Die massive Türpforte öffnet sich schwerfällig. Verdutzt blickt mich der junge Chilene an. ‚Guten Tag.‘ sagt er zögerlich. ‚Hallo, ich würde gern eine Führung durch die Vina machen.‘ erkläre ich mit Begeisterung in den Augen und einem erwartungsvollen Lächeln im Gesicht. Santiagos am zentralsten gelegenes Weingut gibt es bereits seit 1875. Die historischen Gebäude sind alle noch instand und original. Im Rahmen einer Führung kann man diese besichtigen. ‚Unser Guide, der den englischsprachigen Besuchern alles zeigt, ist derzeit krank.‘ entschuldigt zuckt der Winzer die Achseln. ‚Für die Führungen muss man sich eigentlich anmelden.‘ erklärt er mir dann zögerlich und unschlüssig. Achso. Daran hatte ich nicht gedacht, obwohl das natürlich logisch ist. Enttäuschung breitet sich auf meinem Gesicht aus. Meine Schultern fallen betrübt nach unten. Ich nahm an, Chile als bekanntes Land des Weinanbaus hätte immer geöffnete Weinkeller. Mein Gesichtsausdruck verfehlt seine Wirkung nicht. ‚In einer halben Stunde kommt ein guter Kunde, der Wein kaufen möchte. Aber bis dahin kann ich Ihnen gern alles zeigen.‘ mit einer einladenden Handbewegung tritt der junge Mann beiseite und öffnet vollends die Tür. Ich schlüpfe hinein.
Die Gebäude sind wunderschön um einen weitläufigen Innenhof angelegt, der einer kleinen Parkanlage ähnelt. ‚Wir sind Teil einer der führenden Weinkooperationen in Chile. Seit 1974 ist unser Weingut im Besitz der Larraín-Familie seit 1974. Bestehen tut es schon seit über 140 Jahren. Wir sind eine der ältesten Winzereien Chiles. Pro Jahr verkaufen wir 25 Millionen Flaschen Wein in allen Preislagen. Das Magazin ‚Wine Enthusiast‘ hat uns zum besten Weingut weltweit gewählt.‘ er ist sichtlich stolz über den Preis und die langjährige Tradition des Weinkellers. Ich bin beeindruckt. In den riesigen Kellern lagern Holzfässer voller Wein, die bis zur Decke reichen. Die Zeit steht in diesen Mauern absolut still und verströmt den ruhigen Charme der Kolonialzeit. In den Seminarräumen befinden sich immer noch die Originalmöbel aus früheren Tagen. Das dunkle Holz wirkt massiv und antik. Dazu passen die Sitzüberzüge aus braunem Glattleder perfekt.
In den Weinbergen rund um Santiago reifen die Trauben für die guten Weiß-, Rose- und Rotweine. Das Klima hier ist das ganze Jahr mild und bietet gute Voraussetzungen für den Anbau der fruchtigen Rebsorten. Durch die Andenschneeschmelze werden die Böden im Frühling zusätzlich bewässert und erhalten einen Wachstumsschub. Nach meiner kurzen Privatführung besichtige ich den Verkaufsraum des Guts. Alle Weine sind sehr gut und werden zu einem angenehmen Preis angeboten. Als Liebhaber der edlen Tropfen bin ich hier in meinem Element. Am besten schmeckt der Chardonnay. Weinanbau hat in Chile eine lange Tradition. Im Maipo Tal in der Nähe der Hauptstadt Santiago hat er seinen Anfang genommen. Bis heute ist dies die bekannteste Weinregion des Landes.
Am Nachmittag begebe ich mich auf eine Tour in die Anden. Weiß glitzert der Schnee auf den Berghängen. Die vom Eis reflektierten Strahlen der Sonne blenden mich mit ihrem glitzernden Licht. Ein paar Brasilianer aus unserer Reisegruppe haben noch nie Schnee gesehen und stapfen begeistert mit ihren sommerlichen Schuhen in das kühle Weiß. Ihr Blick erinnert an kleine Kinder, die ihr erstes Weihnachten erleben. Die umgebenden Schneemassen in dieser Höhe sind auf jeden Fall beeindruckend. Der Blick auf die gebirgigen Käme durchzogen von den glitzernden Pulverschneegürteln bannt und fasziniert mich. Die Szenerie ist unglaublich schön. Ich stehe auf der größten Gebirgskette der Erde. An der Westküste Südamerikas erstrecken sich die Anden über 7500m.
Skifahrer ziehen ihre gleichmäßigen Runden die Berghänge hinab. Chiles Skigebiete müssen den Vergleich mit der Schweiz und Österreich nicht scheuen. Günstiger als in Europa ist ein Winterurlaub hier auch nicht. Die Anden werden von Nobelresorts regiert. Im Allgemeinen verbringt hier die wohlhabende Oberschicht aus Argentinien und Brasilien ihre freien Tage. Ich stakse durch den Schnee. Meine Sohlen rutschen auf dem eisigen Untergrund ständig weg. Langsam und vorsichtig tapse ich vorwärts. Der Aufstieg zur nächsten Anhöhe ist durch die vielen winzigen Schritte eine Plackerei. Die Anstrengung lohnt sich. Der Überblick über die Anden ist atemberaubend und respekteinflößend. Der Sauerstoff ist dünn in dieser Höhe. Ich schnappte nach Luft.
Still genieße ich den Ausblick auf die majestätischen Konturen der Bergspitzen. Durchsetzt werden die felsigen Hänge von den winzigen Punkten der Miniaturskifahrer. Der gerade einsetzende Schneefall sprenkelt die Umgebung wie ein dünner Zuckerguss mit glitzerndem Weiß. Wie klein ich mich beim Anblick der über Jahrtausende geformten Natur fühle. Praktisch nicht existent. Erfurchtsvoll betrachte ich die in einen eisigen Mantel gehüllte Landschaft. Zufrieden recke ich mein Gesicht in die Wintersonne und spüre die Wärme auf den Wangen. Wieso nehmen wir Menschen uns eigentlich so wichtig? Was ist schon die Dauer eines Menschenlebens gemessen an der Lebensdauer unseres Planeten. Und wenn es mich eines Tages nicht mehr gibt? Die Erde wird sich trotzdem weiter drehen. Dann interessiert es die Natur auch nicht.