Ich ziehe die Tür auf und schiebe mich über die morschen Holzbohlen in das Innere des Gastraumes. Der Wirt eilt mir mit gefüllten Gläsern entgegen und sieht mich fragend an. ‚Ich würde gern ein Gläschen Wein trinken.‘ schlage ich erfreut vor. ‚Das gibt es hier!‘ die trockene Antwort des jungen Mannes trifft mich mit ungläubigem Blick. In einer Winzergaststätte mit angegliedertem Weinverkauf nach einem guten Schoppen zu fragen, klingt ja auch zu blöd. Nach 2,5 Stunden im Stau und 2 weiteren Stunden im Zug bin ich wiederum von meinem Vorschlag absolut begeistert. Ich sinke erschöpft auf den hölzernen Stuhl im urigen Wirtshaus und presse meinen müden Rücken an die gepolsterte Lehne. Mein Kopf lehnt sich entspannt für einen Moment in den Nacken und ich fahre mit der rechten Hand die strähnigen Haare beiseite. Ich bin schlicht erschöpft. Die Anreise nach Bacharach im schönen Mittelrheintal war anstrengend. Dabei ist der Rheingau nur etwa zwei Stunden Autofahrt von Karlsruhe entfernt. Zumindest an einem normalen Wochenende. ‚Der liebe Gott hat nicht gewollt, dass edler Wein verderben sollt und hat uns daher nicht nur die Reben, nein auch den nötigen Durst gegeben.‘
Das elegante Glas mit der fein perlenden kühlen Weinschorle schmiegt sich in meine Hand. Hier dreht sich alles um den Wein. Ich wohne sogar in einer Pension namens ‚Winzerhaus‘. Die grazilen Fassaden der vielen Fachwerkhäuser sind hier mit Trinksprüchen versehen. Eine immerwährende Werbung, die sich seit Jahrhunderten bezahlt macht. In diesem Tal bestimmen die Reben und deren Saft das Leben. Schon auf dem Weg vom überschaubaren Bahnhof in die zierliche Altstadt fing mein Gemüt die romatische Stimmung der zart geschlungenen Kopfsteingassen und altertümlichen Laternen auf. In vollkommener Finsternis, von einigen, wenigen Straßenlaternen beschienen, thront die imposante Burg Stahleck über diesem wunderschönen, kleinen Ort. Unbezwingbar fließen die Mauern der altertümlichen Fassade hinab in die Innenstadt des gemütlichen, überschaubaren Weinorts Bacharach. Ebenso verlieren sich die Ruinen der mittelalterlichen,steil emporragenden Stadtmauern in den Höhen der Weinberge im dunklen, nächtlichen Himmel. Das obere Mittelrheintal gehört seit 2002 zum UNESCO-Welterbe. ‚Hätten die Nüchternen einmal gekostet, alles verließen sie und setzen sich zu uns an den Tisch der Sehnsucht, der nie leer wird – Novalis‘.
Im vorderen Bereich der Wirtschaft nahe dem Eingang sitzt eine Gruppe älterer Männer. Sie unterhalten sich lautstark über den neuesten Klatsch aus dem Dorf Bacharach und seinen 1900 Einwohnern. Laut ihren Aussagen ist der hübsche Ort die angenehmste aller Ansiedlungen im Rheintal. Immer wieder schnellen ihre Blicke verstohlen zu mir. Ich bin die Touristin, die keiner kennt und daher von Interesse. Ich werde beobachtet. Ruhig lege ich beide Hände auf meinen kleinen Koffer und sehe gelassen einem der Senioren in die Augen. Er erwidert meinen Blick. Ich bin sicher, ich werde ihn morgen auf einer der gemütlichen Straßen Bacharachs treffen und er wird sich an mich erinnern (So ist es auch geschehen, der alte Herr hat mir am nächsten Tag einen guten Morgen gewünscht). Hier kennt jeder einfach jeden. Ich winke den jungen Wirt zu mir. ‚Ich suche die Pension Winzerhaus.‘ fragend blicke ich ihn an. ‚Ach das ist doch die Familie den Hang hinauf. Die haben auch ein Fitnessstudio in Oberwesel.‘ erklärt die junge Gastgeberin ihrem verblüfften Mann. Er zuckt die Schultern. ‚Ich weiß nicht, wenn Du meinst.‘ So ist es hier. Für ein Wochenende wunderbar und schön. Auf Dauer würde mir hier die Privatsphäre fehlen. Schließlich wissen meine Gastgeber im selben Moment sicher schon bei welchem Winzer ich sitze, um die Zeit zum Check-In zu überbrücken. Ich ziehe die Jacke zu, um die Weinberge hinauf zu meiner Unterkunft zu gelangen. ‚Iss was gar ist, trink was klar ist, red was wahr ist – Martin Luther‘.