‚Willst Du auch nach Laos?‘ die blauen Augen des jungen Mädchens mustern mich interessiert. ‚Ja.‘ ich nicke. Sie stellt sich vor. ‚Ich bin Ava.‘ ihre Hand weist auf den Mann gleichen Alters, der neben ihr sitzt. ‚Das ist Dmitri. Wir sind aus Stockholm. Und Du?‘ ‚Karlsruhe.‘ sage ich kurz und ernte unwissende Blicke. ‚Süddeutschland. In der Nähe vom Schwarzwald.‘ erkläre ich ausführlicher. Ein hektischer Nicken meiner beiden Mitreisenden zeigt, dass der ‚Black Forest‘ schon eher bekannt ist. ‚Wie lange reist Du?‘ fragt mich Dmitri. Eine typische Frage unter Backpackern. ‚Ich bin nur 3 Wochen unterwegs, zwei davon war ich in Thailand. Jetzt überquere ich die Grenze nach Laos. Ich will in Huay Xai vielleicht Ziplining machen durch den Dschungel.‘ Ava lächelt. ‚Wir wollen etwa drei Jahre unterwegs sein. Ich bin eigentlich Lehrerin an einer Grundschule. Habe jetzt aber gekündigt.‘ ‚Wir haben uns in Italien im Urlaub kennen gelernt. Ursprünglich bin ich aus Lwiw in der Ukraine.‘ verliebt blickt der Osteuropäer seine Partnerin an. Ava nimmt seine Hand. ‚Dmitri ist dann nach dem Urlaub direkt zu mir nach Stockholm gezogen und hat einen Job als Barkeeper angenommen.‘ Neugierig sehe ich vom einen der Reisenden zum Anderen. ‚Wollt ihr dann überhaupt zurück nach Stockholm? Vielleicht gefällt es Euch in den 3 Jahren ja irgendwo sehr gut in der Welt.‘ Beide nicken begeistert. ‚Das kann schon sein.‘ meint Dmitri. ‚Aber eigentlich gefällt uns Stockholm und das Leben dort gut.‘
An der Grenze von Thailand nach Laos verliere ich die beiden bei der Passkontrolle aus den Augen. Ich steige vor dem Ausgang des Grenzpostens in das wartende Tuk Tuk. Einen Bus oder eine andere Möglichkeit in die nächste Stadt zu kommen gibt es anscheinend nicht. Noch nicht einmal ein wartendes Taxi. Wild gestikulierend werde ich von einem der Tuk Tuk Fahrer empfangen. ‚7.500 Kip nach Huay Xai.‘ ‚Ist ok.‘ ich nicke zustimmend und hebe meinen kleinen Handgepäckkoffer auf die Ladefläche. Dann ziehe ich mich am Metallgeländer selbst nach oben und nehme auf den zierlichen Bänken Platz. Eine helfende, weibliche Hand reckt sich mir entgegen. ‚Ich bin Karen.‘ um die Vorstellung zu untermalen legt die junge Engländerin die Hand auf ihre Brust. ‚Und das hier ist Joss.‘ Die beiden sind so blass wie die meisten Briten. ‚Lisa.‘ ich drücke freundschaftlich die entgegen gestreckte Hand. Die beiden haben ebenfalls ihre Jobs gekündigt und wissen selbst noch nicht, wie lange sie unterwegs sein werden. Karen ist Lehrerin wie die junge Schwedin, die ich an der Grenze getroffen hatte. Joss ist Ingenieur. Beide haben ihre Jobs gekündigt und wissen nicht, ob sie in ihre Heimatstadt London zurückkehren werden. Langsam beschleicht mich das Gefühl, dass man in Laos hauptsächlich auf Aussteiger trifft. Das Land hat keine Küste und alles was es hier gibt, gibt es in Thailand auch. Warum also eigentlich nach Laos? Ich bin hier, weil es mich interessiert wie die Menschen in diesem Land leben und wie die Mentalität der Leute ist. Ich suche ein authentisches Erlebnis ohne große Erwartungen. Das ist alles.
‚Wieviel hast Du für die Fahrt bezahlt?‘ will die junge Britin wissen. Gezahlt hatte ich noch nicht. ‚7.500 Kip.‘ entgegne ich gleichgültig und drehe mich zum Fahrer um. Bereitwillig nimmt dieser die Geldscheine aus meiner Hand. ‚Was?‘ Karen ist entsetzt ‚wir zahlen jeder 20.000.‘ Bevor ich einschreiten kann ruft sie dem Laoten mit meinem Geld in den Fingernd zu. ‚Warum muss sie denn viel weniger bezahlen als wir?‘ Ich habe keine Ahnung, warum das sein muss. Zumindest bevor ich mein Wechselgeld zurück habe. Natürlich zahle ich jetzt auch 20.000 Kip. Toll ist es nicht sofort beim Betreten eines Landes über den Tisch gezogen zu werden. Allerdings darf man sich auch nicht gleich ärgern und dies pauschalisieren. Der Betrag von umgerechnet etwa 2 Euro tut mir auch nicht wirklich weh. Und ich suche ja Authentizität. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch keine Ahnung, dass sich die Abzocke von Touristen wie mir als roter Faden durch meine laotische Woche schlängeln sollte. Die Laoten lächeln auch bei weitem nicht so viel wie die Thais. Das fällt mir sofort auf. Alle machen ziemlich ernste Gesichter. Allerdings wurde dieses Volk im Vietnamkrieg durch die Bombardierung der USA ziemlich gebeutelt. 30% der Bomben sind damals nicht detoniert und liegen noch im laotischen Grenzgebiet verstreut. Viele Reisbauern und spielende Kinder fallen den Blindgängern regelmässig zum Opfer.
Das Tuk Tuk bringt uns zur Bootsanlegestelle in Huay Xai. Dieser Ort ist völlig ausgestorben. Ich komme mir vor wie in einer Geisterstadt und fühle mich in der Umgebung überhaupt nicht wohl. Die Straßen sind staubig und nicht asphaltiert. Die Mauern der überschaubaren Häuser sind vom Verfall bedroht. Ich spüre wie der Staub und Dreck der Straße sich in meiner Kleidung festsetzt und als feiner, filigraner Film meine Haut bedeckt. Nicht wirklich sichtbar, aber dennoch fühlbar und da. Huay Xai hat als Grenzstadt eine lange Geschichte des Rauschgiftschmuggels und war zudem ein Aufenthaltsort US-amerikanischer Truppen während des laotischen Bürgerkriegs zu Beginn der 1960er Jahre. Während des Vietnamkrieges stand hier eine große US-Produktionsanlage für Opium. Das Boot den Mekong hinunter ist für heute schon abgefahren. Der Ticketschalter ist geschlossen und macht erst gegen 14 Uhr wieder auf. Ich sehe auf die Uhr. Es ist jetzt 11. Hilflos stehe ich mit meinem kleinen Koffer im Schmutz und überlege wo ich heute Nacht unterkomme. Die meisten Häuser sind nicht einladend. Schwerfällig ziehe ich mein Gepäck den kleinen Abhang hinauf. Direkt an der Ablegestelle für die bunten Slowboats ins Zentrum von Laos befindet sich eine Unterkunft, die mir noch annehmbar erscheint. Ich schlurfe zur Rezeption und warte. Irgendwann kommt tatsächlich ein junger Mann. Ich halte ihm meine VISA unter die Nase. ‚Wir nehmen keine Kreditkarten.‘ entschuldigend schüttelt er den Kopf.
Verdammt. Ich stehe mitten im Nirgendwo ohne Bargeld. An der Grenze hatte ich keine EC-Automaten gefunden. Ich wische den Schweiß auf meiner Stirn an meinem Ärmel ab. Vom vielen Staub bleibt ein dezenter grauer Strich zurück. Es ist furchtbar heiß. Die Sonne brennt auf meinem Gesicht. Ich brauche dringend eine Dusche. ‚Kann ich den Koffer hier lassen?‘ frage ich dann. Der junge Laote nickt. Völlig verschwitzt und dreckig mache ich mich auf die Suche nach einem Geldautomaten. Dabei finde ich auch die wirkliche Siedlung von Huay Xai, die etwas die Straße hinunter von der Bootsanlegestelle entfernt liegt. Hier reiht sich Bar an Restaurant, ebenso wie Geschäfte an Kaffees. Richtige Sehenswürdigkeiten hat die kleine Stadt nicht. Außer die wunderschöne Natur in der Umgebung. Ich finde auch das Büro der Ziplining Firma. Leider bieten diese keine Tagestouren an. Man muss mindestens eine Übernachtung im Dschungel einplanen in einem Baumhaus. Hier liegt man auf dünnen Matratzen nur durch ein Moskitonetz von den Taranteln geschützt, die sich im Dach der Holzhäuser eingenistet haben. Das wäre ja noch ok, wenn ich mich irgendwie verpflegen könnte. Mitten im Dschungel völlig ohne Infrastruktur erscheint mir dies unmöglich. Ich nehme also morgen das nächste Boot den Mekong hinunter.
Ich zahle mein Hotelzimmer und setze mich vor das Tickethäuschen der Bootsgesellschaft. Die beiden Engländer sitzen bereits dort. 14:30 Uhr ist schon längst vorbei. ‚Vielleicht ist nach laotischem Zeitempfinden noch gar nicht 14:30 Uhr.‘ meine ich lächelnd zu Karen gewandt. ‚Kann ja sein, dass unser westliches Zeiteverständnis völlig unterschiedlich zu diesem hier ist.‘ Ich lasse die Beine von der steinernen Sitzbank baumeln und warte. Die Zeit verstreicht. Dann klopft Joss mehrmals laut und ungedulig an den Rolladen, der den Ticketshop versperrt. Für Aussteiger ist die Geduld der beiden Briten noch stark ausbaufähig. Irgendwann streckt ein altes Männchen den Kopf heraus und winkt uns zu sich. Wir sind die ersten Passagiere für das Boot morgen. Der Greis geht gebückt. Seine Handbewegungen sind fahrig. Die zittrige Hand drückt mir mit einer senilen Langsamkeit ein kleines Stück Papier in die Hand. Mein Fahrticket. Mit schwachem Kulli steht darauf eine drei. Es gibt also sogar nummerierte Sitzplätze.
Den Rest des Tages verbringe ich mit dem einzigen was man hier wirklich tun kann. Ich beobachte bei einem kühlen Getränk auf der Terrasse meines Hotels den träge dahin fließenden Mekong. Das Wasser ist von einer schmutzigbraunen Farbe und verstärkt das staubige Gefühl von Dreck und Smog auf Haut und Haaren. Ich bin froh, dass ich mich für die zweitägige Fahrt nach Luang Prabang entschieden habe. Die Schnellboote fahren sehr radikal und es gibt sehr häufig Unfälle, die Passagiere das Leben kosten. Einen Tag zu sparen ist mir dies nicht wert. Entspannt atme ich aus. Langsam neigt sich der Tag dem Ende zu. Die Sonne über dem Mekong färbt sich in ein tiefes Blutrot. Sanft spiegelt sich der intensive Ton auf den seichten Wellen. Die gemächlichen Bewegungen der treibenden Fluten bringen angenehme Veränderung in die Farbe und reflektieren die bunten Strahlen hin zum Horizont. Wie ein Spiegelbild, das am Himmel auf ein warmes orange leuchtendes Licht trifft. Die angenehme Atmosphäre macht aus der Geisterstadt einen Ort der Ruhe und gewünschten Stille. Die Entschleunigung überträgt sich auf mich. Ich genieße dieses Gefühl. An diesem Ort gibt es nichts zu tun. Und es tut gut dies zu machen.