Fahr zur Hölle

Fotos und Videos mit freundlicher Unterstützung von http://www.mallygrafie.de/

Die ersten durchdringenden Schreie der Möwen begleiten mich beim Verlassen des Zuges. Vom Meer weht eine kühle Brise, die sofort in meinen Mantel kriecht, der eigentlich für einen Winter in Karlsruhe gemacht ist. Mild und ohne Schnee. In Norddeutschland ist das Wetter anders. Der Winter ebenso. Ich schlage den Kragen meiner Jacke nach oben und bin froh um meinen dicken Schal, der bis zur letzten Wollschlaufe um meinen Hals gewickelt ist. Am Kai liegt eines der vielen riesigen Kreuzfahrtschiffe. Weiß leuchtet es in der Dunkelheit auf. Im Heck kann man durch eine Glasscheibe den prunkvollen Ballsaal mit durchsichtigen Kronleuchtern erkennen. Luxus und Dekadenz. Wo das Schiff wohl hinfahren wird? Verträumt recke ich meine Nase in den frischen Wind der Dämmerung. Mein kleiner Handgepäckkoffer hüpft unregelmäßig über die unebenen Pflastersteine der Kieler Innenstadt. Gelegentlich hängt einer seiner rollenden Füße in der Luft, nur um sogleich wieder mit einem dumpfen Geräusch auf die abgeschliffenen Steine zu schlagen.

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Es nieselt und feine Tröpfchen sprenkeln mein Gesicht und die Jacke. Die klamme Feuchtigkeit verstärkt die Kälte des Windes. Ich presse die Zähne fest aufeinander um nicht mit den Zähnen zu klappern. In der Hauptstadt Schleswig-Holsteins ist es bereits stockfinster. Ich blicke auf mein Handy. Es ist erst 16 Uhr. Im Norden Deutschlands ist das Tageslicht im Winter ein wohl dosiertes Gut. Suchend schaue ich mich um. Meine Unterkunft liegt mitten in der Kieler Innenstadt. Aber wo? Stumm hält mir ein Bettler die Hand hin. Er erwartet einen Almosen. Ich bin zu beschäftigt meine Ferienwohnung zu finden, nehme ihn gar nicht richtig wahr. ‚Fahr zur Höhle.‘ schreit er mir laut hinterher. Die Heftigkeit in seiner bitteren Stimme erschüttert mich. Der Weg zu meinem Bett durch die Gassen der Altstadt führt mich auf direktem Weg ins Fegefeuer. Mein Schritt beschleunigt sich, um die Gestalt hinter mir zu lassen. Ich finde das Apartment schnell. Es ist beheizt und warm. Ich hätte dem Obdachlosern gerne etwas gegeben. Aber nach der harschen Ansprache traue ich mich nicht zurück zu gehen.

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Am Morgen spaziere ich entlang der Kiellinie. Der Wind, den das Wasser herüber trägt, bläst aus vollen Backen. Ich schiebe meine Wollmütze tief in die Stirn. Möwen kreisen elegant in der frischen Brise und gelegentlich durchreißt deren helles Schreien oder das Hupen eines Kreuzfahrtschiffes die kalte Luft. Ich spaziere in völliger Einsamkeit und genieße die Isolation, die absolute Entspannung verspricht. Die grauen Wellen des Meeres untermalen diese gewünschte Tristesse und versprechen besinnliche Tage. Wenige Fußgänger sind unterwegs. Joggen quälen sich die Kiellinie entlang und tragen ihren gehauchten Atem, der für Sekunden in der kalten Luft steht, vor sich her. Der rot-weiße Schemen in der Ferne, der im Meer verschwimmt, ist ein Leuchtturm. Ich bleibe stehen und atme entspannt aus. Meine Hände sind in den warmen Taschen verborgen. Mein Blick fällt auf die unendliche Weite des Meeres. Gemächlich und ohne Eile schwappen die grauen Wellen seicht gegen das steinerne Ufer. Jegliche Hektik bleibt aus. Die Ruhe ist ein wunderbares Gefühl.

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Ein Bus bringt mich nach Laboe in den Kieler Förden. Am Strand setzen sich Surfer der kalten peitschenden See aus und lassen sich mutig in die tosenden eisigen Fluten fallen. Kitesurfer ziehen dazwischen galant unter dem azurblauen Himmel ihre Runden. Ein Konzert der vielen Möwen begleitet die Szenerie. Die Vögel sammeln sich in Horden im feinen Sand. Ihre tapsenden Schritte hinterlassen winzige Krallenabdrücke im weichen sandigen Boden. In Laboe gibt es zwei Yachthäfen mit über 700 Liegeplätzen. Und für alle Nichtbootbesitzer einen wunderschönen Strandabschnitt. Grau ragt das Marinedenkmal im Hintergrund in den wolkenlosen Himmel. Es erinnert in Stein gemauert an die auf See Gefallenen aller Nationen. Unter friedlicher Flagge soll die See befahren werden. Statt Revanche steht die Versöhnung der feindlichen Mächte durch dieses Monument im Vordergrund. Rund 200.000 Menschen besuchen jährlich das Denkmal um den Verstorbenen zu gedenken oder diesen Ort zu besichtigen. Unterhalb des tristen düsteren Turmes befindet sich eine Gedenkhalle, die mit Fotos, Gesteckkränzen und emotionalen Briefen, Sprüchen und Texten an die Verstorbenen erinnert. Die Ruhe innerhalb der dicken Mauern ist wie ein undurchdringlicher Teppich. Wie ein dichter nebliger Schleier ziehen sich die vielen Geschichten um die Schicksale von wirklichen Menschen durch die faden Gänge.

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Die Trauer und schriftlichen Gedenkphrasen versprühen einen fassbaren Anmut. Vornehmheit durchschneidet das stille Gedenken und die fühlbare Trauer der vielen Menschen. Kleine Schiffsmodelle prägen die Embleme der vielen Trauergestecke. Vor dem Foto einer jungen Frau bleibe ich stehen. Unfähig weiterzugehen zieht mich das Foto des hübschen jungen Mädchens in seinen Bann. Jenny Böken wurde 21 Jahre alt. Sie war eine Sanitätsoffiziersanwärterin der Deutschen Marine. 2008 fiel sie vom Ausguck des Segelschulschiffs Gorch Fock wahrscheinlich wegen hoher Windstärke ins offene Meer. Sie war an diesem Tag von 20-24 Uhr dort als Posten eingeteilt. Der Wachoffizier gab zwar ‚Mann-über-Bord‘ Alarm, aber Jenny wurde in der Nacht nicht gefunden, obwohl parallel Hubschrauber der Bundeswehr nach ihr das Meer absuchten. Wenige Tage später wurde ihre Leiche vor Helgoland geborgen. Die Eltern versuchten die Marine für den Tod ihrer Tochter zu verklagen, aber das Gericht hat die Anschuldigung zurückgewiesen. Die junge Kadettin hatte gesundheitliche Probleme und war daher nicht unbedingt für den Dienst auf dem Schiff geeignet. Sie trug auch leider keine Rettungsweste. Dennoch sind dies Spekulationen der Eltern, die vom Gericht nicht anerkannt wurden.

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Mit einem Fahrstuhl fahre ich auf die Aussichtsplattform des Denkmalturms. 340 Stufen führen nach oben und geben den Blick frei auf das stürmende Meer und die weiße Gischthaube auf den sich brechenden Wellen. Die Weite des Meeres ist unantastbar und verliert sich am fernen Horizont bis die Bewegung des Wassers überhaupt nicht mehr wahrnehmbar ist. Von hier oben wirkt das Mahnmal für eine friedliche Seefahrt fast freundlich. Aber nur fast. Der Wind bläst stark und reißt an meiner Mütze. Mit beiden Händen halte ich die Wolle fest und genieße das Lied der Böen, dass in sonorer Weise um meinen Kopf singt. Vor dem Museum liegt ein U-Boot der Kriegsmarine auf Grund, das im zweiten Weltkrieg eingesetzt wurde. Das U-995 ist der meistgebaute Bootstyp des zweiten Weltkriegs. Die meisten Kriegs-U-Boote wurden während der Schlachten auf dem Meer vernichtet. 30.000 von 40.000 Marinesoldaten sahen ihre Heimat nie wieder. Das U-Boot, welches ich nun betrete hat als einziges nicht dieses Schicksal. Deshalb ist es nun ein Museums-U-Boot.

27 Matrosen lebten hier auf engstem Raum, die drückende Enge nimmt mir den Atem. Ich taste mich vorsichtig an der Wand entlang und luge durch die runde Öffnung zum Maschinenraum. Die Torpedos zum Versenken der feindlichen Schiffe und U-Boote schlafen friedlich unter den Klappbetten der Mannschaft oder dem metallenen Boden bis diese gebraucht werden. Die Matrosen nächtigen praktisch auf den Feuerwaffen oder haben diese direkt im Gesicht und stoßen sich daran morgens den Kopf. Ich schleiche über den Boden, der die Wasserbomben versteckt und taste sachte an die vielen Steuerungsknüppel. Die beklemmende Nähe der Wände erdrückt mich und nimmt mir die Luft zum Atmen. Viel zu schnell laufe ich durch den Gang. Die Unteroffiziers- und Offierziersbetten sind abgetrennt und etwas luxuriöser. Wenn man das in dieser beengenden Schwüle, in der es keine Privatsphäre gibt überhaupt sagen kann. Meine Gedanken und mein Respekt sind bei den Menschen, die solche fehlende Intimität auf sich nehmen, weil es ihrem Idealismus entspricht. Die dies als Selbstverständlichkeit ihres Berufes betrachten und lange Zeit ohne Privatsphäre auskommen. Den Matrosen der See.

 


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