Im Spreewald ausgesetzt…

Fotos und Videos mit freundlicher Unterstützung von http://www.mallygrafie.de/

‚Wo kann man denn hier die Tickets erwerben?‘ frage ich den Bootsführer, der mir am nächsten steht. ‚Sie zahlen direkt an Bord. 14 Euro kostet die Hin- und Rückfahrt.‘ der Mann winkt mich auf den länglichen Kahn. Ich nehme auf der zierlichen Holzbank Platz. Seit über 150 Jahren findet die traditionelle Fortbewegung im Spreewald auf dem Wasser statt. Der typische Spreewaldkahn ist ein Flachboot mit einer Länge bis zu 9m. Früher waren die Schiffchen aus Holz, heute werden diese aus Aluminium hergestellt. Unser Bootsführer stößt uns durch einen hölzernen Stab vom Anlegeplatz ab. Völlig ohne Motor stakt uns der ältere Herr durchs Wasser. Begleitet vom leisen Plätschern des Wassers teilen sich die seichten Wellen am Bug unseres Metallschiffes. Undurchdringlich liegt das dunkelgrüne Wasser der Spree unter uns. Gemütlich schaukeln wir über die düsteren Wogen hinweg. Tief hängen die Äste der Laubbäume fast bis ins Wasser des Flusses. Einzelne Blätter segeln gleichmäßig auf uns herab und kündigen den Herbst an.

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Der Geruch nach feuchter Erde legt sich wie ein sanfter Schleier auf unser Gefährt. Kalt strömt die Luft in meine Lunge. Es ist September und ein Hauch des Winters weht über mein Gesicht. Gleichzeitig wärmen die Strahlen der Herbstsonne meine Wangen und die hellen Lichtkegel spiegeln zart leuchtende Punkte auf das lichte Laub der Uferbäume. Wie ein grünes träges Band durchzieht die Spree den umgebenden Wald. Der große Spreewaldhafen von Lübbenau wird hinter uns immer kleiner. Bald erscheinen die Touristengruppen wie winzige Spielzeugpuppen und der Lärm der Restaurants und Cafes bleibt an den Anlegestellen zurück. Das gesamte Gebiet des Spreewalds ist Naturschutzgebiet und in der Liste des UNESCO Welterbes. Etwa 18.000 Tier- und Pflanzenarten existieren hier. Enten schwimmen vereinzelt um unseren Kahn. Das gleichmäßige Quaken wird über die Wasseroberfläche zu uns herüber getragen.

 

Eine Libelle schwebt mit hektischen, abgehackten Flügelschlägen in einem zackigen Muster wenige cm über den Wellen. Ihr bläulicher Insektenkörper schimmert bei jeder Bewegung im Sonnenlicht. Im nächsten Moment ist sie aus meinem Sichtkreis verschwunden und wird von der moorigen Landschaft verschluckt. Ein zierlicher Nutria spaziert über die Grasflächen am Spreeufer auf der Suche nach  Nahrung. Vereinzelt treiben Kähne aus dunklem Holz an den Böschungen. Einige sind vollkommen mit Wasser zugelaufen. Sanft schwappt das Wasser über die hölzernen Bohlen. Ein kleines Schild mitten im Nirgendwo zeigt an, dass unser Boot nun den Stadtteil Lehde passiert. Die ersten Häuser tauchen auf. Scharf zeichnen sich die Konturen der roten Backsteine gegen die umgebende grüne Natur ab. Die Briefkästen befinden sich oberhalb der Bootsanlegeplätze jedes Gebäudes direkt am Spreewasser. Von April bis Oktober wird die Post in Lehde auf dem Wasserweg zugestellt. Die Postzusteller nutzen dabei einen gelben Postkahn, der genau wie unserer mit einer Holzstange stakend fortbewegt wird. Die Abfallentsorgung durch die Müllabfuhr findet auf die gleiche Weise statt.  Im überschaubaren Dorf Lehde leben heute etwa 150 Menschen. Der gesamte Ort ist unter Denkmalschutz gestellt.

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Rote und gelbe Kajaks schwimmen an uns vorbei. Gleichmäßig tauchen die Insassen synchron die Paddel in das grün schimmernde Wasser. Unser Touristenboot legt am Gasthaus ‚Zum fröhlichen Hecht‘ an. Ich habe eine Stunde Zeit um mir den idyllischen Ort näher anzuschauen. Ein Großteil von Lehde ist heute eine Freilichtmuseum. 5 unbewohnte Bauernhöfe informieren im Museum über das Leben im Spreewald im 19. und 20. Jhd. Ende des 19. Jhds wohnten die Menschen auf den Höfen zusammen mit ihren Tieren und Kühen unter einem Dach. Weidehaltung war in diesem Gebiet nicht möglich. Die Rinder standen das ganze Jahr im Stall. Für die gesamte Familie gab es ein großes Bett. Alltägliche Arbeiten geschahen auf engstem Raum. Das ganze Dorf teilte sich einen Brotbackofen. Die Bewohner waren aufeinander und die gegenseitige Hilfe angewiesen. Oft wohnten mehrere Generationen unter einem Dach. Die Gemeinschaft, die man in der Familie heute oft vermisst, war damals selbstverständlich.

Die meisten Gegenstände des täglichen Bedarfs stellten die Menschen selbst her. Sie flochten Körbe aus Weidenblättern und angelten mit selbstgemachten Netzen Fische aus der Spree. Fisch war eine günstige Alternative zu Fleisch. Rindfleisch war sehr teuer und gab es daher nur an Festtagen zu essen. Anfang des 20. Jhds hatten die Einwohner schon mehr Platz im Haus. Für Tiere und Vieh gab es einen externen Stall. Ein Waschplatz im Freien gehörte auch zum Gutshof. Im Garten vor den Bauernhöfen wachsen heute noch Heilkräuter, Gemüse und bunte Blumen. Der würzige Duft riecht wie eine Tasse aromatischer Kräutertee. Das Gemüse aus dem Garten wurde in Essig eingelegt zur Haltbarmachung. Spreewälder Gewürzgurken sind in der Welt berühmt. Während die Gurken früher mehrere Wochen eingelegt wurden, kommen die Einmachgläser heute schon nach einem Tag in den Handel. Die Gewürze werden mit den geernteten Gurken in ein Glas gefüllt, mit Lake aufgefüllt und erhitzt. Die Gurkengläser werden verschlossen und können direkt ausgeliefert werden.

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Es wird Zeit zum ‚Fröhlichen Hecht‘ zurückzugehen. Ich spaziere über die schmale hölzerne Brücke. Erwartungsvoll stehe ich vor dem Gasthaus. Mein Boot ist nicht zu sehen. Ich bin 5 Minuten zu spät. Neugierig lege ich die Handfläche an die Stirn und spähe angestrengt auf die dunkelgrünen Wellen der Spree. Quälend langsam vergehen die Minuten. ‚Entschuldigung.‘ wende ich mich an den Bootsführer eines anderen Kahns. ‚Mein Boot ist wohl schon weg. Warten die Kahnführer denn nicht bis alle Gäste wieder da sind?‘ Unwillig sieht der Mann mich an. ‚Ich suche gerade auch zwei Gäste, die einfach nicht kommen. Wir fahren pünktlich nach einer Stunde ab. Flugzeuge und Busse warten ja auch nicht.‘ erklärt er mir barsch. Ärger auf die fehlenden Besucher schwingt bei jedem Wort in seiner Stimme mit. ‚Ich bin nur 5 Minuten zu spät.‘ verteidige ich mich. Einfach im Spreewald vergessen. Ungläubig blicke ich den vorbei schwimmenden Booten hinterher.

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Mir bleibt nichts anderes übrig als zu Fuß nach Lübbenau zurückzugehen. Hilflos spähe ich nach Hinweisschildern, welcher Weg denn nun zu wählen wäre. Entschlossen setzte ich einen Schritt vor den anderen und laufe los. Nach zehn Minuten stehe ich wieder am Gasthaus ‚Zum fröhlichen Hecht.‘ Ich bin im Kreis gegangen. Von hier aus starte ich den nächsten Versuch. Der Spaziergang ist einer der schönsten, die ich jemals gemacht habe. Aus den zierlichen Wasserwegen der Spree ragen Schilfhalme hervor. Ein leichter Wind weht über die moosgrüne  und kräuselt leichte Wellen in das undurchsichtige Wasser. Ungestüme Böen zausen plötzlich durch meine Haare und hinterlassen einen kühlen Kuss auf meinem Gesicht. Meine Schritte wirbeln das gefallene Laub auf den sandigen Pfaden auf und die bunte Blätterpracht ergießt sich in Rot- und Gelbtönen auf den feuchten Untergrund.

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Zurück in Lübbenau trinke ich im Gasthaus ‚Zum grünen Strand der Spree‘ entspannt ein Glas Wein. Die Ruhe dieses idyllischen Ortes ist auf angenehme Art ansteckend. ‚Wir haben nur noch kalte Platten.‘ informiert mich der Wirt. Mit kleinen Schlückchen nippe ich an meinem Glas. Es ist erst 20 Uhr und ich wundere mich, wo die Gäste bleiben. Ein Ehepaar steht auf und verlässt das Lokal. Ich bleibe allein zurück. Hinter der Theke fängt der Wirt an Gläser zu spülen. Über den unbesetzten Tischen wird das Licht gelöscht. Verwundert blicke ich auf. Das Restaurant kann doch um diese Uhrzeit nicht schließen. Tut es aber doch. Ich signalisiere der Bedienung, dass ich bezahlen möchte. Durch die dunklen Gassen entlang der Spree schlendere ich zu meiner Unterkunft. Ich ziehe die Jacke enger um mich und schiebe die Hände in die Seitentaschen. Ohne Sonne wird es in dieser Jahreszeit merklich kühl und durch die allgegenwärtige Feuchtigkeit auch klamm. Ich begegne keinem Passanten. Alle Restaurants und Cafes sind geschlossen. Durch die Fensterscheiben starre ich in vollkommene Dunkelheit. Die Stille des Ortes durchbricht kein Laut. Nur meine Schritte hallen gleichmäßig auf dem Kopfsteinpflaster. Die Isolation tut gut. Ich fühle mich wohl.

 


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