Weltreise an einem Tag

Fotos und Videos mit freundlicher Unterstützung von http://www.mallygrafie.de/

Nach mehr als 3 Stunden Zugfahrt stolpere ich auf den Gehsteig des Hauptbahnhofs von Gelsenkirchen. Mein kleiner Handgepäckkoffer poltert hinter mir her. Dreckige Luft umgibt mich, ein richtiger Smog. Planlos laufe ich aus dem Bahnhofsgebäude. Türkische Anwaltskanzleien, Supermärkte, Shiasabars, Schneider, Restaurants und Frisöre reihen sich aneinander. Gelsenkirchens Innenstadt ist fest in türkischer Hand. Passanten sprechen türkisch oder arabisch. Ich stehe im zutiefst orientalisch geprägten Stadtviertel des Ortes. Auf der Suche nach einem Frühstück in einem der Restaurants des Bahnhofsviertels beobachte ich die an mir vorbei eilenden Familien. Es scheint als würden sich die unterschiedlichen kulturellen Gruppen in dieser Stadt nicht vermischen. Früher war das sicher anders. Während der Produktion der Kohle- und Stahlindustrie waren die deutschen und ausländischen Arbeiter viel mehr aufeinander angewiesen. Seit die Fabriken still stehen gehen die verschiedenen Kulturen eher getrennte Wege. Vorbei ist die Zeit der Kumpel unter Tage.

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Vielmehr fühlt sich das Leben in der Stadt an wie ein nebeneinander Existieren. Ohne Berührungspunkte zum Anderen zu haben oder zu suchen. Die Wahlen im September brachten der AfD in dieser Stadt ein Wahlergebnis von 15,25. Um einiges höher als in den anderen Städten Deutschlands. Womöglich ein Ausdruck des Protests gegen Flüchtlinge und Ausländer. Mit rund 20 Prozent liegt der Ausländeranteil in Gelsenkirchen etwa doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt in Deutschland. Das Ruhrgebiet wächst schnell und dies multikulturell. Bei der aktuellen Bundestagswahl im Landkreis stürzte die SPD um 50% ab, die CDU bleibt immerhin stabil. Ein Trauerspiel der Politik. Wie in ganz Deutschland. Gelsenkirchen hat circa eine Einwohnerzahl von 250.000 Menschen. 2/3 davon sind Türken. Hier und in Duisburg findet man nach Berlin den höchsten türkischen Bevölkerungsanteil in Deutschland.

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Immer mehr junge Leute verlassen die Großstadt. Ein Drittel der Einwohner ist über 60 Jahre alt. Die Arbeitslosenquote ist so hoch wie man diese aus ostdeutschen Städten kennt. Gelsenkirchen, das hässliche Entlein des Ruhrgebiets. Entspannt falle ich auf einen der Plastikstühle in einem türkischen Cafe. Das Frühstück hier ist reichlich und kostet wenig. Eier, Feta, orientalischer Käse und gebratenes Fleisch soviel ich essen kann. Ich zahle nur 6 Euro. Für die angebotene Vielfalt ist dies fast nichts. Die Masse machts. ‚Teşekkür‘ stammle ich mit vollem Mund (Danke). Ich nicke der Servicekraft zufrieden zu. Wohlwollend lächelt mich die Bedienung an. Ein Interesse am fremden Gegenüber scheint sie nicht gewohnt zu sein. Bei den vielen Probleme der Ruhrregion bleibt dafür kein Platz: Arbeitslosigkeit, Bevölkerungsschwund, Wachstumsschwäche und ein miserables Image. Ich bin in einen komplett anderen Kulturkreis befördert ohne die Ländergrenzen zu überqueren. Aber ich fühle mich wohl.

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Vorsichtig trete ich aus der Straßenbahn. ‚Zoo‘ zeigt das Schild der Haltestelle. Der Eingang des Tierparks gibt einen sandigen Weg frei. Ich habe die Wahl einen von drei Kontinenten zu besuchen. Und dazu alle am selben Tag. Zögerlich entscheide ich mich für Asien. An einem Tag werde ich durch den ganzen Staat gelaufen. Verrückt! Meine perfekte Weltreise. Gemächlich schlendere ich an den Tieren des asiatischen Kontinents vorbei. Asiatische Tiger laufen nervös vor den Fensterscheiben der Gehege. Ihre Zähne sind gebleckt, sie riechen mein Fleisch. Ich bin ein wandelnder Leckerbissen. Nur dünne Glasscheibe trennt mich von den mächtigen Pranken der Tiere. Neugierig mustert mich eine Gruppe Orang-Utans. Die Gehege sind weitläufig und die Tiere machen einen gepflegten Eindruck. Zwischen Tempelruinen, Reisterrassen und mit Bambus bewachsenen Inseln erlebe ich ein Gefühl wie im Südostasienurlaub. Kleine Pandas wittern mit ihren spitzen Nasen unsicher in der Luft. Über hölzerne Stege tapse ich zum Ausgang.

Auf verschlungen Pfaden eine Reise um die Welt an einem Tag. Das hätte ich nie gedacht. Die nächsten Schritte bringen mich nach Afrika. Bedächtig setzte ich einen Fuß vor den anderen. Beeindruckt schlendere ich durch die weitläufigen Savannenlandschaften. Faul liegen die Löwen in der sanften Hügellandschaft. Ein durchgängiger Abenteuerpfad führt mich auf meiner Expedition vorbei an einer imposanten Seenlandschaft. Ich passiere alle 4 Vegetationszonen der Erde in einem einzigen Park. Zebras äsen friedlich zusammen mit Antilopen auf weitläufigen Grasfeldern. Auch hier sind die Gehege der Tiere dem Originallebensraum nachgeahmt. Vorbild des gesamten Zoos ist die natürliche Heimat seiner Tierbewohner. Ob Flussläufe, Seen oder Berge, an alle Landschaftsmodelle wurde gedacht. Auf einem sandigen Areal rupfen die langen Hälse der Giraffen geschickt grüne Blätter von den nahen Bäumen. Ein Erlebnis wie in der Serengeti Afrikas. Elefanten stapfen mit ihren massigen Füßen auf den Boden und wirbeln Staubwolken auf. Ihre Rüssel schwenken gleichmäßig hin und her. Darunter erscheint ein kleines Maul, wie zu einem freundlichen Lächeln verzogen.

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Nur ein paar Schritte von Afrika entfernt befindet sich schon der Eingang Alaskas. Ich spaziere am gestrandeten Skelett eines kanadischen Busses vorbei. Neugierig mustern mich die grasenden Elche. Die Vegetation ist deutlich verändert. Große Kiefern schützen den Lebensraum der Biber und Waschbären. Nadelwälder und schroffe Felsformationen prägen das Gesicht des gesamten Gebiets. An den steinigen Hängen schleichen graubraune Wölfe vorbei. Mit gespitzten Ohren folgen diese wachsam meinen Begegnungen. Über eine Hängebrücke gelange ich mitten in ein umfassendes Bergmassiv. Das Restaurant Alaska-Diner markiert den Übergang zur Polarregion. In dieser unberührten Flusslandschaft liegt eines der größten Raubtiere unserer Erde bequem auf den kühlenden Steinen im Wasser. Reglos sonnen sich Eisbären in den letzten Nachmittagsstrahlen. Leuchtende Lichtpunkte tanzen in einem wilden Muster auf dem schneeweißen Fell. Ein tosender Wasserfall stürzt in die Tiefe. In einem abgetrennten Becken tummeln sich muntere Seelöwen und flinke Pinguine im Wasser. In einem Glastunnel schwimmen diese über die Köpfe der Besucher hinweg. Einen artgerechten Zoo, wo die Tiere nicht hilflos und apathisch wirken und rein zur Schau der Besucher ausgestellt sind, gibt es wirklich. In Gelsenkirchen.

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