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Eine eisige Brise zieht über den Kölner Domhof. Die frostige Brise weht in meinen Mantel und hinterlässt einen klammen, kühlen Hauch, der mit Eiseskälte bis in die Gelenke wandert. Ein älterer Herr steht an der steinernen Kreuzblume auf dem Kirchplatz. Weit wallt sein blutroter Umhang über die grauen Pflastersteine des Kapellshofs. ‚Sind Sie der Henker?‘ frage ich neugierig. Der Mann nickt stumm. ‚Das bin ich.‘ sagt er tonlos. Ein kalter Windstoss bläst die dunkelrote Kapuze von seinen Schultern. Dann wendet sich der düstere Scharfrichter an unsere gesamte Touristengruppe. ‚Ich habe Euch heute mein Hauptarbeitsgerät mitgebracht.‘ Er hält ein zur Schlaufe geknotetes Seil am ausgestreckten Arm in unsere Richtung. ‚Ich möchte Euch dies gern einmal vorführen. Es wäre also gut, wenn einer oder eine nachher nicht mehr unbedingt zurück nach Hause muss.‘ Ein finsteres Raunen geht durch die Menge. Einige Teilnehmer kichern nervös. Die feinen Härchen auf meinen Unterarmen schnellen in die Höhe und ein unangenehmes Schaudern schüttelt meine Glieder. Ich möchte mich auf keinen Fall für eine Hinrichtung melden. Aufgrund fehlender Freiwilliger fährt der Mann mit der Schlinge in der Hand fort. ‚Sonst muss ich immer jemanden aussuchen, das mache ich nicht gern.‘ Die Gesichter um mich werden blass.
Gebannt hänge ich an den Lippen des Mannes. ‚In meinen Tagen hat man den Henker nicht mit Namen angesprochen, das Volk nannte ihn ‚Meister Hans‘.‘ erklärt er. ‚Aufgrund meines Berufes wurde ich als unehrlich und unwürdig verurteilt. Der Scharfrichter wurde von der Bevölkerung stigmatisiert und musste am Stadtrand im ‚Viertel der Unberührbaren‘ wohnen mit allen anderen Randgruppen der Stadt. Die Ausbildung zum Vollstrecker von Hinrichtungen war sehr breit gefächert. Alle Hinrichtungsmethoden mussten professionell ausgeführt werden. Eine Enthauptung musste z.B. auf einen Streich gelingen. Trainiert wurde während der Ausbildung an Schweinehälsen. Rädern war weitaus schwieriger, schließlich sind ja die ganzen Knochen und Gelenke hier im Weg. Wir fixierten die Delinquenten also auf dem Boden und ließen das eisenbeschlagene Rad mehrfach auf die Knochen krachen. Es war so wesentlich einfacher jemanden auf das Rad zu flechten. Und schließlich hatte keiner so gute anatomische Kenntnisse in der Stadt wie ein Henker. Daher suchten die einfachen Leute diesen fortwährend als Heiler auf. Die Damen aus dem horizontalen Gewerbe, die ‚Hübschlerinen‘ waren damals auch dem Henker unterstellt. Sie erhielten von mir Schutz während der Arbeit in den Straßen und gaben mir dafür einen Anteil ihrer Einnahmen. Ich bin also auch Zuhälter.‘ Ein Lächeln erhellt dankbar mein Gesicht. Ein witziger Moment im Rausch der vielen düsteren Informationen.
Nervös wippe ich mit den Füßen auf und ab. Der Mann vor mir ist etwa so groß wie ich. An seinem Gürtel baumelt der streng geflochtene Strick beim Erzählen hin und her. Der blutrote Umhang zeichnet sich in der schwachen Straßenbeleuchtung der Kölner Altstadtgassen scharf gegen die bräunlichen Steine des Doms ab. Die Schattenbilder der nächtlichen Laternen tanzen auf den Gesichtszügen des Henkers und spiegeln sich in den Regenpfützen des herbstlichen Novembers. Langsam beginnt er wieder zu sprechen. ‚Im Mittelalter gab es in Köln keine Kanalisation. 40.000 Menschen entsorgten ihren Unrat einfach aus dem Fenster. Beim Durchschreiten der Innenstadt sollte man deshalb immer möglichst nah an der Hauswand entlang gehen, sonst könnte es etwas unangenehm werden. Die Abwässer wurden in offene Gräben weitergeleitet. Die Jauchegruben wurden von den ‚Goldgräbern‘ nachts mit Handkarren und Schaufel gereinigt. Diese haben den Abfall dann zum Rhein transportiert und im Fluss entsorgt. Damit die dreckige und stinkende Brühe ordentlich bis zum Grund abgetragen wurde, warf man die Münzen als Bezahlung am Anfang in das Abwasserloch hinein. Die Arbeiter hatten also keine Wahl als ihre Tätigkeit bis zum Boden durchzuhalten. Ansonsten gab es keine Bezahlung. Sie waren ebenfalls dem Henker unterstellt.‘
Ich mustere die Gesichter der Besucher um mich. Viele verziehen angewidert ob der mangelnden hygienischen Zustände das Gesicht. Unser Scharfrichter lässt sich dadurch nicht bremsen. Er informiert uns weiter über seine Arbeitsweise. ‚Neben den Hinrichtungen erfüllten wir auch Köperstrafen wie Prügel oder das Entfernen von Körperteilen. Die Strafe orientierte sich dabei immer sehr eng an der Tat. Dem Dieb wurde daher die Hand abgehackt. Ehrenstrafen wurden z. B. für Ehebrecherinnen verhängt. Diese stellte man an den Pranger mit einer Schandmaske. Geheiratet wurden diese Frauen dann natürlich nicht mehr. Deren wirtschaftliche Versorgung war dahin und es blieb ihnen höchstens übrig die Stadt zu wechseln. Wichtig war uns damals schon, dass keiner hingerichtet wurde, der nichts verbrochen hatte. Der angebliche Täter wurde in einer ‚hochnotpeinlichen Befragung‘ verhört. Peinlich kann man von Pein ableiten. Gemeint ist eine höchst grausame, schmerzhafte Folter in drei Eskalationsstufen. Beteuerte der Täter nach Stufe 3 noch seine Unschuld, so wurde dieser vom Verbrechen frei gesprochen. Nur bei Hexen, die ja mit dem Teufel im Bunde stehen ging man anders vor. Diese Frauen konnten so lange gefoltert werden, wie der Henker und Erzbischof für richtig hielt. Man spannte diese mit ausgebreiteten Gliedmaßen so lange über eine Kerze bis man die Flamme durch die Vorderseite der Frau durchscheinen sah.‘
Ein Seufzer geht durch die Reihen der Teilnehmer. Diese unsinnige Grausamkeit wird untermalt von der frostigen Tristesse der herbstlichen Nacht. Der ausgestreckte Zeigefinger des Scharfrichters deutet in die dämmrige Finsternis des Domhofs. ‚Am Tag der Hinrichtung ging man dann mit den Verurteilten am blauen Stein vorbei. Dreimal stieß der Henker die Unglücklichen dagegen, um diesen aus der Gesellschaft auszustossen. Am ‚Rabenstein‘ hängte man die Missetäter dann auf und ließ diese einfach am Strick baumeln. Die Raben fraßen dann alles noch verwertbare. Ein Pfaffe, der ein Jahr nicht mehr gebeichtet hatte und dennoch die Messe hielt und Kommunion verteilte, wurde in Köln zum Tode verurteilt. Um ihm einen Vorgeschmack auf das Fegefeuer zu geben, brachte man in einem großen Kessel Wasser zum Sieden und tauchte ihn an einen Stab festgebunden kopfüber in die kochende Flüssigkeit. Als Henker habe ich daran nichts verdient. Ich musste nämlich die ganzen Utensilien für Hinrichtungen von meinem Einkommen finanzieren. Wisst ihr was das gekostet hat?‘
Entrüstet schaut der Mann in die Menschenmenge. Dann lächelt er dünn. ‚Was der Henker benutzt hat, durfte niemand anfassen, da er sonst selbst unehrenhaft geworden wäre. Der Topf stand also ewig auf dem Platz und ich kaufte ihn dann vom Greven für wenig Geld zurück. Meine Frau wäscht jetzt die Wäsche darin.‘ Ich rümpfe die Nase. Dann trete ich interessiert ein paar Schritte nach vorn, um den Henker besser zu verstehen. Der ältere Herr berichtet erneut von seiner Arbeitsweise. ‚Die Hundefänger der Stadt waren ebenfalls dem Scharfrichter unterstellt. Hauptsächlich traf man diese auf Friedhöfen an. Die streunenden Hunde der Stadt buddelten die arme Bevölkerung aus den Massengräbern aus und liefen mit Knochen und Gliedmassen davon. Die Hundefänger sammelten die Körperteile dann wieder ein und legten diese in die Gräber zurück. Bezahlt wurden diese in Naturalien, jeder Fänger erhielt 5 Liter mittelmäßiges Bier. Als Henker habe ich auch etliche Geschäfte mit den Überbleibseln der Verstorbenen gemacht. Das frische, warme Blut von Geköpften nutzten Schwindsüchtige als Heilmittel, aus dem Körperfett bereitete man Salbe. Die Daumen von Erhängten verkaufte man als Glücksbringer.‘ Er lädt uns mit einer ausladenden Handbewegung ein, ihm zu folgen. ‚Ich zeige Euch jetzt die Hexentanzplätze am Rhein.‘
Unsere Gruppe schlendert an der Kölner Philharmonie vorbei. Zwei Security-Mitarbeiter halten alle Spaziergänger davon ab über die unterirdische Konzerthalle zu laufen. Leider ist die Architektur der Decke des Saals so schlecht, dass das Orchester durch den Hall der Schritte an der Oberfläche aus dem Takt gebracht werden kann. Ich kichere in mich hinein. Die Kölner Baukunst. Vor ein paar Jahren stürzte die Kölner Bibliothek in sich zusammen, jetzt ist die Philharmonie durch bauliche Mängel die Geisel des Echos der Fussgänger auf dem Platz darüber. Hektisch winkt uns der Henker hinunter zum Rhein. ‚Hier war die mittelalterliche Stadt Köln zu Ende. Daher waren einmal im Monat hier die Hexentanzplätze. Der Teufel erschien persönlich und jede Hexe küsste seinen Hintern und trank einen Schluck aus seinem Zaubertrank. Für den darauffolgenden Monat erhielten die Hexen ihre Zauberkräfte zurück. Und warum glaubten die Menschen damals so bereitwillig an Hexen? Schwere Lebensschicksale konnten das Urteil Gottes sein. Natürlich war es viel einfacher einem Zauberwesen die Schuld zu geben. Impotente Männer waren daher nie unfruchtbar, sondern schlicht verhext. Zur Verbrennung einer Hexe brauchte man drei Anklagepunkte. Oftmals wurden Geburtshelferinnen angeklagt, die behinderte Kinder oder Todgeburten auf die Welt geholt hatten. Daran musste jemand Schuld sein! Eine Denkweise, die wir heute nicht mehr verstehen können aber die früher Alltag war.‘
Unartikuliertes Gegrölle hallt zu unserer Gruppe hinüber. Unser Vollstrecker schüttelt missbilligend den Kopf. ‚Wenn ich Samstags rund um den Dom spaziere habe ich auf 15qm etwa 20 Junggesellenabschiede. Diese sind überaus beliebt in Köln, weil sie sich oft daneben benehmen.‘ Der Scharfrichter mit dem dunkelroten Umhang lächelt gequält. ‚Im Moment überlegt der Rat der Stadt Köln die Hexenverbrennung an dieser Stelle wieder einzuführen. Ich wäre dafür. Im Moment glauben die sie hätten für mich keine Verwendung. Deshalb halte ich mich mit Stadtführungen über Wasser.‘ Verlegen zuckt der Scharfrichter beide Schultern. Das Publikum grinst verschmitzt. Dann nimmt der Herr der Henkerszunft seinen Monolog wieder auf. ‚Der Henker war unehrenhaft, niemand hätte ihn berührt. Also konnten die Henkersfamilien auch nur untereinander heiraten. Eine andere Braut hätte der Scharfrichter nie gefunden.‘ Süffisant grinsend legt der Mann im blutroten Umhang den Kopf zur Seite. ‚Wir sind am historischen Rathaus. Also ich wäre jetzt soweit. Hier sind so schöne Stangen. Ein Seil würde sich da gut aufhängen lassen.‘ Das unfreiwillige Henkersopfer tritt aus unseren Reihen vor. Das Gesicht unseres Stadtführers verdüstert sich plötzlich. Er befühlt die am Gürtel hängend Schlinge. ‚Wenn man nicht alles selber macht. Ich sagte meiner Frau, sie soll ein neues Seil rauslegen. Dieses kann ich nicht verwenden, es ist das von letzter Woche.‘