Wie eine monotone Melodie weht aus der Ferne das Echo der Kirchenglocken durch die hochaufragenden, dunklen Tannen zu mir herüber. Das Donnern der strömenden Wutach steigt aus den felsigen Hängen zu mir hinauf. Alsbald verbinden sich die zarten Töne zu einem Echo natürlicher Musik, dass in der Tiefe der Wutachschlucht nachhallt. Meine Schritte rascheln im Laub auf den trockenen Wegen. Bis auf das Gezwitscher der Vögel und das gleichmässige Hämmern des Spechtes umgibt mich völlige Stille. Hin und wieder ziehen dicke Hummeln mit gleichmäßigem Summen ihre Kreise über die steinigen Pfade. Ich genieße die Ruhe. Die ganze Schlucht gehört mir allein. Wo die Tannen sich lichten bestaune ich den reißenden Fluss aus der Höhe.
Pfauenauge flattern über die Wege und begleiten meinen Blick über die anmutigen Tannenhänge mit ihren zarten Flügelschlägen. Ein Eichelhäher verkündet den Frühling. Die Abdrücke meiner Turnschuhe legen sich über die Pferdehufspuren im weichen Sand der Wanderwege. Tief atme ich den Duft nach feuchtem Holz und frischem Tau ein. Die Luft ist belebend und die Sonne schickt wohlwollend ihre wärmenden Strahlen auf meine Haut. Der schmilzende Schnee verwandelt die Landschaft in eine Szenerie aus Pfützen und kleinen Tümpeln am Wegesrand. Bald dämpft weiches, hellgrünes Moos jeden meiner Schritte und führt mich in eine vollendete Ruhe. Nur das Plätschern des Wassers zerreißt diese angenehme Isolation.
Mein Spaziergang führt kontinuierlich bergan. Kleine Schilder mit roten Pfeilen weisen mir den Weg zum Räuberschlösschen. 80 m oberhalb der Schlucht finden sich die Reste einer früheren Burganlage, ein paar aufgetürmte Steine. Unter Schloss hatte ich mir zwar etwas anderes vorgestellt, aber die Aussicht ist wunderschön. 30 m hohe Tannen recken ihre Wipfel vor mir in die Höhe. Um mich krabbeln Käfer, Raupen und Schnecken. Ich bin mitten in der lebendigen Natur. Das kleine und fast runde Felsplateau mit den Resten des Räuberschlösschens gibt den Blick auf schroffen Stein frei, der fast senkrecht zur Wutach hinabstürzt. Immer wieder passiere ich gesperrte Wege. Die Gefahr plötzlich umfallender Bäume ist groß.
Die Naturgewalt ist über meinen gesamten Spaziergang stets spürbar. Umgestürzte Bäume, manche mit unnatürlich verdrehtem Stamm pflastern meinen Weg. Zersplitterte Baumstämme und Wurzeln ragen trostlos aus der Erde. Über der gesamten Szenerie der feuchtwarme Dunst des ankommenden Frühlings. An den riskantesten Stellen trennt ein Metallgeländer den Wanderer von den steilen Abgründen der Schlucht. Trotzdem bin ich froh, als ich wieder sicher in meinem Auto sitze. Die Sonne glänzt immer noch warm auf der Umgebung, es ist noch Zeit für ein weiteres Ziel. Der Fahler Wasserfall empfängt mich in der rötlichen Glut des Nachmittags.
Das herabrauschende Wasser und die darauf tanzenden Sonnenstrahlen verschaffen mir hervorragende Fotoaufnahmen. Der gesamte Wasserfall lässt sich über kleine Brücken und Pfade erkunden. 2,7 Km führt ein Rundweg um die hinabdonnernden Wassermassen. Begeistert folge ich dem Trampelpfad. Leicht sprühen erfrischende Tropfen kalten Wassers auf mein Gesicht. Bemüht vor lauter Neugier alles um mich aufzunehmen falle ich fast selbst in den Fahler Fall. Als sich die Dämmerung wie ein leichter Nebelschleier auf die Umgebung legt komme ich wieder am Ausgangspunkt des Wanderwegs an. Die tiefe Sonne lugt zwischen den Zweigen der hohen Tannen auf und lässt die dunkelgrünen Nadeln in schattigem Grau leuchten.Ein letztes Mal atme ich tief den Geruch des kommenden Frühlings ein.
Die Kälte des Wassers, das Gezwitscher der Vögel und den Duft des Waldes nach trockenem Laub und den blassgrünen Trieben, die sich mühsam durch den steinigen Waldboden plagen. Die frische Luft macht mich hungrig. Auf dem Weg zum Hotel esse ich im Restaurant, welches direkt am Titisee liegt zu Abend. Ruhig und tiefblau schwappen die seichten Wellen leise an den Steg mitten im See. Gleichmäßig schwimmen die Enten verteilt auf der azurblauen Oberfläche. Ein herber Kontrast zu meinem letzten Besuch im Winter. Der See war teilweise gefroren. Über die Eisschicht mühten sich die Enten ans Ufer zu kommen. Sie rutschen wie auf Schlittschuhen auf ihren Schwimmhäuten über das Eis. Führten einen eleganten Tanz auf, nur um wieder zurück ins kalte Wasser zu fallen.
Ich hatte im Dezember einen Ausflug mit meiner Mutter zum See gemacht. Die Enten taten uns leid. Wir zerbröckelten ein Brötchen und warfen die Brotfetzen den wenigen Vögeln am Ufer zu. Immer wieder streute meine Mutter den Heranwatschelnden neue Brotkrumen aus. Und irgendwie wurden die Enten immer mehr. Bald waren wir umringt von einer gefiederten Armee. Unaufhörlich watschelte das Federvieh um uns, hüllte uns ein in einen Kreis aus lautem Geschnatter. Kontinuierlich quakten sie nach mehr Brot. Die Entenarmee wollte uns überrennen, so schien es. Das Brötchen war ihnen nicht genug, sie wollten auch uns fressen. Wir warfen die letzte Brotrinde und ließen die Enten zurück.