Parks werden aus schmelzendem Schnee gespeist. An den steilen umgebenden Felsen stürzen im Winter oftmals Steinmassen ab. Bestenfalls werden die Ranger vor den herabstürzenden Felsen im Vorfeld gewarnt und können die betroffenen, darunter liegenden Straßen dann noch rechtzeitig absperren. Hitze, Regen oder Schnee können die liegenden Felsen schnell zum Rutschen bringen. Wasser sickert dabei in die Gesteinsritzen. Da es im Winter gefriert, dehnt sich dessen Volumen aus und sprengt den Felsabschnitt ab. Im Tal schmilzt das herabstürzende Eis dann erneut und durch neu fallenden Schnee und Regen beginnt der gesamte Kreislauf von vorn. Dieses Jahr gab es leider nicht viel Schnee und die Wasserversorgung ist dementsprechend mangelhaft.
Wir fahren erneut am El Capitan vorbei. Die meisten Kletterer brauchen etwa 3-5 Tage um den Fels zu erklimmen. Dieses Jahr hat der Kletterer Alex Honold zusammen mit seinem Partner Tommy Caldwell die Steilwand in etwa 2 Stunden bezwungen und damit einen neuen Rekord aufgestellt. Die steile Felswand ist eine der am schwierigsten zu erobernden Steinberge der Welt und galt lange Zeit als unbezwingbar. Owain zeigt uns ein paar Kletterer, die direkt am Fels hängen. Die kleinen Punkte sind für mich schwer wahrzunehmen und fast nicht zu sehen. Ich folge dem Fingerzeig unseres Rangers um überhaupt die richtige Position auszumachen. Ein Hubschrauber steht jederzeit zur Rettung im Falle eines Unfalls bereit. Verletzungen der Felsbezwinger gibt es so gut wie jeden Tag. Sie schlafen in kleinen Zelten direkt auf einem Felsvorsprung. Für die Felsbesteigung ist keine Erlaubnis nötig und daher wird auch so gut wie jeder steinerne Berg kontinuierlich erklommen. Die meisten Kletterer erklimmen in Gruppen von zwei Personen. Dabei sichert einer jeweils den anderen am Gestein und einer klettert voran. Die meisten leben von Energyriegeln und Dosenfutter. Ist der Aufstieg auch mühsam, das Abseilen vom El Capitan dauert meist nur 1 Tag.
Der Granit, der die schöne und teilweise schroffe Landschaft formte ist etwa eine Million Jahre alt. Unser Besucherzug hält am Bridalfall. Dies ist der einzige Wasserfall der unabhängig von der Schneeschmelze jedes Jahr herabfließt. Zu diesem Wasserfluss gibt es eine schöne Sage: Wenn eine Singlefrau den Katarakt besucht und intensiv in das Wasser schaut, soll auf einmal jemand auftauchen, der um ihre Hand anhält. (‚The Miss, that stares into the mist becomes a misses‘). Ich werde das vielleicht irgendwann mal versuchen, denke ich. Wenn ich jenseits der 45 bin und mir die Ehe mit einem Wassergeist lohnenswert erscheint. Das Yosemite Valley wurde durch viele Gletscher geformt, die über Millionen von Jahren alle löslichen Stoffe bei der Gletscherschmelze durch die kontinuierliche Erderwärmung mitnahmen. Nur der unlösliche Granit blieb zurück und schuff diese wunderbare Szenerie. Das komplette Areal wurde durch den Schotten John Muir zum Nationalpark, der im gesamten Valley als Besucherführer tätig war. Als sich eines Tages der damalige amerikanische Präsident Theodore Roosevelt durch den Park führen ließ, redete Muir während der Tour und die nächsten drei Jahre derart auf diesen ein, bis dieser zustimmte Yosemite im Jahre 1906 als Nationalpark einzutragen. Muirs Familie wanderte als er ein Kind war von Schottland in die USA aus. Ab 1867 reiste dieser durch ganz Amerika und gelangte 1868 schließlich über San Fransisco ins Yosemite Valley. Er erforschte das gesamte Gebiet für die nächsten 12 Jahre.
Der allererste Tourist war der Unternehmer James Mason Hutchings zusammen mit dem Künstler Thomas Ayres und zwei weiteren Reisenden. Die Touristen wagten sich 1855 in die Weiten der unerschlossenen Gegend. Hutchings veröffentlichte Artikel und Bücher über seine Exkursionen im gesamten Yosemite Valley. Sein Begleiter fertigte die ersten naturgetreuen Skizzen der besonderen Parkhighlights. Zu diesem Zeitpunkt wohnten die Ureinwohner des Tals bereits 800 Jahre im späteren Nationalpark, sie nannten sich Ahwahnechee. Die Menschen waren ein Jägervolk und erlegten Rehe oder angelten Fische. Ebenso waren sie Korbflechter. Die Körbe waren wasserdicht und man konnte in ihnen kochen, indem man heiße Steine darum plazierte. Mit dem Flechtwerk betrieben die Indianer Handel mit anderen Stämmen. Küchenutensilien und Speerspitzen stellten sie aus Obsidian her. Der Name ihres Lagers im südwestlichen Teil des heutigen Parks war Wawona. Dort entdeckte der Siedler Galen Clark 1857 den Mariposa Grove mit Riesenmammutbäumen. Man baute daraufhin einfache Unterkünfte und Straßen in der Gegend. Im Jahr 1879 wurde das Wawona Hotel für Touristen eröffnet, alle wollten die riesigen Bäume sehen. Das Land wurde den Ureinwohnern dabei einfach weggenommen. Die Ahwahnechee starben aus. Aufgrund des stetig wachsenden Tourismus entstanden viele weitere Hotels und auch ausgedehnte Wanderwege.
Während die Indianer kontinuierlich Waldbrände gelegt hatten, um ihre Jagdaussichten zu verbessern und die Wiesen nicht zuwuchern zu lassen, wurde ihnen dies von den Weißen verboten. Natürlich hatten die Enteigner keine Ahnung. Diese kannten das Land ja kaum. Im Grunde zieht sich die Unwissenheit der Eroberer ja wie ein roter Faden durch die Geschichte jeglicher ausgelöschten Kultur. Die Wälder wurden daraufhin dichter und überzogen bald auch die lieblichen Wiesen des Tals. Der Nationalpark wurde mehr und mehr undurchdringlich. Heute setzen die modernen Ranger wieder vermehrt Waldbrände ein. Der große Baumbestand kann sonst nicht überleben, da der Wald an vielen Stellen viel zu dicht ist. Die Feuer sind notwendig, damit die Pflanzen mehr Sonnenlicht und genug Wasser bekommen. Dadurch wächst alles viel höher. Ein weiteres Problem ist mangelnde Flüssigkeit. Bekommt ein Baum nicht genug Wasser wird dieser anfällig für Käfer und Pilze. Borkenkäfer fressen den kranken Baum von innen heraus auf. Nur die leere Hülle bleibt zurück. Die Bäume stehen dann noch, sind aber völlig tot. Der nächste Sturm wirft die kraftlosen Stämme mit Leichtigkeit um. Kranke Bäume werden von den Rangern daher vorsorglich entfernt, bevor diese bei einem Unwetter auf ein Auto oder Personen fallen könnten. Man tut einfach alles um die Fehlentscheidungenaus der Vergangenheit zu korrigieren.
In unserem Camp öffnen wir die Metallbox vor unserem Zelt, die unser Essen gegen Bären abschirmen soll. Bis vor 5 Jahren kam noch jeden Abend Meister Petz weit in die Zeltlager hinein. Die Tiere brachen in die geparkten Autos ein und verwüsteten die Zelte. Im Yosemite Valley gibt es inzwischen daher nur noch Schwarzbären. Die Grizzlys, die hier früher auch lebten, wurden leider alle geschossen. Bären können etwas das ihnen zusagt auf 2 Meilen riechen. Ihre Nase ist 7x stärker als die eines Bluthundes. Die Gerüche von Süßigkeiten ziehen sie besonders an. Schwarzbären haben einen Kalorienverbrauch von 4.000 Kcal. am Tag, vor dem Winterschlaf benötigen sie sogar 20.000. Natürlich essen sie daher lieber Peanutbutter und Schokolade als Nüsse und Beeren. Innerhalb des Yosemite Valley gibt es derzeit noch eine Bärenpopulation von 300-500. Diese Zahl bleibt zum Glück wegen der vielen Schilder zum Verhalten innerhalb des Zeltcamps stabil. Leider gibt es immer wieder Zelter, die sich nicht konform der Parkrichtlinien verhalten und die Bären daher stark gefährden.Viele Besucher lassen Essen oder süß riechende Toilettenartikel in ihren Autos oder Zelten zurück. Angelockt vom Geruch brechen die pelzigen Tiere mit Leichtigkeit in die Fahrzeuge und Unterkünfte der Menschen ein, um essen und süß riechende Dinge zu klauen. Gewöhnt sich ein Bär an dieses Prozedere, verliert er die Furcht vor Menschen. Er wird vertraut mit dieser Form der Nahrungsbeschaffung, obwohl die menschlichen Lebensmittel ihm eigentlich gar nicht bekommen. Diese können den pelzigen Gefährten sogar aggressiv machen. Der Bär muss dann erschossen werden um die Menschen zu schützen. Und was passiert mit den dummen Menschen, die trotz der ganzen Warnschilder innerhalb des Parks aus Bequemlichkeit ihre Essensvorräte nicht weggeräumt haben? Die es sich aus Gedankenlosigkeit einfach gemacht haben? Nichts!