Tanz auf dem Vulkan

Osorno 1

Meine Beine baumeln über dem Abgrund in etwa 30m Höhe. An einem wackeligen Seil schwankt der altertümliche Sessellift nach oben. Gelegentlich fährt das Seil über verrostete Rollen am Kopf der Metallstützen, an denen der gesamte Lift hängt. Der Bügel meines Sitzes wird dann leicht hoch gezogen, nur um sogleich mit einem schwerfälligen Knirschen wieder auf dem gespannten Seil zu landen. Ich klammere mich an das vergilbte Metall und schließe sämtliche Taschen. Meine Fingerknöchel treten weiß hervor, so krampfhaft ist der Griff. Dies ist meine letzte Fahrt. Ich bin mir sicher. Immerhin geht diese auf den Volkan Osorno und nicht zur Arbeit oder zum Supermarkt. Sollte ich wieder Erwarten doch heil am Fuße des Aufstiegs zum Gipfel ankommen, hoffe ich jemand hilft mir meine verkrampfte Haltung zu lösen. Sonst werde ich auf ewig in dieser sitzenden Position bleiben. Die weiße mit erkalteter Asche bedeckte Spitze des Gipfels kommt immer näher. Unter mir liegt verloren in der grauen Kälte am schroffen Felsen des Gebirgshangs ein Kinderschlitten.

Osorno 3

Osorno 2

Je höher die Sessellifte aufsteigen, umso mehr nimmt der frische Wind zu. Ich fröstele und ziehe den Reißverschluss meiner Jacke zu. Mein Atem gefriert vor meinem Gesicht zu einem sichtbaren weißen Nebelhauch. Kurz steht dieser in der Luft bevor er verblasst und in der grauen Tristesse der Umgebung verweht. Mein Kopf dreht sich. Ich blicke zurück in die Tiefe. Das schwarze Wasser des Llanquihue-Sees reflektiert die dunklen Wolken, die sich über den Wellen zusammenbrauen. Der Vulkan Osorno ist über 2.500m hoch. Leider kann man nur 1300 Meter auf einer asphaltierten Straße fahren. Die Hälfte der Strecke legt man in einer marode wirkenden Seilbahn zurück. Über 150 Jahre ist der Vulkan nicht ausgebrochen. Die letzte Eruption war 1869. Er ist Teil einer langgezogenen Vulkankette, deren Magmakammern jedoch nicht miteinander verbunden sind. Der Hauptkrater hat einen Durchmesser von etwa 250 Meter. Inzwischen sind die 18 über den Vulkanberg verteilten Krater erloschen.

Osorno 6

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Ganz anders der benachbarte Vulkan Calbuco, der heute noch aktiv ist. Insgesamt sind zwölf Ausbrüche dokumentiert. Der bekannteste ist jener von 1835, den Charles Darwin in seinem Buch „Die Fahrt der Beagle“ beschrieben hat. Durch die Vulkanausbrüche wurde die Landschaft um den Osorno in den letzten Jahrtausenden verändert. Die beiden an seinem Fuße liegenden Seen Lago Llanquihue und Lago Todos los Santos waren früher ein einziger großer See und wurden erst durch einen Lavastrom des Vulkans getrennt. Ich stapfe durch die kalte Asche. Es ist mehr ein Tänzeln. Ständig rutschen die Sohlen meiner Schuhe weg. Windböen fahren schwungvoll in meine Jacke. Die Kraft des Windes ist so heftig, dass ich still stehe und versuche das Gleichgewicht zu halten. Wo keine graue Asche liegt, beginnt der strahlend weiße Schnee. In Chiles Skigebiet ist es Winter und an den Hängen ziehen Skifahrer ihre Runden. Elegant gleiten diese durch den pulvrigen Schnee und reflektieren die helle, glänzende Höhensonne in den schimmernden Gläsern ihrer schicken Brillen.

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Mein plumpen Tapsversuche auf dem schmalen Pfad Richtung Vulkangipfel  stehen dazu im lächerlichem Kontrast. Allerdings schaffe ich es durch meine vorsichtigen, rutschenden Schritte tatsächlich zum Ende des Weges, von dem man einen guten Ausblick auf die aschebedeckte Spitze hat. Zurück habe ich nicht soviel Glück. Ein Windstoß bringt mich unsicher ins Wanken. Meine Turnschuhe finden keinen Halt und ich segle plump und behäbig zu Boden. Mit der rechten Hand kann ich mich noch abfangen. Dann lande ich mit dem Po im grauen Sand der Asche. Ich recke mein Gesicht in den aufkommenden Wind und ziehe die Kapuze meiner Jacke nach oben. Mein Blick fällt auf die Bergspitze. Ich hatte meine erste Vulkanbesteigung geschafft. Die Strahlen der Nachmittagssonne malen helle, wärmende Muster auf mein Gesicht. Es ist kalt. Der kühle Wind bläst schwungvoll um meine Nase. Mit der maroden Seilbahn beginnt die erbärmliche Fahrt ins Tal. Schnell und entschlossen schließe ich beide Augen. Auch wenn ich meine Fingernägel am Ende der Schreckensfahrt aus dem Plastik des Metallbügels pulen muss. Dieses Erlebnis ist es wert. Ich war zum ersten Mal auf einem Vulkan.


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