Chiles düstere Geschichte

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Mein Blick schweift über das bunte Häusermeer, das sich am Horizont in den dunkelblauen Tiefen des Pazifiks verliert. Vom Ufer stapeln sich die farbigen Gebäude bis in sagenhafte Höhen. Valparaiso liegt beschaulich an einen Berghang gebaut. Der Ort gehört schon lange zum UNESCO Weltkulturerbe. Nach der Hauptstadt Santiago ist dies die zweitgrößte Stadt des Landes. Künstlerische Gemälde zieren den kalte Stein der kargen Wände in den Seitenstraßen und vermitteln unterschwellige politische Botschaften. Die in die Jahre gekommene Hafenstadt hat viele raue und zwielichtige Ecken. Mit den altertümlichen Aufzügen, den ‚Ascensores‘ gelangt man für eine kleine Gebühr in die höher am Berg gebauten Stadtteile. Die meisten der Fahrstühle gibt es schon seit 1883. Sie sind also tatsächlich schon fast antik. Dazu passen die ungesunden, unangenehmen Geräusche während der Hochfahrt. Valparaiso war einst der unangefochtene Hafen Chiles als Zwischenstation für Schiffe, die über den Pazifik kamen.

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Mit dem ‚Ascensor Cordillera‘ schwebe ich in gemächlicher, wackliger Fahrt hinauf zum schönsten Aussichtspunkt der Stadt. Zufrieden schlendere ich in Richtung des kleinen Kunstmuseums, das eine ausladende Terrasse besitzt mit dem herrlichsten Ausblick über ganz Valparaiso. Die Sonnenstrahlen zeichnen tanzende, helle Punkte auf das Kopfsteinpflaster und es ist furchtbar heiß. Ich bemerke wie kleine Schweißperlen an meinem Hals hinabstreifen und spüre die Wucht, Kraft und Helligkeit der Mittagssonne auf meiner Stirn. Meine Wangen beginnen zu glühen. Vor dieser stehenden Hitze gibt es kein Entrinnen. Auch nicht in den höher gelegenen Stadtteilen. Ich bin zu weit vom Meer entfernt. Hier oben weht keine angenehm frische Brise. ‚Hallo. Kommen Sie mal her.‘ hektisch winkt ein alter Mann mich zu sich heran. Er belehrt mich eindringlich mit zur Warnung starr erhobenem Zeigefinger. Seine rechte Hand wedelt vor meinem Gesicht hin und her. ‚Das ist ein gefährliches Gebiet, sehr gefährlich!‘ der Blick aus seinen aufgerissenen Augen ist eindringlich. Er ergreift meine Hand. ‚Wollen Sie in das Museum dort drüben?‘ fragt er bestimmt. Ich nicke stumm. Solch einen einschüchternden Empfang hatte ich nicht erwartet. ‚Gehen Sie nicht weiter. Nur ins Museum und sofort wieder hinab in die Innenstadt.‘ streng und bewegungslos sieht mich der alte Herr an. ‚Ist gut.‘ erwidere ich mulmig und schiele auf seine Finger. Er lässt meinen Arm los und verabschiedet sich. ‚Nur nicht weiter in das Viertel hinein gehen.‘ ruft er mir laut hinterher.

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Ich spaziere zum Museum. Der Ausblick ist grandios. Die bunten Häuser verschmelzen zu einer Farbpalette, die sich durch die einfallenden Sonnenstrahlen und wechselnden Schatten immer wieder ändert. Alle Farben des Regenbogens erkenne ich. Ich entdecke sogar pastellfarbene Behausungen . Ich blicke auf ein stetig rotierendes Kaleidoskop aus bunten Schattierungen. Der hell leuchtende Himmel taucht die Straßenzüge zusätzlich  in gleisendes Licht und lässt auf den Hausfassaden helle Schattenmuster tanzen. Beim Verlassen des Museums kann ich nicht widerstehen. Ich spähe um die nächste Straßenecke zu den schön gemalten Wandbildern hin. Ich kann niemand gefährlichen bemerken und knipse einige der kunstvollen Gemälde. Die Worte des Chilenen waren allerdings zu eindringlich, um mich weiter in die beschaulichen Gassen zu treiben. Auf dem Absatz mache ich Halt und  kehre um ohne mich ein zweites Mal umzusehen. Ich schlendere weiter zum Haus Pablo Nerudas. Die Wohnung des chilenischen Dichters und Schriftstellers wirkt wie gerade erst verlassen. Nach dem ersten Weltkrieg ging Neruda den Präsidenten Chiles berechtigter Weise öffentlich negativ an. Er unterstellte dieser würde die Armut des Landes nicht bekämpfen wollen. Er hätte lieber dass einige wenige den kompletten Reichtum des Landes unter sich hätten. Neruda wurde daraufhin verfolgt und entkam im letzten Moment dem Haftbefehl. Er flüchtete aus Santiago und wechselte permanent seinen Wohnort um nicht gefasst zu werden.

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Pablo Neruda ist vor allem für die einfache Bevölkerung Chiles so etwas wie ein Nationalheld. Er vertrat seine Meinung jederzeit offen und ehrlich und setzte sich in seinen Reden für die ärmere Bevölkerungsschicht des Landes ein. Dafür wurde er von der Regierung verfolgt. Er flüchtete nach Paris und trat weltweit bei Friedenstagungen und politischen Debatten als Redner auf. 1950 erhielt er zusammen mit seinem Freund Pablo Picasso den Friedenspreis des Weltfriedenskongresses. Daraufhin erbarmte sich die chilenische Regierung und Neruda durfte in sein Heimatland zurückkehren. Sein ganzes Leben setzte er sich gegen den Faschismus in Chile ein. 1973 erlag der Friedenskämpfer offiziell einem Krebsleiden. Neuere Untersuchungen belegen jedoch, dass der Schriftsteller vergiftet worden war. Zwölf Tage vor dem Tod Nerudas hatte General Augusto Pinochet den derzeitigen Präsidenten Chiles namens Salvador Allende gestürzt. Dieser war ein enger Freund Pablos und so wurde der Dichter und Schriftsteller in kürzester Zeit zum Staatsfeind. Der neue Machthabe errichtete eine Diktatur, in der er Sympathisanten der demokratischen Regierung verfolgen und ermorden ließ.

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Neruda wollte wenige Tage vor seinem Tod nach Mexiko reisen, um von dort aus den Widerstand gegen die Militärherrschaft zu organisieren. Dass die chilenische Militärdiktatur gnadenlose prominente Gegner ermorden ließ ist bekannt. Man verabreichte Pablo eine tödlichen Giftspritze, an der er innerhalb von 6h starb. Seine Beerdigung geriet zu einem Protestkundgebung gegen das amtierende diktatorische System. Neruda ist der meistgelesene chilenische Autor. Als ‚Dichter der verletzten Menschenwürde‘ erhielt er 1971 den Literaturnobelpreis.’Für eine Poesie, die mit der Wirkung einer Naturkraft Schicksal und Träume eines Kontinents lebendig macht.‘ so lautet die Begründung. Ich bewundere Menschen, die ihr Leben geben um für Andere eine Besserung der Lebensumstände zu erreichen. Ist dies doch ein Engagement welches bleibt. Ich weiß nicht, ob ich so mutig wäre mein Leben für Fremde oder mein Land herzugeben. Den letzten Atemzug für eine Änderung zu geben, die man selbst nicht erleben wird. Vielleicht sogar ohne Furcht. Aber wie sagte Chiles berühmtester Dichter? ‚Ich bekenne, ich habe gelebt.‘ Und in Gedanken der Menschen ist er immer noch lebendig.

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