Das deutsche Bermuda3eck

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Schwungvoll ziehe ich die Autotür auf und ergreife die Hand, die sich mir entgegenstreckt. ‚Ich bin Adama.‘ die dunkle Gesichtsfarbe des jungen Mädchens bringt ihre strahlendweißen Zähne zum Leuchten. Ihre Eltern sind aus Nigeria, erzählt sie mir, aus dem Küstenort Lagos. Adama kam in Deutschland auf die Welt. Sie fährt zu ihrem Freund nach Bochum und nimmt mich mit. Er ist aus Kamerun, seine Mutter stammt ebenfalls aus Nigeria. ‚Kulturelle Differenzen gibt es bei uns keine. Die Staaten Nigeria und Kamerun liegen genau nebeneinander.‘ ‚Fährst Du oft nach Hause?‘ frage ich neugierig. Adama nickt ‚Sehr regelmäßig, ich versuche einmal im Jahr dort zu sein.‘ ‚Ich würde auch gerne mal nach Nigeria reisen.‘ erkläre ich ganz offen. Die junge Afrikanerin grinst. ‚Nimm Dir jemanden mit, der sich dort auskennt. Sonst wirst Du nur übers Ohr gehauen.‘

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Durch die landesweite Korruption erreicht Nigeria keinen wirtschaftlichen Aufschwung. Betrug und Schmiergeldzahlungen sind weit verbreitet. Allerdings bereichert sich dadurch nur die Regierung, fast 50% der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. Bei meinem letzten Job als Assistentin hatte ich in einem weltweit tätigen Unternehmen gearbeitet. Wir hatten auch einen Firmenableger in Nigeria. Ein Ingenieur, der in Afrika für uns tätig war wurde damals von seiner Arbeitsstelle durch Al Qaida entführt. Nigerias Norden ist stark vom Islam geprägt. Verschleppungen von Ausländern gehören in diesem Land leider zur traurigen Alltagsroutine. Normalerweise geht es hier nur um Lösegeldforderungen. Wenn das Geld übergeben wurde, lässt man die Geisel wieder frei. Diesmal forderten die Entführer in einem Drohvideo die Freilassung einer in Deutschland in Haft sitzenden Terroristin.

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Der gekidnappte Mann hatte schon jahrelang für uns in Afrika gearbeitet. Er wurde von der Terrormiliz gefoltert und später bei Versuch einer Befreiungsaktion durch die nigerianische Armee von seinen Peinigern erschossen. Ich wende mich angenehmeren Gedanken zu und frage Adama nach ihrer Beziehung. ‚Würden Deine Eltern auch jemanden akzeptieren, der nicht aus Nigeria ist?‘ Nachdenklich schüttelt sie den Kopf. ‚Sehr schwer. Dieses öffentliche Verabreden und Kennenlernen gibt es bei uns nicht so. Treffen finden eher heimlich statt oder unter Beaufsichtigung. Irgendwann hält dann der Mann um die Hand der Tochter bei den Eltern an. Es ist alles sehr förmlich und steif. Der Mann bezahlt einen Brautpreis, aber das ist nur eine symbolische Geste. Es geht da nicht um große Summen. Geheiratet wird dann immer an dem Ort, von dem die Braut stammt.‘

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‚Sprechen Du und Dein Freund Deutsch miteinander?‘ will ich wissen. ‚Nein Englisch.‘ antwortet Adama ‚Englisch ist Amtssprache in Nigeria und Kamerun. Ich spreche auch Igbo, das ist der Dialekt meiner Region. Eigentlich sollte das mein Freund auch können, es ist die ursprüngliche Sprache seiner Mutter. Aber er versteht es kaum und spricht sehr schlecht.‘ ‚Gibt es in Nigeria eine soziale Absicherung?‘ hake ich weiter nach. Ich weiß das Land ist eines der geburtenreichsten der Erde. Das muss einen Grund haben. Auf eine Frau kommen durchschnittlich 6 Kinder. Mit 180 Millionen Einwohnern ist es auch der bevölkerungsreichste Staat Afrikas. ‚Nein, das gibt es dort nicht. Nigeria hat kein Sozialsystem. Die Kinder kümmern sich um die Eltern. Es gibt zwar eine gesetzlich festgelegte Rente, aber der Staat hat kein Geld um diese auszuzahlen. Die Kassen sind leer‘ erklärt mir Adama.

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‚Altersheime gibt es auch nicht. Das ist bei uns nicht üblich.‘ fährt sie fort und setzt mit Nachdruck und bestimmt hinzu ‚Ich würde meine Eltern auch nie in ein Heim geben. Wenn sie alt sind und ich mein Studium beendet und Arbeit gefunden habe werden wir alle zusammen in einem Haus wohnen und ich werde für sie sorgen.‘ Die Lebenserwartung in Nigeria liegt bei durchschnittlich 50 Jahren, das ist eine der geringsten weltweit. Kranke, Arme und Alte sind auf Familienhilfe angewiesen, nur Regierungsbedienstete kommen in den Genuss öffentlicher Fürsorge. Selbst Kinder sind gezwungen zu arbeiten, um ihre Familien mitzuversorgen. Viele werden von militanten Gruppen und Banden rekrutiert oder sogar in andere Länder verschleppt, um dort als Kindersoldaten in den Krieg zu ziehen. Zudem hat nicht einmal jeder zweite Nigerianer Zugang zu sauberem Trinkwasser, die Wasserversorgung im Land ist denkbar schlecht. Obwohl das Recht auf Wasser ein festgelegtes Menschrecht ist.

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In Bochum ist es bereits Nacht als wir ankommen. Mit knallroter Leuchtschrift locken die über 80 Kneipen und Lokale des Bermuda3ecks. Wie ein ausufernder Biergarten mit Holzbänken, Tischen und kleinen Sitzgruppen liegt der Konrad-Adenauer-Platz vor mir. Die älteste Kneipe ist das Mandragora und besteht schon seit 1977. Hier gibt es Live Musik und Crepes in allen Variationen. Auf einem Tisch fällt eine volle Bierflasche um, sie kullert von der Holzoberfläche und zerspringt mit lautem Knall und vielen kleinen Hopfenspritzern auf dem Boden. Niemand kümmert sich, die Hand des Besitzers reckt sich nach der Bedienung.  ‚Ein neues Bier bitte.‘ Laut singend und lachend schlendern die Betrunkenen durch die Straßen. Eine weiße, langezogene Limousine voller Partyhäschen mit Bunnyohren fährt langsam und gemächlich mit lauter Musik und dröhnenden Bässen an mir vorbei.

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Jungesellenabschiede gehen mir ziemlich auf die Nerven, lassen sich hier aufgrund der hohen Kneipendichte aber anscheinend gut feiern. Ich finde die lächerlichen Verkleidungen und den Bauchladen voller Schnapsfläschchen absolut peinlich. Das muss eben jeder für sich selbst entscheiden. Fussballfans des VFL Bochum rempeln mich an. Heute hat ihre Mannschaft gegen den FC St. Pauli gespielt. Aus dem ‚Freibeuter‘ am Anfang der Straße tönt laute Rockmusik und vertreibt die nachdenkliche Stimmungslage nach den Gesprächen über Nigeria. Ein Schild an der Tür verbietet Jungesellenabschieden einzutreten. Zufrieden betrachte ich die vorbeiziehenden Nachtschwärmer und öffne die Eingangstür. In solchen Vergnügungsvierteln fühle ich mich unheimlich wohl, weil man hier alle Arten von Menschen beobachten kann. Vom Snob bis zum Penner. Und die Junggesellenfeiern dürfen ja hier nicht rein.

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Fotos by Cedric Mally (www.mallygrafie.de)

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