Auf den Spuren eines Weltenbummlers…

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Fotos und Videos mit freundlicher Unterstützung von http://www.mallygrafie.de/

‚Das ist ein Fahrradweg. Sehen Sie das denn nicht? Warum stehen Sie denn hier?‘ Empört sieht uns eine ältere Frau an. Dieselbe Dame fährt mit ihrem Drahtesel einfach in die Fußgängerzone, obwohl ein Schild unmissverständlich angibt, dass sie hier abzusteigen und ihr Gefährt zu schieben hat. Cottbus empfängt uns überaus freundlich. Verblüfft sehe ich der zornigen Radlerin hinterher. Mit zweierlei Maß zu beurteilen zeugt von mangelnder Selbstreflexion. Doppelmoral gibt es überall auf der Welt. Davor kann man nicht entfliehen. Wir schlendern durch die Sprembacher Allee, die Fußgängerzone der Stadt. Die Gebäude entlang der Straße stammen zum großen Teil aus dem 19. Jhd. Die schön dekorierten klassischen Fassaden sind sehr gepflegt. Entlang der Spree spazieren wir zu Schloss Branitz. Die Luft ist kühl und eisige Regentropfen sprenkeln meine Jacke. In Schlieren läuft das kalte Nass über den grauen Stoff meines Mantels. Fallende Blätter rieseln auf die Gehwege. Die gelblichen Blattränder schimmern wie heller Rost. Bei jedem Schritt wirbele ich das Laub auf. Rot und Golden fliegt dieses als Farbtupfer über die sandigen Gehwege des kleinen Parks, der sich an die Innenstadt anschließt. Zwischen den Grashalmen leuchten dunkelbraune, glänzende Kastanien. Es riecht nach feuchter Erde und nach Herbstanfang.

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In Schloss Branitz lebte im 19. Jhd. Fürst Hermann von Pückler-Muskau. Der Nachfahre des Grafen von Pückler war ein Schriftsteller und Weltenbummler. Aus diesem Grund hat der Mann bereits meine Sympathie, auch wenn ich mich bisher noch nie mit ihm beschäftigt habe. 1802 begann er eine militärische Laufbahn, um dadurch Reisen zu können. Über seine Reisen durch ganz Europa verfasste der Adlige Pückler Berichte, die in Deutschland zu Bestsellern wurden. Er beleuchtete dabei nicht nur touristische Sehenswürdigkeiten, sondern gab auch die politische und wirtschaftliche Situation des bereisten Landes wieder. Ebenso analysierte er den Alltag und Lebensstil der Einwohner. Einer der ersten Blogger sozusagen. Pückler war bis zu seinem Tod 1876 Schriftsteller. Bei einem Englandbesuch entdeckte er seiner Vorliebe für Garten- und Parkanlagen und sein Talent für die Landschaftsgestaltung. Dieses Hobby wurde mit der Zeit so kostspielig, dass sein Erstwohnsitz Schloss und Park Muskau hoffnungslos verschuldet waren.

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Genug Geld hatte Pückler nie, aber der Park brachte ihn an den Rand des Ruins. Auch die Mitgift seiner Frau Lucie ist bald aufgebraucht. Diese schlägt dem Fürsten daher eine Scheidung vor, um die Schulden durch eine neue reiche Heirat ihres Ehemannes loszuwerden. Das finde ich sehr ungewöhnlich. Welche Frau schlägt ihrem Ehemann denn vor sich ein anderes Weib zu suchen? Mir würde solch eine Lösung definitiv nicht einfallen. Pückler suchte drei Jahre lang in England nach einer Braut. Erfolglos. Eine neue möglichst spektakuläre Reise sollte deshalb durch die aufgeschriebenen Reiseberichte neues Vermögen bringen. An Bord der ‚Crocodile‘ machte er sich 1835 auf nach Algier. Er war praktisch der erste Reisejournalist und sah sich auch selbst als Sensationsreporter. Während seiner Reisen kleidete er sich in afrikanischer Landestracht und versuchte sich so gut als möglich an die jeweiligen Landesgepflogenheiten anzupassen. Er genoß durch die Nähe zur Bevölkerung viele neugewonnene Kontakte. Fürst Pückler lernte den Orient zu lieben, besonders Ägypten. Diese Sympathie war so umfangreich, dass er sich in Schloss Branitz 3 Räume im orientalischen Stil einrichtete. Nach seinem Tod ließ er sich aus diesem Grund in einer mit Gras bewachsenen Pyramide im See des Schlossparks beisetzen.

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Seine Affinität zu Afrika war so groß, dass er selbst vermutete afrikanische Wurzeln zu haben. Obwohl der afrikanische Lebensstil ihn sehr beeindruckte, entsetzen ihn die Schattenseiten der Gesellschaft wie Sklaverei, Armut und Korruption. Zurück in Deutschland empfing er Gäste in seinem Schloss ebenfalls in afrikanischer Kleidung. Die Dinnerpartys des Fürsten galten als legendär. Pückler war ein großer Gourmet, der seine geschmacklichen Vielfalten aus den großen Gewächshäusern in den Schlossgärten bezog. Von seinen Reisen hatte er Ableger der Ananas mitgebracht, um diese in seinen Treibhäusern zu Pflanzen zu züchten. Die Früchte waren ein willkommenes Geschenk an geschätzte Freundinnen und Mätressen. So auch an die Deutsche Kaiserin Augusta, mit der ihn eine tief empfundene Freundschaft verband. Ananas inspirierte auch den fürstlichen Konditormeister Schultz zur Eiscreme Fürst Pückler Art. Die Farbgebung orientiert sich am Fürstenwappen: schwarz, gelb, rot. Erdbeer- oder Himbeereis, ebenso Schokoladen- und Ananaseis. Basis der Eisspezialität war geschlagene Sahne.

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Ich denke, indem er seine Empfindungen niederschreibt, gelingt es Fürst Pückler seine Gedanken zu ordnen und das Erlebte zu reflektieren und zu verarbeiten. Diese Eigenschaften sind das Wunderbare am Schreiben. Ich nutze diese für mich ebenfalls. Wie abstrakt muss einem Adligen das Elend im Afrika des 19. Jhds vorkommen? Während der 6-jährigen Orientreise leitet Pücklers Frau Lucie die Geschäfte rund um das Schloss. Die Fürstin ist zutiefst beunruhigt als ihr Ehemann mit der zehnjährigen Machbuba als seiner Mätresse heimkehrt. Herrmann von Pückler hat das abessinische Mädchen auf einem Sklavemarkt in Äthiopien gekauft. Da seine Frau die Nebenbuhlerin nicht auf dem Schloss haben wollte, bleibt Hermann Pückler mit dem Mädchen zunächst in Wien. Lange überlebt Machbuba allerdings im kalten deutschen Klima nicht. Sie erkrankt schon bald an Tuberkulose und der Fürst reist mit ihr zu den heilenden Quellen in Muskau. Lucie reist daraufhin empört nach Berlin. Die Afrikanerin erliegt bald ihrer Krankheit, Sie wurde keine zwanzig Jahre alt. Der Fürst entwickelte für das afrikanische Mädchen eine solche Zuneigung, die alle bisher empfundenen Gefühle übertraf. Ihr Tod brach ihm das Herz. Zur Zeit der Beerdigung befand er sich allerdings in Berlin, da auch seine Exfrau Lucie schwer an Asthma, Diabetes und Rheuma erkrankt war.

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Wegen der unaufhaltsamen Überschuldung verkauft Pückler das Schloss in Muskau und zieht mit Lucie 1845 nach Branitz. Das Ehepaar gestaltet erneut den Schlosspark nach Pariser Vorbild um. Die Gesundheit von Pücklers Ehefrau verschlechtert sich weiter. 1852 erleidet Lucie einen Schlaganfall. Zwei Jahre später stirbt sie im Mai 1854 auf Schloss Branitz. Fürst Pückler ist für mich ein absolut faszinierender Zeitgenosse. Seine Reiseberichte in Brief- und Tagebuchform über Länder und Sitten, Kunst und Kultur machten ihn zum Wegbereiter des Reisejournalismus. Viele seiner Leser sind Berühmtheiten der früheren Tage, wie z.B. Gothe. Auch wenn ich ihm nicht verzeihen kann, dass er ein Kind als Geliebte und Kurtisane gewählt hat, war dies zu Lebzeiten des Fürsten ja relativ normal. Mit zehn Jahren konnte ein junges Mädchen durchaus verheiratet werden. Machbubas Schmerz fernab der Heimat und unterworfen von einen Mann für den diese maximal väterliche Gefühle hegte kann ich kaum nachempfinden. Zum Glück lebe ich in einem Land, indem Slaverei nicht existiert. In einer Zeit, in der jemand von höherem Stand nicht einfach über die niederen bestimmen kann. Einer Gesellschaft, in der Frauen und Männer gleichgestellt sind. Dieses Privileg hat nicht jeder auf dieser Welt. Und das dies ein erkämpftes Sonderrecht ist, wird schnell vergessen. Gut, dass man mich gelegentlich erinnert.


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