Beinahe wäre ich auf den zierlichen Grashüpfer vor der Tür meines Hotelzimmers getreten. Er hatte sich über die Treppe in das untere Stockwerk der Unterkunft verirrt. Behutsam nehme ich den kleinen Kerl zwischen ein paar Blättern Klopapier in die Hände und trage ihn die Treppenstufen hinauf. Ich setze ihn in die Freiheit, damit er nicht auf irgendeinem laotischen Teller landet. Die Einheimischen essen geröstete Insekten als Snack. Raupen z.B. gibt es in vielen Geschmacksrichtungen im Supermarkt zu kaufen. Hoffentlich hatte ich den Hüpfer nicht verletzt. Bevor ich vom Frühstück zurückkomme ist er weg. Ich hoffe, er ist dem Besen der Putzfrau entgangen. Das heiße Aroma gebrühter Kaffeebohnen schlängelt sich müde und träge nach oben in Richtung meiner Nase. Vorsichtig nippe ich an der Tasse Lao Coffee. Kaum schmeckbar ist das Koffein, wenn es überhaupt vorhanden ist. Aus Bequemlichkeit hatte ich die Suche nach westlichem Kaffee aufgegeben und im Restaurant meiner Unterkunft Platz genommen. Nach dem Essen schlendere ich durch Vang Viens Gassen zur Tham Jang Höhle. Eine Horde Kühe trottet vor mir über die Straße. Die Tiere spazieren genauso gemächlich und schwerfällig den Weg entlang wie ich selbst. Um das Areal in dem die Höhle liegt zu betreten, muss ich eine Maut bezahlen. Das Betreten der Grotte kostet dann nochmal extra. Als Tourist zahle ich 50% mehr an Eintrittsgeld als die Einheimischen. Genervt zücke ich den nächsten Geldschein und sehe der Geldnote nach, die hastig im Portemonnaie des jungen Laoten an der Kasse verschwindet.
Die Größe der Höhle überwältigt mich. Überall führen zierliche Wege an Stalagmiten vorbei in die spärlich beleuchteten Gänge. Ich tapse winzige Treppenstufen hinab, weiche den feuchten rutschigen Flecken auf den Stufen aus und bestaune die Stalagtitenformationen die von der Decke auf mich herab blicken. Einzelne bunte Lichter tauchen die Steine der Wände in grelle Farben. Helles Grün und durchdringendes Rot verleihen dem gesamten Komplex ein kitschiges Ambiente. Je weiter ich vordringe, umso mehr lasse ich diesen Eindruck zurück und betrete auch völlig düstere Pfade. Plötzlich stehe ich vor einer Absperrung. Ein Schild zeigt einen grinsenden Totenkopf und den Schriftzug ‚Gefahr‘. Ich weiche zurück, hier geht es nicht weiter. Fies grinsend mustert mich der Knochenschädel in der düsteren Beleuchtung. Ein ungemütlicher Anblick. Mit einem mulmigen Gefühl spaziere ich den zuvor gegangen Weg wieder zurück. Das Echo von Schritten durchreißt die Stille des Ortes und schwillt zu ausuferndem Lärm an. Wie ein Sturm überrollt mich eine Horde chinesischer Touristen, die in wirklich jeder Felsformation ein bis zwei Fotos mit ihrem Tablett machen müssen. Als der asiatische Orkan über mich hinweg gerollt ist bleibt erneut eine gewünschte Ruhe zurück. Ich befreie mich an die frische Luft und schüttele die Hektik der vorbei eilenden Reisegruppe ab. Im 19. Jhd. wurde die Höhle von Laoten schon als Bunker und Geheimversteck während der Invasion durch die Chinesen genutzt. Heute rette ich mich vor denselben ins Freie.
Die junge Brasilianerin an der Rezeption meiner Unterkunft sieht mich mit hochgezogenen Schultern an. ‚De rnächste Bus nach Vientiane geht erst um 13:00 Uhr.‘ meint sie dann entschuldigend und zuckt die Achseln. ‚Aber das sind ja noch 3 Stunden.‘ protestiere ich entsetzt. ‚Was ist denn mit den Minivans, die jede Stunde fahren sollen?‘ Das Gefühl in diesem Land ständig irgendwo ungewollt festzusitzen hatte mich permanent im Griff, seit ich die Grenze nach Laos überquert hatte. Ich wollte mich auf die Meinung der jungen Frau keinesfalls verlassen. ‚Ich habe zwei Transportanbieter angerufen.‘ rechtfertigt sie sich. ‚Schon gut.‘ ich winke ab. ‚Ich schau einfach selbst nochmal.‘ Aufmunternd lächele ich ihr zu. Zwei Straßenecken von meiner Unterkunft entfernt habe ich Erfolg. Ich buche einen Bus in die laotische Hauptstadt Vientiane um 11 Uhr und schlendere erleichtert zum Hotel zurück. Der Transfer ist teurer, weil er von einer privaten Firma durchgeführt wird. Für Geld gibt es in Laos eigentlich alles. Aber wirklich jede Kleinigkeit kostet in diesem Land auch etwas. Es sind im Grunde zwar immer nur kleine Beträge, die sich aber letzten Endes dennoch kontinuierlich summieren. Das Empfinden ständig zur Kasse gebeten zu werden, weil man mehr Geld hat als die Laoten, lässt sich nicht abschütteln und verfolgt mich auf unangenehme Weise.
Eigentlich sollte ich um 10:45 Uhr abgeholt und zum Bus gebracht werden. Natürlich ist mein Transfer um 11 Uhr immer noch nicht da. Inzwischen habe ich mein westliches Zeitempfinden abgelegt. Ich setze mich auf die Veranda meines Hotels und warte geduldig ab. Solange ich überhaupt irgendwann mitgenommen werde bin ich zufrieden. Hoffentlich vergisst man mich nicht, da die Buchung ja so kurzfristig war. Dann würde ich eben erst etwas Essen gehen und dann weitersehen. Über mir verdunkelt sich spontan der Himmel. Eine absolute Stille setzt ein. Die Vögel haben aufgehört zu zwitschern. Die Ruhe ist gespenstisch und kündigt auf einsame Weise die nächste Naturgewalt an. Der Horizont reißt auf und schüttet alles verfügbare Wasser über dem kleinen Ort Vang Vien aus. In der ferne grollt der Donner. Das bedrohliche Knurren kommt immer näher und wird kontinuierlich lauter. Die Wassermassen sind nicht zu bremsen. Ein Teil des Sandes der Straßen wird mühelos weg geschwemmt. Mit eingeklemmtem Schwanz rennt ein streunender Hund über die Straße. Immer heftiger wird der Wind. Die Laternen auf der Terrasse reißen wilde Böen von den Bäumen. Eine unbeherrschbare Sintflut bricht herein. Bald ist der Unterstand vor dem Hotel so durchnässt vom herein peitschenden Regen, dass ich ins Innere der Pension flüchte. Das Grelle Leuchten von Blitzen erhellt den Innenhof und erlischt sofort im grauen Nebel der Umgebung. Dann bremst der Himmel den Regenguss und das ganze Spektakel endet so unverblümt wie es begonnen hat.
Um 12 Uhr erscheint dann auch endlich mein Minibus. Im Regen zu fahren wäre der Transportfirma zu gefährlich gewesen. Man musste das Unwetter abwarten. In Laos kostet nicht nur alles Geld, sondern auch Unmengen an Zeit. Die Vorfreude auf Vientiane, die Hauptstadt des Landes und letzte Etappe meiner Reise steigt an. Dort befindet sich auch der Flughafen, um das Land wieder zu verlassen. Im vollgezwängten Van fahren wir durch die schlammigen Straßen. Diesmal gelingt es mir tatsächlich ein paar Stunden während der ruckeligen Fahrt zu schlafen. ‚Warum haltet ihr an der Tankstelle nicht mal an?‘ der laute Ausruf meines Sitznachbarn reißt mich aus meinem Nickerchen. Kurz darauf meldet sich ein weiterer Passagier aus den vorderen Reihen. ‚Warum haltet ihr das verdammte Auto nicht endlich mal an!‘ Die junge Laotin, die unseren Transfer begleitet versteht die englischen Sätze nicht. Auf gut Glück versucht sie die Aussagen zu deuten. Nervös nestelt sie an der Klimaanlage. Sie denkt wohl den meisten im Bus wäre es zu warm. Ich hingegen verstehe. Die ausgestreckten Hände zeigen nicht auf die Lüftung, sondern aus dem Fenster auf die nächste Tankstelle. Der gesamte Minibus muss auf die Toilette und versucht verzweifelt den Fahrer zu einer Pinkelpause zu bewegen. Wir waren wohl bisher ununterbrochen durchgefahren. Als die nächste Tankstelle in Sicht kommt, springt der Russe neben mir von seinem Sitz auf. ‚Stop, stop! Haltet das Auto an!‘ brüllt er. Hektisch deutet er mit dem Finger auf das Gebäude auf der anderen Straßenseite. Jetzt begreift auch die junge Laotin und wir halten endlich an. Der gesamte Bus rennt erleichtert auf die Toilette. Die Stimmung bei der Weiterfahrt ist wesentlich gelöster als zuvor. Es war wohl sehr dringend. Dann fahren wir weiter ohne Stop durch bis nach Vientiane.