Warten auf 4 Cent

Ich sitze im Schnellzug von Ljubljana nach Zagreb. Schnellzug bedeutet laut Reiseplan eigentlich 2,5 Stunden für 120 Km. Diese Zeit ist schon um und wir sind erst an der kroatischen Grenze. Zollbeamte mit gebräunten Teint und in grüngrauer Uniform führen ihre Schäferhunde auf der Suche nach illegalen Waren durch den Zug. Der Zwischenstop fühlt sich endlos an. Einer der Hund schnuppert an meinem Fuss, sein Halter zieht ihn weg. Nervös rutsche ich zur Seite. Endlich fährt die Bahn weiter und mit einem sonoren, blechernen Rattern ziehen die Stahlräder auf den Eisenschienen weiter Richtung Kroatien. Für den Tagesausflug hatte ich keine Kuna umgetauscht. Eintrittsgelder konnte man in der Hauptstadt Kroatiens sicher mit der Kreditkarte zahlen, ebenso wie ein Restaurant. Zagreb lässt sich ab dem Hauptbahnhof sehr gut zu Fuss erkunden.

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Ich laufe durch die längste Straße der Hauptstadt, die Ilica. Die endlose Einkaufsstraße bietet wirklich alles, hauptsächlich für Frauen. Die männlichen Begleitungen unterhalten sich in den vielen sonnenbeschienenen Straßencafes und sitzen den Shoppingwahn ihrer Freundinnen und Ehefrauen mit einer gemütlichen Tasse Kaffee aus. Das Stadtbild zeigt viele schöne Gebäude, wie um den Hauptplatz Trg Ban-Jelačić. Von hier führt ein schöner Spaziergang den Berg hinan durch die Oberstadt. Wahrzeichen der zentralen Gornji Grad ist die Markuskirche mit dem bunten Dach auf dem Markusplatz. Gemütlich schlendere ich an der Kathedrale vorbei. Wie früher als Kind hüpfe ich über das Kopfsteinpflaster. Immer von Stein zu Stein springend. Die Strahlen der Sommersonne zeichnen warme Lichtkringel auf meiner Haut, die zum Boden gleiten und auf dem Gehsteig weiter tanzen. Bis der Schatten der nächsten Häuserecke sie verschluckt.

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Langsam führt der Weg bergab wieder zum Herz der Unterstadt Zagrebs hin. Dieser endet am nach dem ersten kroatischen König ernannten Tomislav Platz. Durch den gepflegten Rasen, die symmetrischen Blumenbeete und die Alleen aus den blühenden Bäumen fühlt man sich auf dem weitläufigen Areal eher wie in einem Park. Unter dem Platz befindet sich eine riesige Einkaufspassage, die immer neue Passantenschwärme an die Oberfläche drückt. Um die Zeit bis zur Abfahrt meines Zuges nach Llubljana zu überbrücken, lasse ich mich an den bunten Läden vorbei treiben. Mehr Nützliches als in der Ilica am Vormittag gibt es hier nicht. Die Armut der Menschen ist in Kroatien immer sicht- und spürbar. Es vergeht keine Stunde, ohne dass ich jemanden sehe, der in einer Mülltonne wühlt.

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Nicht nur Obdachlose, sondern auch ganz passabel gekleidete Menschen: Rentner, Frauen und Männer im mittleren Alter. Sie verdienen mit dem Sammeln von Plastikflaschen ihren Lebensunterhalt. 20 Prozent der Kroaten sind arbeitslos, jeder fünfte ist armutsgefährdet. Ein Lebensstandard am Minimum. Mit 1,2 Millionen Menschen im Ruhestand übersteigt diese Zahl fast die der arbeitenden Bevölkerung. Viele Pensionäre versorgen von ihren geringen Renten oft noch ihre erwachsenen Kinder, die arbeitslos geworden sind. Sparen um zu Überleben. Doch wie soll das mit so wenig Geld gehen? Ich fühle vor allem mit den alten Menschen, die nicht mehr arbeiten können.Immer mehr greift die Armut um sich. Die Renten will die Regierung allerdings zum Glück nicht mehr weiter kürzen. Ich werde, wenn ich alt bin eine Rente bekommen, die mir einen guten durchschnittlichen Lebensstandard sichert. Zumindest hoffe ich das. Sicher bin ich mir nicht. Die Rentengelder gehen ja auch in Deutschland immer mehr zurück. Das Geld fehlt.

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Der Weg zum Bahnhof ist nicht weit. Ich suche die öffentlichen Toiletten. Ich hatte den ganzen Tag mit der Kreditkarte bezahlt und bin gut zurecht gekommen. Schnell witsche ich durch die Tür an der Toilettenfrau vorbei. Gleich darauf will ich so auch wieder hinaus. Wirsch werde ich am Arm gepackt und zucke zusammen. Ein mahnender Finger an geballter Hand erhebt sich und deutet auf ein kleines handgezeichnetes Papierschild an der Wand. 30 Kuna entziffere ich, das sind umgerechnet etwa 4 Cent. Erschrocken sehe ich die Frau an, ich habe ja keine Landeswährung. ‚Ich habe nur Euro bei mir.‘ entschuldige ich mich. ‚Ich mache nur einen Tagesausflug und fahre in einer Stunde wieder nach Ljubljana zurück.‘ ‚Euro würde auch gehen.‘ schlägt die Toilettenlady mit mürrischem Gesichtsausdruck vor. Erleichtert reiche ich ihr zehn Euro und reiße den Schein sofort wieder an mich. Ungläubig und verdutzt blickt die Frau mich an. Sie will mir das Wechselgeld in Kuna geben. ‚Also das sehe ich nicht ein.‘ verkünde ich trotzig ‚ich fahre in einer Stunde wieder zurück, ich kann das Geld nicht mehr ausgeben.‘ Mein zehn Euroschein verschwindet wieder in meinem Portemonnaie.

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Wieder ernte ich auf meine Aussage einen finsteren Blick. Ich verstehe die Frau und will auch nicht die Toilettenzeche prellen. Aber das Geld kann ich nun wirklich nicht mehr verbrauchen und wegen 4 Cent erscheint mir der ganze Aufstand auch ein Witz. ‚Gut dann warten wir auf deinen Reisepartner.‘ stur verschränkt die Frau beide Arme vor der Brust. ‚Es wird keiner kommen, ich bin allein unterwegs.‘ hilflos erläutere ich meinen Standpunkt. Die Dame schüttelt den Kopf. Der Gedanke an eine allein reisende Frau überzeugt sie nicht. In Kroatien ist dies wahrscheinlich auch nicht unbedingt üblich. ‚Gut.‘ zeige ich mein Einverständnis ‚es wird nur niemand kommen, der an meiner Stelle bezahlen kann. Ich hab ja noch Zeit bis der Zug geht.‘ Also stehen wir wegen 4 Cent vor der Bahnhofstoilette und warten auf meinen imaginären Reisepartner. Und warten. Und warten. Nervös knete ich meine Finger, die Abfahrt meines Zuges rückt in spürbare Nähe. Plötzlich hebt mein Gegenüber die Hand und winkt ab. Sie hat wohl eingesehen, das niemand kommen wird. Abrupt dreht sie sich um und wackelt schnellen Schrittes in Richtung Toilette davon. Flink sprinte ich zum Gleis und ziehe die Zugtür auf. Schon bin ich weg.

 


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