Ein Mix aus Freizeitpark und Zoo

Meine Schwester blättert im Prospekt des Steinwasenpark im Schwarzwald. ‚Ob das so klappt mit Mama.‘ schelmisch blitzen ihre grünen Augen mich an. ‚Wir sind mit ihr schon mal auf einer Sommerrodelbahn gefahren. Als wir unten waren haben wir ewig auf sie gewartet. Aus lauter Angst vor der Abfahrt und Schnelligkeit hat sie so stark gebremst, dass der Rodelbob kaum vorwärts schlich.‘ Bei der Vorstellung grinsen wir beide. ‚Zwei kleine Kinder hat sie völlig ausgebremst. Die haben noch gerufen ‚Oma, mach mal.‘ Meine Mutter ist wir im Juni 67 Jahre alt geworden und daher etwas vorsichtiger unterwegs. Wir werden sehen, was der Tag bringt. Dieses Wochenende löst meine Familie mein Weihnachtsgeschenk ein. Ich habe für ein Wochenende eine Ferienwohnung auf einem Bauernhof im Schwarzwald gemietet. Auf dem höchst gelegenen Punkt von Oberried hatten wir uns in völliger Ruhe der Natur und umgeben von ländlicher Idylle ausschlafen können. Jetzt sitzen wir beim Frühstück. Als ich am Tisch Platz nehme beugt sich mein Kopf nach vorne. Im gleichen Moment reicht meine Schwester die Kaffeekanne zu meiner Mutter hinüber. Diese landet mit einem dumpfen Klong an meiner Stirn. ‚Hilfe. Das ist ein Anschlag auf mein Leben.‘ vorwurfsvoll und skeptisch sehe ich meine Schwester an. Mein Blick begegnet ihrem lächelnden Gesicht ‚Du hast die Unterkunft doch schon komplett bezahlt oder?‘

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Heute besuchen wir gemeinsam den Steinwasenpark. Über einen ganzen Berghang verteilt bildet der Wildpark einen Mix aus Tiergehegen und Fahrgeschäften für die ganze Familie. Hauptsächlich verschiedene Bobbahnen. Der Freizeitpark ist von unserer Ferienwohnung aus mit dem Auto in zehn Minuten zu erreichen. ‚Oh guckt mal ein Fixbus.‘ strahlt meine Mutter begeistert. Der quietschgrüne Bus zieht an unserem Autofenster vorbei. ‚Flixbus Mama.‘ korrigiere ich. Die Lage des schönen Parkgeländes begeistert uns alle. Zu beiden Seiten von dunkelgrünen Tannenhängen gerahmt eröffnet sich eine malerische Szenerie. Gleich neben dem Parkeingang befindet sich ein 4D Kino mit beweglichen Sitzen. Auf einer großen Leinwand fahren wir in einem kleinen Minenwagen durch ein unterirdisches Höhlensystem. Wir springen über Abgründe und rasen durch Lavaströme, unsere Sitze bewegen sich zum Film passend mit. Leider gibt es keine Brille, was dem ganzen ein gutes Stück an Echtheit nimmt. Als wir in unserer Draisine einen Wasserfall hinab stürzen besprüht uns von Oben ein feiner Wassernebel. Kleine Tropfen rieseln auf unser Gesicht und unsere Jacken und überziehen uns mit einem leichten Regenfilm.

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Nach dem Kinobesuch setzen wir uns in die Coasterbahn, eine Sommerrodelbahn im Freien. Meine Schwester fährt mit ihrem Freund, meine Mutter und ich fahren allein. Ich drücke die Hebel für die Geschwindigkeitsregulierung komplett durch und schaffe es immerhin auf 40 Km/h. Die Schnelligkeit wird zusammen mit einem persönlichen Schnappschuss durch Kameras auf der Rodelstrecke auf kleinen Bildschirmen am Ausgang angezeigt. Meine Mutter fährt etwa 35 Km/h. Sie hat auf ihrem Foto die Augen zu und den Mund zusammen gekniffen. Durch die Geschwindigkeit zieht die Haut ihrer Wangen stark zurück zu ihren Ohren. Sie sieht nicht aus, als hätte sie die Fahrt genossen. Im Ziel angekommen erfolgt der nächste Schreck. Ihr Sicherheitsgurt lässt sich nicht öffnen. Immer wieder drücke ich auf den Knopf des Verschlusses. ‚Hilfe, ich will raus.‘ jammert meine Mutter aus lauter Verzweiflung nochmal fahren zu müssen. Endlich öffnet sich der Gurt. Der Bob hatte die Lichtschranke zur Entriegelung noch nicht passiert. Der Freund meiner Schwester hilft ihr aus dem tiefliegenden Fahrzeug und mit wackeligen Beinen tapst sie aus dem Fahrgeschäft.

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In der nächsten Bobbahn dem Spacerunner will meine Mutter mit mir in ein Fahrzeug. Als sie sich vor mich setzt wird schnell klar, dass der kleine Rodelschlitten nicht für zwei Erwachsene gemacht ist. ‚Funktioniert nicht Mama, Du musst wieder raus.‘ Hinter uns stapeln sich schon die nächsten Waggons. Meine Mutter setzt den rechten Fuß aus dem Gefährt und rudert hilflos mit den Armen. Der Bob liegt zu tief, verzweifelt versucht sie sich hoch zu ziehen. ‚Hilfe.‘ murmelt sie und ich drücke so fest ich kann ihren Hintern nach oben. Ein junger Mann aus dem Publikum vor uns reagiert und zieht meine Mutter am rechten Arm nach vorne. Als sie wieder steht hat sie endgültig genug. Verständlicherweise. ‚Ich warte draußen.‘ verkündet sie und läuft peinlich berührt weg. Ich fahre los. Der Spacerunner ist klasse. Zweimal beschleunigt der Bob so schnell, dass mir durch die Geschwindigkeit die Tränen aus den Augen fließen. Das können wir meiner Mutter eigentlich nicht vorenthalten.

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‚Komm schon.‘ meint der Freund meiner Schwester zu Mama. ‚Wir fahren voraus und helfen Dir dann aus dem Wagen.‘ ‚ Ich fahre hinterher.‘ füge ich hinzu. Fast wie ein Escortservice nehmen wir meine Mutter zwischen uns. Darauf lässt sie sich ein. Ich sehe ihr nach wie der kleine Bob anfährt. Ein entsetzes langgezogenes ‚Huch, huch.‘ hängt noch sekundenlang in der Luft. Um meine Mutter blitzen die grell blinkenden Spacelichter auf. Dann beschleunigt der Bob und weg ist sie. Als sie aussteigt fühlen sich ihre Beine wie Pudding an und genauso läuft sie auch. Wir sind alle ziemlich stolz, dass sie mitgefahren ist. Jetzt muss sie nur noch mit in den Gletscherblitz. Diesmal kann sie neben mir sitzen. Krampfhaft hält sie ihre Tasche fest. Ich drücke den Bügel nach unten, damit wir sicher sitzen. Die Geschwindigkeit ist ordentlich, aber nicht so schnell wie bei den anderen Attraktionen. Unsere Fahrt wird kontinuierlich von dem ‚Huch.‘ meiner Mutter untermalt. Ihr Gesicht überzieht eine feine weißliche Blässe und so steigt sie unsicher aus dem Karussell.

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‚Vielleicht sollten wir mal was anderes fahren, bevor Mama einen Herzinfarkt kriegt.‘ sage ich mit Blick auf die Miene meiner Mutter und deren torkelnden Gang. Als nächstes fahren wir mit einem langsamen Skilift den Berg hinauf. Unter uns äsen Wildschweine und Hirsche. Um uns das bezaubernde Panorama der dunkelgrünen Tannen des Schwarzwalds. Der Himmel ist hellgrau verhangen und ein leichter Nebel taucht die Umgebung in ein märchenhaftes, dämmriges Licht. Über einen Rundweg schlendern wir an den Rehen, Gemsen und Luchsen des Wildparks vorbei. Es gibt auch eine Vogelvoliere mit Wellensittichen, sowie Gehege mit Waschbären und Murmeltieren.20170506_123208.jpg

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Der Tag geht zu Ende mit einer gemütlichen Gondelfahrt auf den Schauinsland. Freiburgs Hausberg ist fast 1300m hoch. Die Schauinslandbahn ist damit die längste Seilbahn Deutschlands mit einer Länge von 3600m. 1930 wurde sie als erste Personenseilbahn der Welt in Betrieb genommen. Der Nebel überzieht die dichten, moosgrünen Tannenhänge um uns wie ein hellgrauer undurchdringlich gewebter Teppich. Feine Regentropfen sprenkeln in immer neuen Mustern wie ein wässriges Kaleidoskops die Glasscheiben unseres Waggons und erschweren die Sicht. Weit sehen können wir nicht. Trotzdem hat die Abgegrenztheit von den Launen der Natur in unsrer überschaubaren Gondel etwas heimeliges und vermittelt gemütliche Geborgenheit. Im Tal angekommen klart die Umgebung auf und wir können die wunderschöne Frühlingslandschaft des blühenden Schwarzwalds genießen. Die Fahrt nach oben beschert ein fantastisches Landschaftsbild. Wie ein Reißverschluss gleitet die Seilbahn am Bergrücken hinauf und zieht in angenehmer Höhe über die frühlingshaft knospende Natur dahin.

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Regelmäßig trommeln Regentropfen an die Fenster und auf das Metalldach der Seilbahn und machen uns müde und schläfrig. Zurück in unserer Ferienwohnung spielen wir Rommé und trinken beim Abendessen ein Glas trockenen Wein. Aus den Fensterscheiben sieht man in eine dicke, dunkelgraue Nebelsuppe. Der dichte düstere Teppich ist bis unmittelbar vor die Glascheiben gerückt. Nur mit einem scharfen Messer könnte man den Dunstschleier zerschneiden. Hindurchsehen ist unmöglich. Mit schnellen Bewegungen werfen wir die Rommékarten übereinander. Amüsiert und zufrieden beobachte ich die lachenden Gesichter um mich. Wir fühlen uns in der Einöde völlig abgeschieden. Die Isolation ist angenehm und entspannend. Was jetzt zählt sind nur wir. Unsere Familie im Nirgendwo. Den Moment genießen.

 

 


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