Der Weg zur Wiedervereinigung

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Lübeck ist einfach wunderschön. Wie aus einem Märchen, ein unwirklicher Traum. Die schlank in die Höhe strebenden roten Backsteingebäude mit den weißen Verzierungen auf den treppenartigen Gieblen leuchten gegen den azurblauen Himmel. An der Stadttrave zeichnet sich scharf das rot-weiße Schiff eines Leuchtturmboots gegen die graugrünen Wellen ab. Gemächlich treibt es auf dem Wasser. Kein Feuer wird es mehr vom Anlegesteg locken. Keine Flammen wird es jemals mehr löschen. Ein Verein betreibt es als Museum. Die ruhigen Wellen plätschern träge an den Bug und reißen für Sekunden ihre gläserne Oberfläche auf. Nur um den Blick auf die winzigen Muschelstückchen freizugeben, die der Sog der dunklen Fluten mit ans Ufer zieht. Gemütlich schwimmt das Schiff im reglosen Wasser. Ohne Hektik schaukelt es sachte auf dem Meer und entsagt der Schnellebigkeit des Tages. Das steinere Ufer von Lübecks Stadthafen wirkt wunderbar entschleunigend. Das Wetter ist trocken ohne Regen und der Wind von der Ostsee ist angenehm kühl abseits der winterlichen Kälte. Mein Spaziergang führt mich erneut durch die Altstadt. Ich bewundere die roten Hansehäuser, die sich in schlank und grazil gebaut an die engen Kopfsteingassen schmiegen. Die weißen Verzierung der Treppengiebel leuchten in der Sonne. Schönes Lübeck. Dich werde ich immer wieder besuchen.

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In dieser wunderbaren Stadt wurde der vierte deutsche Bundeskanzler im Jahre 1913 geboren, der die Wiedervereinigung von Ost- und Westdeutschland maßgeblich beeinflußt hat. Der Geburtsname von Willy Brandt lautet Herbert Frahm, er ist ein uneheliches Kind. Ein Bastard, was zur damaligen Zeit ein ziemlich schlimmes Los für den Nachwuchs war. Auch Willy Brandt hat sein gesamtes Leben darunter zu leiden, dass seine Gegner diesen Umstand seiner Kindheit ausschlachten. Früh zeigt Herbert politisches und journalistisches Talent und schreibt Artikel für den ‚Lübecker Volksboten‘. Mit 16 Jahren wurde er Mitglied der SPD. Allerdings ist ihm die Partei zu konservativ und er wechselt zur sich abspaltenden linken SAP (Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands). Ein Lehrer seiner Schule rät seiner Mutter im Jahr 1930 ‚Halten Sie Ihren Sohn von der Politik fern. Der Junge hat gute Anlagen. Aber die Politik wird ihn ruinieren‘. Politische Krisen und soziale Konflikte zeichnen die Jahre, in denen dieser in Lübeck aufwächst. Die Menschen erlebten Zeiten großer Unsicherheit. Erster Weltkrieg, Revolution, Inflation und Massenarbeitslosigkeit erschüttern Deutschland. Starke Klassenunterschiede spalten die Gesellschaft. Adel, Bürgertum und Arbeiterschaft trennen Welten.

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1918 hatte das Deutsche Reich den ersten Weltkrieg verloren. Arbeiter und Soldaten stürzten die Monarchie. Der deutsche Kaiser dankte ab und die Republik wurde ausgerufen. Die Weimarer Republik hat viele Feinde. Dazu zählen Kaisertreue, Nationalsozialisten und Kommunisten. Eine schwere Last ist der Friedensvertrag von Versailles. Deutschland verliert viel Land und muss den Siegermächten sehr hohe Reparationsleistungen zahlen. Die Inflation steigt ins unermessliche und gipfelt 1929 in der Weltwirtschaftskrise. Mehr als 6 Millionen Deutsche sind arbeitslos. Die allgemeine Unzufriedenheit fördert den Aufstieg der NSDAP. Anfang der 30er Jahre geraten die Demokraten in die Minderheit. Immer mehr Deutsche wählen die extremen Parteien, vor allem Hitlers NSDAP. Am 30. Januar 1933 verhelfen konservative Kräfte Hitler zur Machtübernahme und seine Partei errichtet in kürzester Zeit eine Diktatur. Fortan verfolgen die Nazis die Mitglieder der SPD und anderer Parteien. Tausende kommen in Gefängnisse oder Konzentrationslager, viele werden gefoltert und ermordet.

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Herbert Frahm verlässt daher Lübeck und setzt mit einem Fischerboot nach Dänemark über, von wo er nach Norwegen weiterreist. Er wählt das Exil und nimmt zum Schutz vor der nationalsozialistischen Verfolgung den Namen Willy Brandt an. In Oslo baut er einen Stützpunkt der SAP auf und setzt den Kampf gegen Hitler von Skandinavien aus fort. Norwegen wird ihm eine zweite Heimat. Die Sprache erlernt er schnell und verdient als Journalist seinen Lebensunterhalt. Nach einem deutschen Überfall auf Norwegen flieht er 1940 nach Schweden. Die NSDAP überwacht in Deutschland das gesamte öffentliche Leben. Der Widerstand im Verborgenen ist zu schwach. Die meisten Deutschen passen sich an. Wirtschaftliche und außenpolitische Erfolge verstärken die Zustimmung der Bevölkerung zur Diktatur. Hitler rüstet gewaltig auf, er will den totalen Krieg. Zuerst marschiert die Wehrmacht in Österreich, dann in der Tschechoslowakei ein.

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Mit dem deutschen Überfall auf Polen beginnt am 1. September 1939 in Europa der zweite Weltkrieg. Bis 1945 kostet dieser 55 Millionen Menschen das Leben. Dem Rassenwahn der Nationalsozialisten fallen unzählige zum Opfer, darunter 6 Millionen Juden. 1945 befreit die ‚Anti-Hitler-Kooperation‘ Europa von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Deutschland liegt in Trümmern. Für den demokratischen Neuaufbau kehren viele aus dem Exil zurück, unter  diesen auch Willy Brandt. Die USA, Großbritannien, Frankreich und die Sowjetunion üben seit 1945 gemeinsam in Deutschland die Macht aus. Die Sieger des Weltkriegs kontrollieren je eine deutsche Zone und einen Sektor der Hauptstadt Berlin. Die vier Mächte bekennen sich zur deutschen Einheit, sind aber nicht sicher über die Zukunft des Landes. In den drei Westzonen erleben die Deutschen Demokratie, in der sowjetischen Zone, wie die Kommunisten eine Diktatur aufbauen. Im geteilten Berlin führt Bürgermeister Ernst Reuther die Freiheitskämpfer für ein geeintes Deutschland an. Ihm zur Seite steht Willy Brandt.

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1948 verhängt die Sowjetunion eine Blockade gegen Westberlin. Die amerikanisch-britische Luftbrücke rettet den westlichen Teil der Stadt. Der Vorposten des Westens bleibt den Mächtigen im Osten ein Dorn im Auge. Immer wieder stört das Regime den Zugang nach Westberlin und den Verkehr zwischen den Stadtteilen. Brandt gewinnt 1957 die Bürgermeisterwahl in Berlin. 1958 löst die Sowjetunion eine neue Berlin Krise aus. Sie fordert den Abzug von Großbritannien, den USA und Frankreich. Die Westmächte trotzen den Ultimatum und gegen ihren Teil der Stadt nicht preis. Westberlin ist für Ostdeutsche ein richtiger Magnet. Die Mehrheit der Bevölkerung in Ostberlin lehnt das kommunistische System ab. Für viele ist die Stadt das Tor in den freien Westen. Um die Fluchtwelle zu beenden schließt das DDR-Regime 1961 die Grenze. Gegen den Mauerbau schreiten die Westmächte nicht ein, weil diese keinen Atomkrieg riskieren wollen. Beton und Stacheldraht trennen Millionen Familien in Deutschland. Hunderte Menschen sterben bei dem Versuch die Absperrungen zu überwinden.

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Bürgermeister Brandt will die Härte der Teilung mindern und verhandelt erstmals mit der DDR, damit Ostdeutsche ihre Verwandten in Westberlin besuchen können. Der Mauerbau ist seine größte Bewährungsprobe. Er beklagt die Untätigkeit des Westens. Daraufhin verstärkt der amerikanische Präsident John F. Kennedy den Schutz für Westberlin. Die Mauer verhindern kann er allerdings nicht.  Bei den Bundestagswahlen 1961 und 1965 erzielt Brandt als Kanzlerkandidat deutliche Stimmgewinne für die SPD. Dennoch unterliegt er jeweils den Amtsinhabern der CDU Konrad Adenauer und Ludwig Erhardt. Erst im Jahr 1969 wird er zum 4. Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt.  Als Kanzler will er eine Demokratie und Politik ‚der kleinen Schritte‘ wagen. Die Freiheiten der Bevölkerung sollen erweitert werden und Mitverantwortung einfordern. Reformen in Ehe- und Familienrecht unterstützen die Emanzipation und Gleichstellung der Frauen. Das Wahlalter sinkt auf 18 Jahre.

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Radikale Parolen der Außerparlamentarischen Opposition auf das westliche System weist Willy Brandt zurück. Er hat aber durchaus Verständnis für das Aufbegehren der studentischen Jugend und versucht zwischen den Generationen zu vermitteln. Die Unterzeichnung des deutsch-sowjetischen Vertrages 1970 über Gewaltverzicht und Zusammenarbeit macht den Weg frei zur Verständigung mit Osteuropa hin zu einem geeinten Deutschland. Die Verträge mit der Sowjetunion und Polen schreiben die Unverletzlichkeit aller Grenzen in Europa fest. Das Vier-Mächte-Abkommen garantiert den freien Zugang nach Westberlin. Die Bundesrepublik vereinbart mit der DDR die Aufnahme gleichberechtigter, gutnachbarlicher Beziehungen und hält dennoch am Ziel des geeinten Deutschlands fest. Besuche in der DDR und Familienzusammenführungen nehmen zu. Für seine Bemühungen in der Ost- und Deutschlandpolitik erhält Brandt 1972 den Friedensnobelpreis.

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Wenig später dankt der Bundeskanzler ab. Anlass war die Enttarnung des DDR-Spions Günter Guillaume, der als Referent für Parteiangelegenheiten einer der engsten Mitarbeiter von ihm gewesen war. Brandt übernahm mit seinem Rücktritt alle Verantwortung für Fahrlässigkeiten innerhalb der Bundesregierung. Guillaume war in unmittelbarer Nähe des Kanzlers geblieben, obwohl er seit mehr als einem Jahr im Verdacht stand, Spionage zu betreiben. Brandt hatte im Glauben dessen bloße DDR-Herkunft sei der Grund für den Spionageverdacht gewesen, die Brisanz der Angelegenheit unterschätzt. Die Erwartungen an Brandts zweite Amtzeit aus den Reihen der Bevölkerung waren zudem immens hoch. Willy Brandt hatte Mühe dem Druck und den Erwartungen stand zu halten, die auf ihm lasteten.

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Ich kann mir nur schwer vorstellen meine Familie und Freunde nicht mehr besuchen zu dürfen, obwohl diese vielleicht nur ein paar Meter entfernt wohnt. Meine Schwester oder Mutter nur noch durch Absperrungen zu sehen, die Berührungen einschränken. Oder nur aus der Ferne. Wie es wäre nicht in jedes Land in Urlaub fahren zu dürfen, weil man die Grenze der eigenen Behausung nicht so weit überschreiten kann? Denke ich an diese Einschränkung, ist es ein Gefühl als würde ich im tiefsten Kerker sitzen. Meine Neugier auf fremde Welten ließe sich in diesem System kaum entfalten. Des Reisens und freien Denkens reglementiert würde ich vermutlich ziemlich schnell eingehen. Oder wirklich eingesperrt werden, da die DDR-Ideologie vermutlich nicht den Weg in meinen Kopf gefunden hätte. Ich bin dankbar um die Freiheit, in der ich lebe und ich mich bewege. Zu sagen, was ich denke und einen gewissen Konsum ausüben zu können, sind Privilegien die nicht selbstverständlich sind. Es könnte ganz schnell anders werden. Und bleiben.

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2 Gedanken zu “Der Weg zur Wiedervereinigung

  1. Einfach hinreisend und kaptivierent. Das ist nicht nur ein Reisebericht aber viel mehr ein Blick in die Geschichte von Deutschlands meist kritisierte Zeitspanne weltweit. Ueber Facebook ist es gleichzeitig ein wertvolles Lesematerial der auch diejenige anspricht und belehrt die vielleicht nicht die wahre Vergangenheit erforscht haben.

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