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‚Ein Schiff ist wie eine Frau. Teuer in der Anschaffung und aufwendig im Unterhalt. Aber wenn man sich einmal verliebt hat…‘ so lautet die These des Mannes, der im alten Hafen von Stralsund das frühere Segelschiff Gorch Fock in Stand setzt. Was tut man nicht alles aus Zuneigung. Auf die über 70 jährige schwimmende Dame, die solche Anziehungskraft versprüht, bin ich natürlich mal gespannt. Meine Fingern umklammern das kalte Metall der Treppe, die direkt auf den alten Segler führt. Wenig später stehe ich auf den metallenen Bohlen des Decks und strecke direkt am Bug die Arme aus. Eine frische Brise trägt die Kälte des Winters hinüber zum Schiff. Mein Gesicht ist eiskalt und eine feine Gänsehaut überzieht meine Miene. Ich spüre wie sich die kleinen flaumigen Härchen auf meiner Haut in der Kühle des Winternachmittags aufrichten. Gemächlich und langsam schwappen graugrüne Wellen an die steinerne Brüstung des Hafens und den vorderen Teil des Kahns. ‚Seemannsbraut ist die See und nur ihr kann er treu sein.‘ summe ich innerlich die alten Lieder aus den Freddy Quinn Filmen, die meine Oma so gern gesehen hat. Mein Kopf neigt sich leicht im Takt.
Ein älteres Ehepaar betrachtet mich mit einem eigentümlichen Blick, dem ich überaus gerne standhalte. Ich bin nicht verrückt, ich hab nur gute Laune, versuche ich so zu übermitteln. Und selbst wenn, mir gefällt es in meiner Welt. Die beiden Alten mustern mich noch kurz abschätzig, dann gehen diese weiter. Im Spiel schlage ich die Hacken meiner Schuhe zusammen und führe die flache Hand an die Stirn zu einem Seemannsgruß. Ich schätze und bewundere die Weite des Meeres, die an jedem Ort der Hanse bis in die grenzenlose Ferne sichtbar ist. Kleinere Sorgen bleiben vor der Naturgewalt der Wellen zurück. Ich merke, wie gut es mir eigentlich geht und eine wohltuende Ruhe breitet sich beim Blick auf das träge Wasser in mir aus. Ein Gefühl der inneren Balance hilft mir meine Gedanken zu ordnen und auch einfach mal nicht zu denken und abzuschalten. Verträumt sehe ich zum Horizont, der als schmale graue Linie den Himmel vom Meer abtrennt. Was dieses greise Schiff schon alles auf den Weltmeeren erlebt hat, kann es leider nicht erzählen. Die Gorch Fock wurde bereits 1933 das erste Mal zu Wasser gelassen und hat daher den kompletten zweiten Weltkrieg erlebt. Seit 2003 hat das Segelschiff einen Liegeplatz im schönen Stralsund.
Mit vorsichtigen Schritten taste ich mich wieder zurück bis zu den zierlichen Stufen, die hinab auf das Deck der Bark führen. ‚Nur nichts überstürzen, denke ich. Fest umfasst meine Hand das Metallgeländer. Ein feiner Nieselregen macht die Planken rutschig. Zarte Regentropfen rinnen von den Tauen der Takelage und überziehen den weißen Lack des Bodens mit einem flüssigen, filigranen Muster. In überschaubaren Pfützen reflektieren diese den grauen und wolkenverhangenen Himmel. Warum wurde die Gorch Fock überhaupt gebaut? Am 26. Juli 1932 sank das deutsche Schiff ‚Niobe‘ in der Ostsee nahe der Insel Fehmarn. Durch eine extrem starke Gewitterbö legte sich der Segler bedenklich in Schräglage und die Wirkung des Ruders setze dadurch aus. Beim Versuch die Kurve zu kriegen fiel der Kahn völlig auf die Seite und kenterte innerhalb weniger Minuten. Unter Deck fand gerade der Unterricht einer gesamten Offiziersanwärterklasse statt. 69 Seeleute konnten daher nicht gerettet werden und fanden den Tod. Eine ganze Ausbildungseinheit von Seeoffizieren, sowie das Ausbildungsschiff waren ein drastischer Verlust für die deutsche Reichsmarine.
Trotz der Weltwirtschaftskrise spendete die deutsche Bevölkerung nach dem Untergang der ‚Niobe‘ insgesamt 200.000 Euro für den Bau eines neuen Segelschulschiffs. Dies entsprach etwa 20% des Baupreises. Es dauerte ein Jahr bis der neue Windjammer vollständig gebaut war. Da die Marine dem Schriftsteller und Seemann Gorch Fock sehr verbunden war und dieser ebenfalls sein Leben während einer Schlacht auf See verloren hatte, erhielt die Bark bei ihrer Taufe den Namen des Künstlers. Sie bot zur Ausbildung 198 Kadetten Platz. Mit Kriegsausbruch am 1. September 1939 wurden alle Segelschulschiffe vom Dienst freigestellt und dienten nur noch als Wohnraum für die Marinejugend. Das so genutzte Wohnschiff wurde von Kiel nach Rügen geschleppt und dort verankert. Wenig später wurde die Gorch Fock nach Stralsund verlegt und 1945 in der Nähe bei Drigge abgetakelt und vor Anker gelegt. Lediglich acht Matrosen kümmerten sich noch um die Instandhaltung des Seglers.
Im April 1945 kapitulierte die Stadt Greifswald und die Truppen der UDSSR marschierten nach Stralsund. Die Gorch Fock wurde an diesem Mittag ca. 45 Minuten von Panzern beschossen und von drei Granaten getroffen. Trotz einiger Treffer im Rumpf und der Takelage blieb sie schwimmfähig. Durch ein deutsches Sprengkommando wurde das Segelschulschiff dennoch versenkt und das Heck befand sich danach unter Wasser. Nach Ende des 2. Weltkrieges teilten die Siegermächte alle Handels- und Schulschiffe während der Potsdamer Konferenz unter sich auf. Das Wrack der Gorch Fock wurde Russland zugesprochen. 1946 befahl die sowjetische Regierung die Bergung des Schiffs. An der Stadtwerft in Stralsund begannen darauf erste Reinigungsarbeiten und provisorische Reparaturen. Zur weiteren Instandsetzung kamen die Überreste nach Rostock in die Neptunwerft. 1959 wurde die reparierte ‚Towarischtsch‘ (russisch für Kamerad) in den sowjetischen Dienst als Schulschiff gestellt und startete unter russischer Flagge von einer Marineschule am Schwarzen Meer.
Auf Ausbildungs- und Wettkampfreisen umsegelte das Schiff in seinem ‚zweiten Leben‘ die ganze Welt und gewann sogar zweimal bei den amerikanischen Operations-Sail Regatten. Nach dem Zerfall der Sowjetunion wechselte das Segelschiff unter ukrainische Flagge, da sein Heimathafen Cherson zur Ukraine gehörte. Ab sofort konnten Windjammerbegeisterte aus aller Welt Reisen mit dem Schiff unternehmen. Vermittelt und betreut wurden die Segeltouren vom gemeinnützigen Verein ‚Tall Ship Friends‘. Im Rahmen einer Generalüberholung stellte man 1995 leider gravierende Mängel an der ‚Towarischtsch‘ fest in Höhe von etwa 2 Millionen Euro. Dieses Geld stand in der Ukraine für die Reparatur nicht zur Verfügung. Durch die Begeisterung für alte Segelschiffe bot ‚Tall Ship Friends‘ an die Reparaturkosten zu übernehmen. (Ziel und Zweck des Verbandes ist der Erhalt der großen, traditionellen Segelschiffe und die Pflege des seemännischen Handwerks). 2003 gelang es der Vereinigung sogar den Segler der Ukraine abzukaufen. Man holte die Bark in seinen neuen Heimathafen Stralsund und begann diese wieder instand zu setzen. Nach fast 60 Jahren als russische ‚Towarischtsch‘ wurde das Segelschulschiff erneut auf ‚Gorch Fock I‘ getauft. So landete die alte Dame nach etlichen Jahren unter fremder Flagge wieder als Ausbildungsschiff an der Ostsee.
2010 erschütterte ein tragischer Unfall den Ausbildungsbetrieb. Während einer Auslandsausbildungsreise stirb eine 25 jährige Offiziersanwärterin bei dem Sturz aus der Takelage. Eine Untersuchungskommision durchforstete die Sachverhalte an Bord und der diensthabende Kommandant wurde vorläufig seinen Pflichten entbunden. Die Marineuntersuchung konnte kein Fehlverhalten feststellen. Die Eltern der jungen Frau klagten allerdings gegen die Marine, da die junge Kadettin zum Zeitpunkt des Dienstes im Ausguck gesundheitlich angeschlagen war und die Wetterbedingungen schlecht waren. Die Klage wurde abgewiesen. Hier hat es sich also zugetragen, das Unglück. Vor ein paar Tagen hatte ich den Gedenkkranz und das Foto der jungen Frau im Marinedenkmal in Laboe gesehen. So ein Segler ist eben eine rutschige Angelegenheit, das hatte ich heute selbst festgestellt. ‚Eine Hand für das Schiff, eine für sich selbst.‘ steht in jedem Gang auf gut lesbaren Metallschildern. Die raue See ist unberechenbar. Mit winzigen Schritten steige ich die schmale Leiter hinunter. Dann bin ich vom Windjammer und habe festen, steinernen Boden unter den Füssen. Ein letztes Winken in Richtung des Decks. Ich überlasse das Meer den Matrosen.