Seit heute Morgen ist mein Handy völlig unbrauchbar. Die ominösen Anrufer mitten in der Nacht hatten wohl versucht mein Handy zu hacken. Mürrisch drücke ich den Knopf um alles auf Werkseinstellung zurück zu setzen. Alle Telefonnummern sind weg. Die Internetverbindung des Hotels in Asuncion war nicht sicher. Ungeduldig blicke ich über die Schulter. Ich warte in einer kleinen Gruppe auf unseren Reiseführer. Obwohl das frühere Armenviertel La Boca heute sehr touristisch und zumindest tagsüber nicht mehr gefährlich ist, hatte ich mich lieber einer offiziellen Führung angeschlossen. Der bunte Stadtteil von Buenos Aires wurde von italienischen Arbeitern gegründet. Die Einwohner nutzen das intakte Blech schrottreifer Schiffe zum Bau ihrer Häuser. Mit buntem Schiffslack bemalt leuchten die verschiedenen Behausungen in der Farbpalette eines Regenbogens. Die farbenfrohen Gebäude verströmen automatisch gute Laune. Von den Balkonen winken bunte Plastikstatuen wie z.B. Madonna und das Präsidentenpaar Eva und Juan Peron. Auf den Gehwegen preisen Künstler und Handwerker ihre schön gearbeiteten Kreationen an. Der schmale Fußgängerweg an den Ständen vorbei heißt ‚El Caminito‘. Ein junges Pärchen gibt am Ende des Weges eine Tangodarbietung.
Argentinien ist die Wiege des Tangotanzes. In Buenos Aires entwickelte sich der Tanz in den Bordellen der ärmeren Wohnviertel wie z.B. La Boca. Der Stadtteil ist absolut kein wohlhabendes Gebiet. Vor den fröhlichen Farben der Häuser zieht träge der Fluss Riachuelo dahin, in den die meisten Abfälle geleitet werden. Er gilt als der am stärksten verschmutzte Strom Argentiniens. Baden ist wegen des dreckigen Wassers nicht möglich und es gab auch schon Todersfälle wegen der giftigen Stoffe. Die Armut ist abseits der sauberen Straßen mit den geschäftigen Händlern schnell spürbar. An der nächsten Ecke können sich Obdachlose in einer Sozialstation satt essen. In den Ausläufern des Stadions des berühmten Fußballclubs ‚La Boca‘ liegen die Landstreicher auf dem kalten Boden. Ihre Habseligkeiten sind in Supermarkttüten gestopft und total überschaubar. Buenos Aires ist völlig überlaufen. Es gibt zu viele Autos, Menschen und Hochhäuser. Durch die vielen Wolkenkratzer in der Innenstadt weht keine frische Brise, die Luft steht in den Straßen.
Dennoch ist die Stadt wunderschön. Die Häuser der Innenstadt rund um die Avenida de Mayo sind reich mit Art-Deco Elementen verziert und an den Verkehrslärm gewöhnt man sich schnell. Viele Grünflächen gibt es in der Hauptstadt Argentiniens nicht. Dichter Smog zieht sich daher ohne natürlichen Ausgleich durch Parks und Wiesen über dem Stadtgebiet zusammen. Am Nachmittag besuche ich das Grab von Eva Peron auf dem Friedhof Recoletta. Sie war die zweite Frau des argentinischen Präsidenten Juan Peron. Die junge Frau arbeitete als Radiomoderatorin und traf ihren Ehemann bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung. Sie unterstützte Juan Peron massiv im Präsidentschaftswahlkampf 1946. In ihrer wöchentlichen Radiosendung hielt sie Reden, in denen sie die Armen aufforderte, ihren Ehemann zu unterstützen. Sie betonte immer wieder ihr Aufwachsen in Armut, damit sich der ärmere Anteil der Bevölkerung mit ihr identifizieren konnte. Peron gewann die Präsidentschaftswahl und seine Frau setzte sich verstärkt für die sozial schwächer gestellte Arbeiterklasse ein. Auf diesem Weg wurde sie zur Volksheldin der Unterschichten. Von der reichen Oberschicht wurde Eva Peron dafür gehasst. Auch weil sie aus sehr ärmlichen Verhältnissen kam.
Obwohl die Frauen in Argentinien zu diesem Zeitpunkt noch nicht wählen durften brachte sich Eva verstärkt aktiv in die Politik ein. Sie verteilte an Bedürftige Geschenke und gründete eine wohltätige Stiftung. In Argentiniens Politik existierten Frauen überhaupt nicht. Bis Eva Peron ihren Mann derart beeinflusste, dass er Frauen das Wahlrecht einräumte. Mit 33 Jahren starb die Präsidentengattin an Gebärmutterhalskrebs. Die junge Frau wurde im Familiengrab ihrer Eltern, der Duartes beigesetzt. Sie ist bis heute eine Legende geblieben und gilt als die größte Wohltäterin der argentinischen Nation. Eva Peron flößt auch mir durch ihr selbstloses Handeln Respekt ein. In ihrem kurzen Leben hat sie es geschafft einen deutlichen Mehrwert für ihr Heimatland zu schaffen. Sie ist den Menschen trotz der kurzen Zeit in der sie etwas verändert hat bis heute im Gedächtnis geblieben. Dazu muss man sicher nicht in der Politik mitmischen wie Evita. Etwas besser machen kann jeder auch schon im kleinen Umkreis. Oder zumindest die Lebensumstände für andere nicht verschlechtern. Gegenseitigen Respekt und Toleranz erwarte ich von meinen Mitmenschen und bringe diesen das auch entgegen. Jeder kann nach der Philosophie von Eva Peron leben. Nur wünschenswerter Weise etwas länger.