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Meine Lippen öffnen sich zu einem gelangweilten Gähnen. Die Nacht war kurz und die Hausfassaden der Bonner Altstadt sind absolut gewöhnlich. Die Mehrzahl der Gebäude strahlt eine triste Ödnis aus, die nur gelegentlich von einer verlorenen Rokoko- oder Barockdekoration unterbrochen wird. Im 2. Weltkrieg wurde der gesamte historische Stadtkern nahezu völlig zerstört. Die ursprüngliche Innenstadt ist daher leider nicht erhalten geblieben. Lediglich in der Umgebung der Poppelsdorfer Allee steht eine prächtige Villa neben der nächsten. Eine elegante Aneinanderreihung von pastellfarbenen Häuserfronten, niedlichen Erkern und zierlichen Balkonen, die völlig im Gegensatz zum langweiligen Stadtzentrum steht. In einem der kleinen unscheinbaren Häuser der Bonner Stadtmitte wurde 1770 Ludwig van Beethoven geboren. Sein Vater erkannte früh das musikalische Talent seines Kindes und der junge Komponist gab in Bonn seine ersten Konzerte. Als Mann in jungen Jahren wurde er Organist der Hofkapelle der Stadt und lernte Joseph Haydn kennen, der auf der Rückkehr seiner Englandreise in NRW einen Zwischenstopp einlegte. Mit diesem vereinbarte er einen Studienaufenthalt in Wien, um bei Haydn Kompositionsunterricht zu nehmen.
Beethoven brachte es während der Zeit in Wien als Pianist und Komponist zu wachsendem Erfolg. Aus seinen umfangreichen musikalischen Werken sind die 9 von ihm komponierten Sinfonien besonders bekannt. Daneben schuf er u. a. fünf Klavierkonzerte, ein Violinkonzert, mehrere Ouvertüren, die Oper Fidelio, die Missa solemnis sowie eine Vielzahl kammermusikalischer Werke. Er hat in jedem Fall ein wunderbar klingendes Erbe für die Nachwelt hinterlassen. Zumindest allen Freunden klassischer Musik. Seine Arbeit wurde allerdings zunehmend von einer schwerwiegenden Beeinträchtigung überschattet: Etwa um 1798 zeigten sich erste Symptome eines Gehörleidens, das schließlich zur Taubheit führte. Die Krankheit verschlimmerte sich drastisch innerhalb weniger Jahre bis zum völligen Gehörverlust. Was für ein Schicksal für einen begnadeten Komponisten! Seine Stücke waren weder schlecht noch wurden diese von der Bevölkerung negativ aufgenommen worden. Ein gefeierter Musiker, dem sein Erfolg prompt entrissen wird. Nicht durch eigenes Verschulden, sondern durch eine anatomische Laune der Natur. Hilflos musste Beethoven mit ansehen, wie die Krankheit kontinuierlich fortschritt und sich dieser ohnmächtig und ohne mögliche Gegenwehr ergeben.
Einen Grund für die beginnende Taubheit fanden die Ärzte damals nicht. Dadurch wurde natürlich auch kein Heilmittel gefunden. Beethovens Hörschädigung stellte nicht nur eine ernste Bedrohung seiner Laufbahn als Musiker dar. Die Krankheit beeinträchtigte auch seinen gesellschaftlichen Umgang. Sein Leiden stürzte den Komponisten in eine schwere persönliche Krise, die ihn zeitweilig sogar an Selbstmord denken ließ. Er konnte seine eigenen Musikstücke nicht mehr hören und damit den Tönen in neuen Kompositionen auch keinen Ausdruck mehr verleihen. Seine Alltag verlor sich in der Eintönigkeit der Stille und die gleichmäßige Ruhe zwang den sowieso schon introvertierten Menschen in die soziale Isolation und Einsamkeit. Ab etwa 1813 verwendete Beethoven Hörrohre, um mit seiner Umgebung zu kommunizieren. Diese trichterförmigen Metallrohre hält man an das eigene Ohr, damit die Schallwellen der Umgebung direkt in den Gehörgang transportiert werden können. Die Wirksamkeit ist allerdings nicht nachweisbar und so hatten diese Hörhilfen für den Musiker keinen Nutzen. Nachdem er völlig taub war, verwendete Beethoven Konversationshefte, worin seine Gesprächspartner ihre Äußerungen notierten und er die Aussagen ablesen konnte. Das war natürlich sehr aufwendig und für beide Seiten anstrengend und unangenehm. Als Mann von seit jeher wortkarger Natur machte seine Krankheit ihn zum gesellschaftlichen Eremit.
Platz für Frauengeschichten war in Beethovens Leben dennoch. Nach eigener Aussage war er ’sehr häufig verliebt‘. Überaus bekannt ist sein romantischer Liebesbrief an eine ‚Unbekannte Geliebte‘, deren Namen bis heute niemand weiß. Diese Romanzen waren allerdings immer nur von kurzer Dauer. Der Komponist hat nie geheiratet und blieb sein ganzes Leben lieber Junggeselle. Durch die Taubheit war Beethoven in seinen letzten Jahren zunehmend auf die Unterstützung durch Freunde und Bekannte angewiesen. Er hatte zwar Hauspersonal, eine Köchin und eine Haushälterin, doch führten heftige Auseinandersetzungen mit den Angestellten mehrfach zu Kündigungen von der einen oder anderen Seite. Beethovens Lebensumstände verschlechterten sich durch seine Schwerhörigkeit immer mehr. Er konnte nicht mehr als Pianist auftreten und hatte daher immense finanzielle Einbußen. Von seinem Bruder Johann, einem wohlhabenden Apotheker in Wien, lieh er sich daher 1822 eine größere Geldsumme. Trotz seiner berühmten musikalischen Werke fiel die Rente des Pianisten recht schmal aus.
Beethoven litt seit seinem 30. Lebensjahr an diversen Krankheiten, von denen die Ursachen bis heute nicht erforscht sind. Wahrscheinlich fiel er einer Bleivergiftung und übermässigem Alkoholgenuss zum Opfer. Der Künstler trank regelmäßig billigen Weißwein, der von den Winzern damals mit Bleizucker statt mit teurem Rohrzucker gesüßt wurde. Die Knochen und auch das Haar des Komponisten enthielten Blei in einer Konzentration, die bei einem Menschen selten gemessen worden ist. Künstler ist nun mal bis heute der einzige Beruf, bei dem die Gesellschaft ein Leben am Existenzminimum mit schwerem Drogenmissbrauch toleriert oder dieses sogar erwartet. Im Sommer 1821 erkrankte Beethoven an einer schweren Gelbsucht und zog sich eine Leberzirrhose zu. Der Komponist versuchte seine Beschwerden durch Aufenthalte in Kurbädern oder der gesunden Landluft zu verbessern. Leider fuhr er mit offenem Kutschenverdeck von seiner letzten Kur nach Wien zurück. Während der zugigen Fahrt zog er sich zusätzlich zu seiner Leberkrankheit eine Lungenentzündung zu. Wasseransammlungen in den Beinen und im Unterleib sowie die schwere Symptome der Leberzirrhose fesselten Beethoven ab diesem Zeitpunkt völlig an sein Krankenbett. Nach mehreren erfolglosen Behandlungsversuchen verschiedener Ärzte starb Beethoven am 26. März 1827.
Durch die kühle Herbstluft spaziere ich zum Bundesviertel in Bonn. Ein heftiger, frostiger Wind zaust in meinen Haaren und wirbelt kleine Haarsträhnen aus meinem Zopf, die zaghaft über meine Wangen streichen. Die kalte Luft riecht nach feuchter Erde und welkem Laub. Bunte Blätter wirbeln wie ein herbstlicher Regenbogen über den grauen Gehweg. Plötzlich reißt eine Hand die Kapuze meines Mantels nach oben und fasst mit festem Druck an meinen Hinterkopf. Mein Atem geht stoßweise und mein eigener Puls dröhnt als rasendes Pochen durch den Schreck laut in meinen Ohren. Sofort drehe ich den Kopf und schaue hinter mich. Dort steht niemand. Eine Windböe hatte die Kappe hochgeweht. Ich berühre mit zittrigen Fingern meinen Pferdeschwanz. Mein hastiges Keuchen liegt immer noch als Echo des Schocks lautlos in der Luft. So ist es eben, wenn man schon mal überfallen worden ist. Auch wenn ich die Situation damals in Guatemala gut weggesteckt habe, hat sich das Erlebnis wohl in mein Unterbewusstsein eingebrannt. Wie man an meinem entsetzten Augenblick nahe der weiblichen Hysterie unschwer erkennen kann. Auf meinen erschrockenen Gesicht breitet sich ein Lächeln aus. Natürlich komme ich mir jetzt dumm vor. Ich ziehe die Mütze meiner Jacke wieder über mein Haar und blicke nach vorn. Eisig weht mir der Wind wieder ins Gesicht und nimmt den Schreckenshauch sogleich mit sich.
Das Bundesviertel in Bonn umfasst alle Parlaments- und Regierungsgebäude des Bundestags und Bundesrats. Bonn war von 1949 bis 1990 provisorische Bundeshauptstadt und bis 1999 Regierungssitz der Bundesrepublik Deutschland. Hier tagte der Parlamentarische Rat. Dieser arbeitete nach dem Krieg das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland aus. Seitdem Berlin die Hauptstadt Deutschlands ist haben der Bundespräsident, der Bundeskanzler und der Bundesrat in Bonn einen zweiten Dienstsitz. Zudem ist die Stadt in NRW Sitz der ‚Vereinten Nationen‘. Das Bundeshaus mit seiner Pädagogischen Akademie und dem Plenarsaal ist ein moderner kaum aufregend gestalteter Gebäudekomplex. Hier tagten Bundesrat und Bundestag als Bonn noch Hauptstadt Deutschlands war. Das Bundeskanzleramt ‚Palais Schaumburg‘ ist ein schlossähnlicher Bau. Der Wohn- und Amtssitz des Bundespräsidenten ‚Villa Hammerschmiede‘ eine prächtige, schneeweiße Villa. Eigentlich hätte ich gern die Geschichte Deutschlands seit 1945 im ‚Haus der Geschichte‘ noch einmal nachverfolgt, aber die Ausstellung ist leider seit längerem geschlossen. Nach dem ausgiebigen Spaziergang an der eisigen Luft setze ich mich in das angegliederte Museumscafe und bestelle ein Glas Wein. Ich will nicht sofort wieder in die eisige Brise vor der Tür oder mich zumindest erst ein wenig innerlich aufwärmen.
‚Ist hier noch ein Platz frei?‘ erwartungsvoll mustern mich die blauen Augen einer blonden Frau in mittleren Jahren. ‚Ja sicher.‘ mit einladender Handbewegung lächle ich sie an. Ein kleiner Junge und ein Mädchen mit gebräuntem Teint setzen sich ebenfalls an den Tisch. ‚Sind Sie allein da?‘ die Mutter sieht mich fragend an. ‚Ja, mein Freund wollte in ein anderes Museum. Wir treffen uns nachher wieder in der Innenstadt.‘ informiere ich die Dame. ‚Wir auch.‘ nickt die Blondine freundlich. ‚Mein Mann ist aus Algerien, deutsche Geschichte interessiert ihn nicht. Er will wieder in sein Heimatland zurück und baut dort gerade ein Haus für uns. Ich kann mir einen Umzug nach Afrika aber nicht vorstellen. Ein Kopftuch müsste ich dort nicht tragen. Aber ob ich dort einen Job finden würde? Ich könnte mich dort als Frau auch nicht so frei bewegen wie hier und wie jetzt einfach mal Kaffee trinken gehen. Dieses Thema sorgt derzeit richtig für Streit zwischen uns.‘ ‚Was machen Sie denn beruflich?‘ will ich wissen. ‚Ich habe eigentlich Buchhändlerin gelernt, aber nach der Wende in Dresden keinen Job gefunden.‘ erklärt sie mir bereitwillig. ‚Dann habe ich eine Umschulung zur Krankenschwester gemacht und in Köln eine Stelle angenommen. Mein Mann und ich haben uns dort kennen gelernt.‘ Ihr Ton wird bestimmt. ‚Ich lasse mir von Männern nichts sagen. Aber diese ständige Eifersucht ist schon schlimm. Leider sind die Kinder noch so klein und würden furchtbar unter einer Trennung leiden. Da halte ich lieber noch 5 Jahre durch.‘
Die Ehe durchhalten, denke ich still. Irgendwie ist es doch verwunderlich, dass sich so viele Menschen keine Gedanken über die kulturellen Unterschiede machen, wenn sie eine Beziehung eingehen. Natürlich verdrängt das Verliebt sein diese Wahrnehmungen zunächst. Aber später, wenn man über Heirat oder die Familienplanung nachdenkt, muss man die unterschiedlichen Einflüsse doch berücksichtigen. ‚Sind hier auch Sommerferien?‘ meldet sich der kleinen Junge zu Wort. Ich zucke die Schultern. ‚Das weiß ich nicht. Ich habe keine Kinder.‘ sage ich gleichgültig. Ungläubig reißt die zierliche Schwester des Bubs die Augen auf. ‚Wieso hast Du denn keine Kinder?‘ Ihr neugieriger Blick studiert jede Regung meines Gesichts. Ihr Mimik reflektiert was die Kleine denkt. Mit mir stimmt wohl etwas nicht. Nervös nippe ich an meinem Glas. Muss ich mich jetzt wirklich vor dem kleinen Mädchen rechtfertigen? Und warum fällt mir jetzt eigentlich kein überzeugender Grund ein? Die Mutter greift beschwichtigend ein. ‚Sie weiß einfach nicht, dass es sowas auch gibt.‘ meint sie zu mir gewandt. Dann sieht sie ihren Sprößling an. ‚Sowas gibt es auch.‘ sagt sie knapp. ‚Mein Freund hat schon zwei Kinder.‘ entschuldige ich mich dann. So gesehen sind dann ja auch Kinder da. ‚Sieht Du. Und solche Familien gibt es auch.‘ belehrt die Blondine wieder ihre Tochter. Da klingelt zum Glück ihr Telefon. Die Frau winkt mir kurz zu. ‚Wir werden abgeholt.‘