Mit Leichtigkeit schnippt die Münze von meinen Fingern und rollt in den Wunschbrunnen vor dem Tempel Wat Rong Khun in Chiang Rai. Die pure Reinheit der weißen Steine, aus denen der Bau zusammengefügt ist, machen mich sprachlos. Wie ein Märchenpalast liegt die Anlage vor mir. Mein Mund öffnet sich zu einem lautlosen Staunen unfähig sich sofort zu schließen. Überwältigt stehe ich vor dem überschaubaren Gebilde mit den vielen Verzierungen, die in einem ebensolchen gleißenden Weiß glänzen wie die gesamte Anlage. Weiß fügt sich in weiß. Dennoch sind die vielen kleinen Dekorelemente, manche auch in silber, gut zu erkennen. Diese Farbe steht nach Meinung des Architekten für Buddhas erhellende Reinheit und erleuchtende Weisheit. In Thailand ist dies eigentlich die Farbe der Trauer. Eine kleine Brücke spannt sich über ein Bassin ohne Wasser, das wie ein kleiner Brunnen gestaltet ist. Zahlreiche Hände ragen aus dem Boden in die Höhe. Die Darstellung der buddhistischen Hölle, die Samsara. Um in den Himmel zu gelangen muss man die Brücke der Wiedergeburt durch die Unterwelt überqueren. Die Hände der Verdammten wollen die Touristen zum Teufel hinab ziehen. ‚Warum gibt es eigentlich im Buddhismus eine Hölle? Was hat das für einen Sinn, wenn man doch sowieso wiedergeboren wird?‘ frage ich unseren Reiseführer. Mir leuchtet das überhaupt nicht ein. Der gesamte Tempel ist so angelegt, dass man von der Hölle geradewegs in den Himmel geht.
Der junge Thai, der uns begleitet, versucht mir die buddhistische Hölle zu erklären. ‚Es gibt 6 Ebenen von Himmel und Hölle. Jede ist schlimmer oder besser in der jeweiligen Abstufung wie die darauf folgende. Auch im Buddhismus werden Menschen in der schlimmsten Ausprägung der Hölle auf das Grausamste von hässlichen Dämonen gequält. Oder in einem angenehmen Zustand wie dem Himmel gehalten. Nach dem Tod wird jedes Wesen in den Zustand transformiert, den es aufgrund seines Verhaltens im jetztigen Leben verdient hat. Wenn ich die Wahl hätte, würde ich lieber im Himmel bleiben, als noch einmal wiedergeboren zu werden.‘ Ich nicke ihm verstehend zu. Man kommt also in eine der Ebenen von Hölle oder Himmel bis man erneut leben kann. Den Flammen des Teufels kann man auch im Buddhismus nicht entrinnen. Das ist ganz schön streng, denke ich. Schließlich trifft einen im nächsten Leben dann noch zusätzlich das Karma. Andererseits ist es auch gerecht, dass man für seine Taten büßen muss. Unser Tourguide ist sichtbar erleichtert, dass ich mich mit seiner Erklärung abgebe. Er muss keine weiteren Fragen beantworten.
Ich fühle mich wie in einem Märchenschloss. Der weiße Dekor hebt sich als starker Kontrast vom strahlend blauen Azur des Himmels ab. Geblendet vom leuchtenden Weiß schließe ich für Sekunden die Augen. Der Anblick des Tempels ist atemberaubend schön. Die weißen Mauern sind mit kleinen Spiegelblättchen versehen, die das Licht zusätzlich reflektieren und dem Heiligtum eine magische Aura verleihen. In ganz Asien gibt es nichts vergleichbares. Der Weiße Tempel ist außergewöhnlich. Ich betrete den Innenraum und damit den buddhistischen Himmel. Mich erwarten Zeichnungen von Meister Yoda, Michael Jackson, Batman, Hello Kitty, Superman und Elvis. Wer genau hinschaut findet Volverine, Picachu und zahlreiche weitere Pokemons, Captain Jack Sparrow, Jigsaw aus den Horrorfilmen Saw und gleich daneben Darth Vader und Kampfmaschinen aus Star Wars. Ich erblicke Elvis und Freddy Krüger, Kung Fu Panda, Neo aus Matrix, Angry Birds und niedliche Minions.
Der Künstler und Architekt Chalermchai Kositpipat vereint Pop Art mit Religion und schafft ein einzigartiges Bauwerk. Seit 1997 arbeitet er schon freiwillig und nur durch Spenden finanziert am Wat Rong Khun und er wird wohl Zeit seines Lebens nicht mehr damit fertig werden. Im Jahr 2070 soll die Anlage fertiggestellt sein. Wenn man die Halle der Weisheit Buddhas im Weißen Tempel wieder verlassen hat, stößt man unmittelbar auch auf ein Goldenes Gebäude. Das prächtige Toilettenhäuschen für Besucher. Das Gold symbolisiert im Gegensatz zum Weiß, das die Menschen der Erde sich zu sehr mit Materiellem beschäftigen anstatt sich auf den Geist zu besinnen. Die Anlage fängt meine Symphatie. Nur dass es auch bei den Buddhisten eine Hölle und einen Himmel gibt ist mir fast zu westlich. Die Möglichkeit durch viele Wiedergeburten einfach mehr Zeit im Leben zu haben finde ich unsagbar tröstlich. Dinge, die man in einem Leben nicht erledigen oder durchführen konnte, tut man einfach im folgenden. Aber das muss ich dann wohl akzeptieren.
Der Minivan unserer Reisegruppe bringt uns zum Dorf eines Karen-Stammes. Offen blicken mich die jungen Frauen an den langen Webstühlen an. Ich habe das Gefühl, als würde Unmut in ihrem Blick mitschwingen. Ärger über ihre Situation. Wir bezahlen Eintritt für das Dorf. ‚Ihr dürft hier alles fotografieren was ihr seht.‘ erklärt mir unser Reiseführer. Er vollführt eine ausladende Handbewegung, die das ganze Dorf mit einschließt. Scheu hebe ich die Kamera. Ich wage kaum zu fotografieren oder ein Geischt der Frauen dieses Stammes für ein Bild direkt anzusehen. Ich komme mir vor wie in einem menschlichen Zoo. Als hätte man diese Menschen zu touristischen Zwecken ausgestellt. Ich stelle mir vor, dass dieses Volk eigentlich überhaupt keine Lust hat von mir abgebildet zu werden. Meine Intuition sagt mir, dass mein Gefühl stimmt. Einen anderen Anhaltspunkt habe ich nicht.
Die Karen sind ein Bergvolk, das im Norden Thailands an der Grenze zu Myanmar lebt. Sie kommen bis heute als Flüchtlinge aus dem früheren Burma und suchen hier eigentlich Schutz im idyllischen Norden. Sie werden in ihrem Land neben anderen ethnischen Gruppen seit Jahrzehnten durch die Militärdiktatur verfolgt und von der Regierung entweder gewaltsam umgesiedelt oder flüchten häufig in die Nachbarländer. Nach der Unabhängigkeit Myanmars von Großbritannien gründeten die Karen eine eigene Union (Karen National Union – KNU), um für einen eigenen, autarken Staat ihres Volkes innerhalb von Burma zu kämpfen. Es gibt heute noch rund 40.000 Karen Stammesmitglieder. Die Flucht nach Thailand war für viele wegen des Krieges in Burma lebenswichtig. Dennoch haben sie keine Möglichkeit, die thailändische Staatsbürgerschaft zu erlangen. Deshalb sitzen sie weiterhin an der thailändischen Grenze und warten bis die Regierung hier sich erbarmt und sie Bürger werden können. Eine Entscheidung, die überhaupt nicht in Sicht ist und weiter auf sich warten lässt. Im August 2007 lebten bereits 160.000 myanmarische Flüchtlinge in Lagern in den thailändischen Grenzprovinzen an der Grenze zu Myanmar. Von den Menschen dort sind etwa 62 % Karen.
Erst im Januar 2012 einigten sich Vertreter der Karen National Union und der Regierung von Burma endlich auf einen sofortigen Waffenstillstand. Ohne Staatsbürgerschaft in ihr Dorf gepfercht lebt der Stamm nun hier und wartet auf bessere Zeiten. Jahrzehnte harren die Menschen aus, um irgendwann thailändische Bürger zu werden. In Wirklichkeit werden die Leute nur toleriert, weil die thailändische Tourismusindustrie Geld mit deren Ausbeutung verdient. Während die Männer hauptsächlich Bauern sind, stellen die Frauen wunderbare Webwaren und Schnitzereien her. Diese verkaufen sie an Touristen, die mit einem gebuchten Tagesausflug hierher kommen wie ich. Insgesamt leben die Langhals-Völker einen primitiven, langweiligen und einfachen Lebensstil. Sie wohnen in einfachen Hütten, die mit Palmzweigen gedeckt sind. Die Frauen tragen schwere Messingringe um ihre Hälse. Neuerdings geht der Trend dazu den Schmuck auch um die Waden und Handgelenke zu tragen. Das erste Ringset erhalten junge Mädchen im Alter von 5 Jahren. Das schwere Metall drückt die Schulterknochen und das Schlüsselbein nach unten. Daher scheint es als hätten die Langhals-Frauen enormlange Hälse. Das stimmt nicht und wirkt nur so, da die Knochen durch die metallene Last nach unten gezwungen werden.
Die Ringe abzunehmen ist nicht einfach möglich. Die Muskulatur bildet sich durch das Tragen des Metalls zurück, da diese nicht gebraucht wird. Nur durch eine teure Operation lässt sich der Schmuck abnehmen. Viele junge Mädchen haben sparen daher heimlich Geld. Sie werden gezwungen die Ringe zu tragen, um Souvenirs an Touristen zu verkaufen. ‚Kein Halsschmuck, kein Geld!‘ Nehmen die Mädchen die Ringe ab werden diese von der Dorfgemeinschaft ausgeschlossen. Thailand verdient dann auch nichts mehr an ihnen und die Gefahr, dass sie zurück nach Burma deportiert werden ist groß. Die Karen müssen auf dem Land bleiben, dass die thailändische Regierung ihnen zugeteilt hat. Sie dürfen ihr Dorf nicht verlassen. Auch nicht um Schulen, Krankenhäuser oder Ärzte zu besuchen. Die Touristen würden keinen Eintritt in die Dörfer mehr bezahlen, wenn die Langhals-Frauen sich öffentlich bewegen würden und fotografiert werden könnten. Würden diese zum Alltagsbild in Thailand gehören, hätte die Regierung keine Einnahmequelle mehr durch diese exotische Attraktion.
Das Tragen der Ringe entspringt hauptsächlich einem Vorfall innerhalb der Stammesgeschichte. Nachdem sie von Tigern überfallen worden waren, die den Hals von einigen Karenmitgliedern durchgebissen hatten, beschlossen die Menschen ihren Hals zu schützen. ‚Ein langer Hals bedeutet ein langes Leben‘ sagt ein Sprichwort dieses Volkes. Lange leben heißt hier 50 zu werden. Die meisten Frauen bekommen hier schon mit 15 ihr erstes Kind. Viele junge Mädels brechen heute mit der Tradition und wehren sich gegen die Metallringe. Im Dorf sehe ich viele Händlerinnen ohne Ringe oder mit wenigen um den Hals. Ich kann selbst eine Ringprothese anprobieren und mich davon überzeugen wie schwer der Halsschmuck ist. Das Gewicht zieht schwer nach unten und das Tragen ist absolut unangenehm. Nach wenigen Sekunden drücken die Spiralen auf mein Schlüsselbein. Nur vage kann ich begreifen, welchen Schmerzen die Frauen hier durch das Tragen der Ringe ausgesetzt sind. Ich setze mich neben eine ältere Frau und lasse mich mit ihr fotografieren. Über 25 Ringe spannen sich um ihren Hals. Die Zurschaustellung von Menschen erdrückt jedes Wohlgefühl. Alle Touristen rennen an den aufgebauten Ständen entlang und knipsen hektisch ihre Bilder. Die meisten nehmen überhaupt nicht wahr, dass sie durch ein Dorf voller Menschen laufen. Nicht hierher zu kommen ist allerdings auch keine Lösung. Denn der Stamm lebt auch davon gewebte Waren und Schnitzereien an Besucher zu verkaufen.
Das Flüchtlingshilswerk der UNO, UNHCR, beschrieb die Karen Dörfer 2008 als Menschenzoo und genauso fühlt sich ein Besuch in einem der Schaudörfer auch an. Als ich den Ausflug buchte stellte ich mir ein Dorf mit einer authentischen Struktur vor. Stattdessen werden hier die Reisebusse im Minutentakt durchgeschleust. Pro Person sind 300 Baht (ca. 6 Euro) Eintritt in das Dorf fällig, abkassiert von den Reiseveranstaltern. Ob die Frauen wirklich etwas davon abbekommen, weiß ich nicht. Womöglich einen winzigen Bruchteil. Das Dorf ist in Wirklichkeit kein Ort, eher ein Marktplatz. Die Ware sind die Frauen, ausgestellt, herausgeputzt und zur Schau gestellt. ‚Ihr könnt ruhig Fotos machen, seid nicht so schüchtern, das macht ihnen nichts aus‘ sagt unser Reiseführer. Ich habe überhaupt keine Lust von Menschen Bilder zu machen, wenn ich mich wie in einem Zoo fühle. Den Frauen scheint es wirklich nichts auszumachen, in die Kameras zu lächeln. Alle strahlen uns freudig an. Alle wissen, was von ihnen erwartet wird. Traurig lasse ich die Kamera sinken. Es fällt mir schwer den Blick zu heben und die Frauen anzusehen. Dieses Volk hat keine Entscheidungsfreiheit. Entweder zurück zum Krieg oder sich ausbeuten lassen von der thailändischen Tourismusindustrie. Da würde selbst ich bleiben! Und in die Kamera lächeln…
was für Eindrücke, wahnsinn
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