Ein Pferd unter Tage

 

 

Mit einem metallischen Kreischen schließen sich die Schiebetüren. Ratternd und wackelig schnellt der Fahrstuhl in die Tiefe. Nicht 1200-1500m wie in einem richtigen Bergwerk, sondern nur 17m. Wir sind ja auch in einem Museum und in keinem Stollen. Das Bergbaumuseum in Bochum zeigt ein originalgetreues Anschauungsbergwerk und bietet Einblick in den Alltag der Bergleute. Es wird merklich heißer. Unter Tage herrschen normalerweise 35-50 Grad. Vorsichtig gehe ich über den unebenen Boden und steige über die in der Erde eingelassenen Schienen hinweg. Hierauf wurden die Kohlewagen transportiert. Der metallene Wagen wurde auch ‚Hund‘ genannt. Das Sprichwort ‚Vor die Hunde gehen‘ stammt aus den Anfängen des Bergbaus. Wurde man von einem vollen Kohlewagen erfasst und überfahren erlitt man schlimme Verletzungen, die tödlich enden konnten. Die Wände der Grubengänge sind daher weiß gestrichen, weil sich die nahenden schwarzen Loren am kontrastreichsten davon abhoben und die Bergarbeiter noch rechtzeitig aus dem Weg treten konnten.

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Im Ruhrgebiet setze der unterirdische Abbau von Kohle etwa 1870 ein. Gearbeitet wurde in 3 Schichten a 8 Stunden. 3 Stunden jeder Schicht wird Kohle gebohrt. Mit einem Bergbohrer werden Löcher in einem kreisförmigen Muster in den umliegenden Fels gebohrt und mit Sprengstoff versehen. Nach der Sprengung werden die Gänge mit Holzbalken stabilisiert, damit diese nicht einstürzen. Die Maschine ist wahnsinnig laut und erstickt jede Unterhaltung im Keim. Ich kann mir kaum vorstellen wie es ist in dieser Geräuschkulisse täglich zu arbeiten. Der Lärm hallt so penetrant durch die Gänge, dass die nervliche Belastung auch nach wenigen Minuten schon spürbar ist. Nicht auszudenken hier mit einem Kater arbeiten gehen zu müssen. Das muss die Hölle sein. Die Lautstärke der Umgebung führte bei den Bergmännern oft zu Schwerhörigkeit oder diese wurden völlig taub. ‚Hast Du mal unter Tage gearbeitet?‘ fragt eine der Museumsbesucherinnen ihren Ehemann und grinst. Unsere Besuchergruppe lacht, verlegen winkt der Mann ab. Immerhin kann man die typischen 1.000 Worte, die ein Mann laut Statistiken pro Tag sagt aufgrund der Laustärke niemals verbrauchen. Bergmänner können sich daher nach Feierabend sicher noch angeregt mit ihrer Ehefrau unterhalten.

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Die Kohle wurde dann in den abgestützten Gängen von einem Bergarbeiter, dem ‚Hauer‘ mühsam abgeschlagen. Seine Kollegen, die ‚Schlepper‘ schaufelten die losen Kohlen dann in den Lorewagen. Da nicht nach Arbeitsstunden, sondern Kilo Kohle bezahlt wurde, war es wichtig dass der Wagen am Ende der Schicht voll war. Nur für einen vollen Wagen gab es Geld, andernfalls gab es für einen ganzen Tag Arbeit keine Entlohnung. Die Beschaffenheit und Form der Schaufel der Schlepper beruht auf einer lustigen Anekdote. Auf der Suche nach der perfekten Schaufel beobachte ein Bergmann eine Frau im Winter, die auf dem glatten Schnee ausrutschte und mit ihrem Hintern einen auffälligen Abdruck im Schnee hinterließ. Der Bergarbeiter war so beeindruckt von dem breiten Abbildung, dass er sogleich zum Schmied rannte und ihn bat eine Schaufel aufgrund des Poform im Schnee zu erstellen. Die im Bergbau verwendete Schippe heißt daher auch ‚Weiberarsch‘.

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Die Kohle wurden von Pferden über die Schienen gezogen. Ein Pferd konnte dabei etwa 10 Kohlewagen gleichzeitig ziehen und war viel effektiver als die menschlichen Kräfte. Mit Seilen wurden die Pferde in die Gruben hinunter gelassen, dies war überaus aufwendig. Daher verblieben die Lasttiere auch dort in Ställen unter Tage. War ein Gaul einmal unten sah er das Tageslicht nie weider. Es sei denn das Pferd wurde krank, dann war es üblich die Tiere auf Pflegefarmen zu geben.DS1_3606_DxO_HDR.jpg

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Später gab es statts der Haue elektrische Pressluftbohrer, diese wiegen etwa 8-12 Kilo. Die ständige Vibration des Hammers und der Rückstoß schädigt die Nervenbahnen in den Gelenken von Armen und Beinen und führt zu einem permanenten Zittern der Extremitäten. Dieses Zittern wurde so stark, das die betroffenen Männer ihre Arbeit nicht mehr ausüben konnten. Ebenso wird durch das Einatmen des feinen Kohlestaubs die Lunge geschädigt. Der feine Staubfilm lagert sich in den Atemwegen ein und führt zu einer Fibrose. Die Lungenflügel versteifen sich und es wird immer mehr Kraft benötigt um Atmen zu können. Das Organgewebe vernarbt und Luft zu holen fällt immer schwerer. Ein ständiger Husten und permanente Atemnot begleiten die Erkrankung. Ich frage mich, ob die toxischen Ablagerungen im Körper auch genetische Veränderungen mit sich bringen. Damit meine ich nicht nur die Kohle- sondern auch die Metallindustrie. Es ist nachweislich bewiesen, dass bei der Verarbeitung von Blei, Erz oder Eisen Toxine frei werden. Die Arbeiter atmen diese ein und schädigen ihr Immunsystem. Vielleicht auch das ihrer Kinder? Beim Frühstück im Hotel heute Morgen hatte ich eine Gruppe geistig Behinderter beobachtet.

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Auch beim Spaziergang durch Bochums Innenstadt hatte ich ungewöhnlich viele Begegnungen mit Leuten mit geistigem Handicap. Hauptsächlich Menschen, die mit dem Down-Syndrom geboren wurden. Aber auch Personen mit eindeutig eingeschränkter Handlungsmotorik. Lässt sich hier eine Parallele zur Geschichte der Ruhrregion ziehen? Ich weiß es nicht. Studien und Untersuchungen gibt es zu diesem Thema nicht. Vielleicht sind meine Begegnungen heute rein zufälliger Natur. Nachdenklich macht mich dieses Erlebnis aber doch. Die Medien zeigen uns täglich wie sich Schadstoffe in unser Ernährung und Umwelt auf unser gesamtes Körpersystem auswirken. So abwegig scheint mir meine Idee nicht. Beim Frühstück war eine junge Frau im Rollstuhl an mir vorbei gerollt. ‚Hi.‘ Hatte sie mir zugerufen und über das ganze Gesicht gestrahlt als ich ihren Gruß erwidert hatte. Menschen mit Down-Syndrom sind so fröhlich. In niemandem vermuten sie etwas böses. Diese Unbedarfheit und Vorurteilsfreiheit finde ich beneidenswert, sie ist völlig frei von gemachten Erfahrungen.

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Diese für uns einfachen Menschen werden oftmals übersehen. Dabei ist es doch eigentlich absolut erstrebenswert ohne Vorurteile auf jemanden zuzugehen. ‚ Hallo.‘ hatte einer der Gruppe mit Down-Syndrom mir zugerufen. Er lief an mir vorbei und ich machte mir schon Sorgen, er könnte auf die Straße laufen. Skeptisch spähte ich aus dem Fenster und erwartete ihn jeden Moment planlos den Gehweg entlang laufen zu sehen. Wenig später hatte er mich erneut mit ‚Guten Morgen.‘ begrüßt. Ich bin erleichtert, der junge Mann war nur kurz auf seinem Zimmer. Ein strahlendes Lächeln erhellt sein Gesicht, als ich seinen Gruß erwidere. Ich muss selbst schmunzeln. Von dieser bedingungslosen Freundlichkeit ohne Vorbehalte lasse ich mich gerne anstecken und kann ich noch einiges Lernen. Sich über einen belanglosen Gruß zu freuen haben wir doch längst verlernt. Ich sehe ihm nach wie er unsicher zu seinen Freunden tapst. Unterwegs höre ich nur ‚Guten Morgen. Hallo.‘

Fotos und Video by Cedric Mally (www.mallygrafie.de)

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