Still sitze ich in der Kirchenbank, den Kopf in den Nacken gelegt. Vor mir bricht sich eine Farbenpracht, die einem Regenbogen gleicht. Ein Schleier aus Sonnenlicht fällt durch die Mosaiken der Kirchenfenster. Die goldenen Schlieren brechen sich mehrfach im bunten Glas wie auf der Farbpalette eines Künstlers bis sie ihr Muster auf den Steinboden der Kathedrale werfen. Ein Wasserfall aus Farbschattierungen flutet über mich hinweg mit jedem neuen Sonnenstrahl.
In diesem Kaleidoskop aus immer neuen Kunstwerken sitze ich seit einer gefühlten Ewigkeit. Und doch werde ich nicht müde das einfallende Licht zu betrachten, das immer neue Farbexplosionen auslöst. Eine große Zufriedenheit fällt zeitgleich mit den bunten Schemen auf mich herab. Ich möchte mich nicht bewegen, sondern einfach nur Wahrnehmen. Keine der bunten Spiegelungen will ich verpassen, die in mir ein Gefühl der Freude und des Wohlbefindens auslösen. Mit Kirchen kann ich gewöhnlich nichts anfangen. Eigentlich fand ich den Eintrittspreis für die ‚La Sagrada Familia‘ viel zu hoch, nun bin ich froh nicht vorbei gegangen zu sein.
Ich sitze im Atelier eines Malers und genieße die Kunst. Der Künstler ist der Architekt Antoni Gaudí. Barcelona ist die Stadt seiner besonderen Bauwerke. Ein kleiner Spaziergang führt von der Kirche zur Casa Mila, dem von Gaudi entworfene Wohnhaus der Mila-Familie. Von den meisten Bewohnern Barcelonas wurde das moderne Gebäude nach seiner Fertigstellung 1910 als Betonklotz nur belächelt. Dennoch leistete Gaudi Pionierarbeit. Der Großteil der Räume verfügt über Tageslicht. Zur damaligen Zeit eher ungewöhnlich. Ein komplett eingerichtete Etage vom Anfang des 20. Jhds ist heute noch zu besichtigen.
In unmittelbarer Nachbarschaft erhebt sich die Casa Batlló, ebenfalls eine Konstruktion von Gaudi. Das Meisterwerk Gaudis wurde für einen Textilindustriellen gebaut. Die bunte Fassade gibt die Legende des Heiligen Georgs, dem Schutzpatron Kataloniens, wieder. Dargestellt wird der Kampf mit dem Drachen gegen den der Heilige gekämpft hat. Auf dem Dach und über die gesamte Hausfront verteilen sich die schimmernden Schuppen des Untiers, das Kreuz auf dem Dach ist Georgs Lanze. Die schmiedeeisernen Balkone bilden abstrakte Totenköpfe. Die Galerie im ersten Stock formt das Maul des Drachen. Gaudi hat sich bzgl. des Interior an den Geschichten um Kapitän Nemo orientiert. Die Innenwände sind in vielfarbigem Blau gefliest und die großen Bullaugen lassen unverzüglich an ein U-Boot wie die Nautilus denken.
Eine kleine Pause gönne ich mir im Park Güell. Ich setzte mich auf eine Bank in der Sonne. Wie in einem Märchen fühle ich mich mit den vielen bunten Mosaiken und modernen Gebilden, die sich über den Park verstreuen. Unglaublich, dass die schönen Muster und abstrakten Formen vor so langer Zeit zum Großteil aus Abfällen der Keramikfabriken hergestellt wurden. Auf dem großen Sandplatz im Zentrum von Gaudis Garten tummeln sich viele Familien. Es ist Sommer und der Park ist ein beliebter Treffpunkt.
Einen gelungen Abschluss findet der Tag auf der Ramblas, dem Herz Barcelonas. Durch die palmengesäumte Straße schlendere ich an Akrobaten und Künstlern vorbei. Ich bestaune Flamencopaare, die auf dem Gehweg ihre Kunst erproben. Spontan halte ich inne. Ihre Anmut, die Mimik und Gestik perfekt auf den gefühlvollen Tanz abgestimmt, beeindrucken und fesseln mich. So könnte ich niemals tanzen. Ich weiß, dazu fehlt mir einfach die genetische Disposition.