Durch das Fegefeuer zum Heiligen Geist

Fotos und Videos mit freundlicher Unterstützung von http://www.mallygrafie.de/

Die wunderschönen roten Backsteinfassaden glänzen in der hellen Wintersonne. Giebelspitzen scheinen wie mit weißem Puderzucker überzogen und bilden eine scharfe Grenze zwischen dem azurblauben Himmel und dem rostigen Rot der Gebäude. Es ist kalt, aber trocken. Elegant ziehen die Möwen im wolkenlosen Blau ihre Runden und das heisere Krächzen ihres Schrei durchdringt das geschäftige Treiben in den Straßen. Die böse Prophezeiung des Bettlers aus Kiel ‚Fahr zur Hölle‘ hatte mich direkt in die Lübecker Kopfsteingasse ‚Fegefeuer‘ getrieben und so schlendere ich diese entlang bis zum Heilig-Geist-Hospital. Der Wohlstand der Hansestadt ist in allen Gässchen spürbar. So erhaben wirken die Gebäude, entrückt aus einer anderen Zeit, als der Hansebund in voller Blüte war und die Geschäfte florierten. Die Pflastersteine sind uneben und die verschlungenen Pfade der Altstadt verströmen einen mittelalterlichen Charme. Lübecks Einwohner sind entspannt und freundlich. Sie bewegen sich ohne Hektik und haben stets den winzigen Moment Zeit, um mein Lächeln zu erwidern.

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Die Backsteinfassaden mit den hölzernen Fensterläden und riesigen Fensterscheiben wecken die Gier auf Meeresluft, die frische Brise über den Wellen und den salzigen Geschmack des Wassers im Mund. Ich fahre mit der Zunge über die Lippen, nur um enttäuscht festzustellen, dass der Salzgeschmack leider nicht in der Luft liegt. Lübeck ist eher bekannt für seinen Marzipan. Im Cafe Niederegger ist die Menschenmasse unüberschaubar. Die Besucher quellen aus allen Ecken. Der eine hält eine Flasche Marzipanschnaps interessiert in den Händen, der andere begutachtet das größte Marzipanschwein der Welt. Pralinen in allen Formen und erdenklichen Zutaten zieren die deckenhohen Regale. Marzipan war bereits im Mittelalter als stärkendes Heilmittel bekannt. Da die süße Speise kein Fleisch enthält, konnte Marzipan auch während der Fastenzeit gegessen werden. Lediglich Apotheker und Klöster hatten die Genehmigung Marzipan herzustellen. Dies änderte sich erst seit 1714, als auch Zuckerbäcker die Genehmigung zur Fertigung bekamen.

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Die Kreationen der Konditoren waren natürlich viel ansprechender und so kauften die Kunden lieber beim Zuckerbäcker als beim Apotheker. Diese verwendeten zusätzlich Gewürze, ebenso wie trockene und frische Früchte. Mit Holzformen presste man den Marzipan in hübsche Bildchen. Anfang des 19. Jhds. war Marzipan ein Luxusgut, denn Mandeln und Zucker waren teure Importgüter. Nur die Oberschicht konnte sich solche Süßigkeiten leisten. 1850 stieg die Zahl der Konditoren, die Marzipan herstellten sprunghaft an, weil man einen billigeren Zucker aus Rüben herzustellen wusste. Ab dem Jahr 1870 wurde fertige Rohmasse verkauft, die Hersteller brauchten den Marzipan also nur noch ihren Vorstellungen entsprechend zu formen. Die Firma Niederegger stellte natürlich alles selbst her und bediente sich keiner vorgefertigter Ware. Während des ersten Weltkrieges konnten sich nur die großen Hersteller in Lübeck halten. Am Ende blieben nur 5 Lieferanten übrig.

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Was sich Lübecker Marzipan nennt, darf höchstens ein Drittel Zucker enthalten und muss unbedingt in der Hansestadt Lübeck hergestellt worden sein. Johann Georg Niederegger wurde 1777 in Ulm geboren und übernahm 1806 als Geselle in Lübeck das Geschäft eines Konditors. Niederegger wurde erfolgreicher als der Sohn des Zuckerbäckers, bei dem er gelernt hatte oder seine übrigen Kaufmannskollegen und wurde der Federführende unter Lübecks Kaufleuten. Als er 1856 starb war sein Marzipan ein Markenartikel, der in alle Welt verschifft wurde. Zu diesem Zeitpunkt belieferte seine Firma bereits den russischen Zarenhof. Bis zu 30 Tonnen Marzipan stellt Niederegger heute pro Tag her. Viele Produkte der Marzipanfirma werden bis heute prämiert durch Medaillen und Preise. 1930 wurde vom Gründer Johann eine richtige Marzipanfabrik gebaut. Im zweiten Weltkrieg werden diese und das Cafe teilweise von Bomben zerstört. Bis heute hat sich die Firma Niederegger gehalten und vertreibt ihren Marzipan in der ganzen Welt. Dieser Hersteller ist eine Institution und aus der Hansestadt Lübeck nicht wegzudenken. Und die Besucherzahlen im Cafe geben dem Gründer wohl recht.

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