Ich strecke meine Arme hoch in die Luft, ein Zeichen des Sieges. Die Walking Stöcke fliegen zur Seite. Ich breite in einer ausholenden Geste meine Hände aus, um die beeindruckende Landschaft zu umarmen. Ich hatte es geschafft. Nach 2 Stunden Hikingtour bin ich am Aussichtspunkt mit dem fantastischsten Panorama Griechenlands angekommen. Das wilde Grün der schroffen Landschaft ist von zahlreichen Sandsteinfelsen durchsetzt. Meteora bedeutet im Griechischen ‚in die Höhe heben‘. Auf den Felsgipfeln befinden sich 24 Abteien von denen heute noch 6 bewohnt sind. Der Rest ist vom Einsturz bedroht. Ziel unserer Wandergruppe ist das Kloster Agios Stéphanos.
Wie ein Wald aus hellem Geröll erheben sich die bizarren Formationen vor mir. Über aus dem Boden ragende Wurzeln und kleine Wasserfälle bin ich über steile Abgründe gesprungen. Ohne eine Absperrung, die mich auf der richtigen Seite von der Tiefe trennt. Die Jahreszeit ist für unsere Unternehmung perfekt. Im März sind die Straßen noch nicht von Touristen überfüllt. Ich habe freie Sicht auf die erhabenen Klöster auf den Felsspitzen. Die letzte Strapaze führt uns eine asphaltierte Straße zu Agios Stéphanos bergauf. Eine Hikingtour ist die perfekte Art und Weise die Gegend zu erkunden.
Ich fühle mich wie im Märchen. Vor mehreren hundert Jahren konnten die Felsen nur durch Bergsteigen erklommen werden. Mönche waren im 14 Jhd. die ersten Kletterer. Natürlich konnten die Klöster auch nach einiger Zeit durch in den Fels geschlagene Pfade und Strickleitern erreicht werden. Bis vor ein paar Jahrzehnten war dies der einzige Weg. Heute gibt es richtige Straßen. Landschaftlich bietet Meteora ein einzigartiges Bild. Im Hintergrund erhebt sich schemenhaft das Pidos-Gebirge, scharf zeichnen sich die freistehenden Felstürme dagegen ab.
Die Sonne steht bereits tief und im dunkelgoldenen Licht des Nachmittags als wir das Kloster erreichen. Die verzerrten Schatten der Felsen spiegeln sich am Horizont in lang gezogenen Schlieren. Wie abstrakte Burgen thronen die Kirchen auf der Spitze der Felsberge. Frauen haben ohne Rock keinen Zutritt. Noch vor 1000 Jahren hätte ich niemals das Kloster betreten dürfen, auch nicht mit Rock. Am Eingang wähle ich aus einem Korb ein Tuch aus. Ich wickle meine Hüfte in den bunten Stoff und trete ein. Agios Stéphanos wurde durch den Einsiedler Jeremiah 1192 gegründet. Schlicht ist die Bauweise des Klosters gehalten, bis auf die prunkvollen Ikonen an den Wänden.
So intensiv wie der Aufstieg geht es bergan natürlich nicht. Trotzdem bin ich froh, als ich mein Hotel erreiche. Ich ziehe die Turnschuhe von den schmerzenden Füßen ohne die Schnürsenkel zu öffnen und werfe mich auf das Bett. Die alten Matratzenfedern ächzen kurz auf, dann umgibt mich Stille. Die Ruhe wehrt nur kurz. ‚Hilfe‘ verzweifelt hallt eine junge Frauenstimme zu mir herüber. Fäuste trommeln regelmäßig und hektisch an die Zimmertür im Nachbarzimmer. Erschrocken springe ich auf und hechte zur Tür. ‚Hilfe.‘ klingt es noch einmal kläglich und krächzend. Ich reiße meine Tür auf und spähe um die Ecke. Tränenüberströmt hängt meine Zimmernachbarin an ihrer Türklinke. Die Hotelwirtin hatte die Tür nach den lauten Rufen und dem gegen die Tür schlagen mit dem Zweitschlüssel aufgeschlossen. Ich kenne die junge Deutsche aus der Hikinggruppe von heute Mittag. Sie hält sich röchelnd den Hals und sinkt lautlos weinend am Türrahmen zu Boden. Ihr Freund geht wortlos aus dem Zimmer, nicht ein einziges Mal dreht er sich nach seiner Freundin um. Die Wut und Aggression ist ihm ins Gesicht geschrieben.
Ich helfe dem Mädchen auf, sie ist froh mich zu sehen. Leise und von tonlosen Heulkrämpfen geschüttelt fängt sie an zu sprechen ‚Wir haben uns nach der Wandertour beim Abendessen wegen einer Lapalie gestritten. Er provoziert mich immer bis aufs Blut und hat Spaß dabei. Nach unserer Diskussion hat er sich in mein Zimmer gedrängt und mit den schlammverspritzten Klamotten auf mein Bett geworfen. Alles wurde dreckig. Ich hab ihn runter geworfen und er hat mich zurückgedrängt. Er sperrte die Tür zu. Ich wollte mir den Weg frei kämpfen. Irgendwann fingen wir an uns zu schlagen. Eigentlich wollte ich ihn nur aus dem Zimmer bekommen, aber er wollte einfach nicht gehen. Er hielt mich vom Ausgang des Zimmers fern. Ich wollte flüchten, rannte auf den Balkon um zu schreien. Er hat mich zurück aufs Bett geworfen und am Hals gefasst. Ich bekam kaum Luft. Übers Telefon wollte ich die Rezeption zur Hilfe rufen, da hat er einfach das Telefonkabel herausgerissen. Ich hab ihn dann an der Nase erwischt in meiner Abwehr und bin ihm zur Tür durch entwischt. Mit den Händen habe ich dagegen geschlagen, zum Glück hat die Frau an der Rezeption mich gehört.‘ ‚Warum hast Du ‚Nein‘ gesagt, als das Hotel die Polizei holen wollte?‘ frage ich überrascht. ‚Ich will das nicht, wir haben auch gute Momente. ‚ ihr Blick ist flehentlich und bittet um mein Verständnis. Tränen der Scham kullern über ihr Gesicht.
‚Schließ Dein Zimmer lieber ab heute Nacht.‘ rate ich dem zitternden Mädchen. Inzwischen steht sie wieder, wirkt etwas stabiler. Ich lege mich ins Bett und kann nicht schlafen. Warum lassen wir uns so etwas bieten? Liebe ist das nicht. Ich glaube, dass Mädchen hat eher Angst und dies hindert sie zu gehen. Wenn Menschen uns kontinuierlich kontrollieren, fühlen wir uns ja manchmal so hilflos. Ich wünsche ihr auf jeden Fall viel Kraft die ungesunde Beziehung zu beenden. Plötzlich höre ich zögerlich und leise die Tür des Zimmers neben mir ins Schloss fallen. Ich strecke den Kopf aus meinem Raum. Meine Nachbarin hat die Koffer gepackt und ist auf dem Weg zum Bahnhof. ‚Komm heil an.‘ wünsche ich ihr und schließe die Tür wieder. Dankbar nickt sie mir zu. Erneut strecke ich mich auf dem Bett aus und bin beruhigt, dass sie nun einen gewissen Vorsprung hat. Ich hoffe, sie nimmt aus Athen den nächsten Flug nach Hause und lässt das Schloß der Wohnungstür auswechseln.